SPD diskutiert Parteiausschluss: Das Problem Sarrazin
Mit seinen neuesten Äußerungen zu Einwanderungsfragen bringt Thilo Sarrazin die Partei gegen sich auf. Ist es diesmal das letzte Mal? Die SPD ringt noch mit ihrem Kurs.
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BERLIN taz | Es war vor noch nicht einmal vor einem Jahr, da hat Thilo Sarrazin, einst Finanzsenator in Berlin unter Klaus Wowereit, mit einem Interview in dem Magazin Lettre International für erhebliche Unruhe gesorgt. Er müsse, bezogen auf Einwanderer in Berlin, "niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt […] und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert", holzte Sarrazin. Die SPD rümpfte die Nase und diskutierte. Doch sie ließ ihn gewähren.
Ein halbes Jahr später hatte Bundesbank-Vorstand Sarrazin einen Rat für Hartz-IV-Empfänger parat, die "kalt duschen" könnten, um Geld zu sparen. Und die SPD? Ließ ihn gewähren.
Jetzt, wieder ist ein halbes Jahr vergangen, könnte es damit zu Ende sein. Denn als Sarrazin nun die Integration sinngemäß als Verlustgeschäft bezeichnete und noch einmal seine alten Thesen unterstrich, ist SPD-Parteichef Sigmar Gabriel der Kragen geplatzt. "Wenn Sie mich fragen, warum der noch bei uns Parteimitglied sein will - das weiß ich auch nicht", sagte Gabriel auf seiner Sommerreise in Rheinland-Pfalz. Doch bisher hatte sich die SPD beharrlich darum gedrückt, das Problem Sarrazin offensiv zu lösen. Nach jedem seiner Ausbrüche schien die Hoffnung groß zu sein, dass er letztlich Ruhe gebe. Doch die SPD hat sich getäuscht.
Bereits am vergangenen Montag im Präsidium beriet die Parteispitze kurz über die Strategie gegenüber Sarrazin. Als Motto wurde ausgegeben: nicht zu hoch hängen, aber doch von den Äußerungen distanzieren. Immer noch ist die Angst vor einer endlosen öffentlichen Debatte und Widerständen bei einem möglichen Parteiausschlussverfahren groß.
Und wirklich entschlossen scheint man in der SPD immer noch nicht zu sein, wie mit Sarrazin umgegangen werden soll. "Die Äußerungen Sarrazins sind intellektuell hochmütig und in der Sprache primitiv und aggressiv", sagte der schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner der taz, "ich würde es begrüßen, wenn Thilo Sarrazin die Partei verlässt." Dies sei gegeben, "denn Toleranz ist uns in der SPD sehr wichtig", so das Präsidiumsmitglied. Jedoch: Mehr als ein Appell ist das auch nicht.
Als "kaum erträglich" bezeichnete die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Aydan Oezoguz, die Äußerungen. "Er macht unser Land lächerlich. Das dürfen wir nicht zulassen."
Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ließen die Äußerungen nicht kalt, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin sagte. Die Worte Sarrazins seien "äußerst verletzend, diffamierend und sehr polemisch zugespitzt", sagte Seibert.
Ob dies in der SPD nun dazu führt, das bisher wegen der öffentlichen Wirkung gefürchtete Parteiausschlussverfahren anzugehen, darf bezweifelt werden. Nur der Bundesvorsitzende der Jusos, Sascha Vogt, fasste sehr vorsichtig den Gedanken. "Wir müssen", sagte Vogt der taz, "über einen Parteiausschluss nachdenken."
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