SPD debattiert über Migration: Schulze fordert weniger Populismus
Vor dem Parteitag der SPD kritisieren mehrere Anträge die Asylpolitik der Ampel. Auch Entwicklungsministerin Schulze wirbt für Solidarität.
Selbst aus dem SPD-Parteivorstand kommen nun Vorschläge, die Asylpolitik zu korrigieren. Etwa von der Genossin Svenja Schulze aus Münster in Nordrhein-Westfalen, im sonstigen Leben auch Bundesentwicklungsministerin in der Ampelregierung.
Deutschland trage eine historische Verantwortung für Menschen, die vor Vertreibung, Verfolgung, Zerstörung und Krieg fliehen, heißt es in dem Antrag, der der taz vorliegt. „Abschottung, Ober- und Belastungsgrenzen sind keine Lösung, sondern Populismus“, schreibt Schulze und schlägt damit einen deutlich solidarischeren Grundton an, als zuletzt in der politischen Debatte üblich. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach im November im Spiegel etwa davon, dass Deutschland „endlich im großen Stil abschieben“ müsse.
Schulze fordert eine Versachlichung der Debatte um Migrationspolitik und konkret eine bessere Unterstützung der Aufnahmeländer im Globalen Süden. Rund 80 Prozent der weltweit 110 Millionen Flüchtlinge fänden Aufnahme im Nachbarland. „Sie dürfen wir mit dieser Aufgabe nicht allein lassen“, schreibt Schulze und fordert die Bundesrepublik auf voranzugehen. Beim Globalen Flüchtlingsforum Mitte Dezember müsse Deutschland „eine Führungsrolle einnehmen und ganz konkrete Unterstützung bei der Bildung, Gesundheit und Beschäftigung für Flüchtlinge zusagen.“
Schulze kritisiert verengten EU-Diskurs
Beim Globalen Flüchtlingsforum kommen die Minister:innen erstmals seit 2019 wieder in Genf zusammen und überprüfen, ob und welche Fortschritte beim UNO-Flüchtlingspakt erzielt wurden, etwa wenn es darum geht, Flüchtlinge besser zu versorgen und zu verteilen.
Schulze fordert Migrationsabkommen mit Partnerländern, zu denen auch gehöre, „dass Menschen, die kein Recht auf einen Aufenthalt in Deutschland und Europa haben, von Ihren Herkunftsstaaten wieder aufgenommen werden.“ Sie hält jedoch nichts von der Forderung, Entwicklungsgelder zu kürzen, falls Staaten nicht bereit sind zu kooperieren. „Wer bei Ernährung, Bildung oder Gesundheitssystemen kürzt, vergrößert das Leid von Menschen und politische und soziale Unsicherheit.“
Die Debatte in der EU kritisiert sie. „Die Antworten, nach denen viele EU-Mitgliedsstaaten rufen, funktionieren schlichtweg nicht.“ Seit Jahren verenge sich der Diskurs immer mehr auf restriktive Maßnahmen, so die Genossin und warnt bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vor einer Aushöhlung des Asylrechts. Das werde von den Partnerländern im Globalen Süden sehr genau beobachtet und vermittle den Eindruck doppelter Standards – „von Partnerländern fordern wir Schutz und Aufnahme von Flüchtlingen ein und die EU selbst tut das Gegenteil?“
Damit ein Antrag als Initiativantrag auf dem Parteitag debattiert wird, müssen 50 Unterstützer:innen aus 5 Bezirken gewonnen werden oder der Parteivorstand muss mehrheitlich dafür stimmen. Aus Schulzes Umfeld hieß es, die 50 Unterstützer:innen zu finden, werde kein Problem sein.
SPD Berlin will keine Familien in EU-Außenlagern
Die Anträge, die bereits vorliegen, gehen zum Teil deutlich über den Antrag von Schulze hinaus. So fordert etwa der Landesverband Berlin dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem nur zuzustimmen, wenn Familien mit minderjährigen Kindern von jeglicher Form von Grenzverfahren ausgenommen seien.
Die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt fordert alle Außenlager zu schließen und Flüchtlinge in die EU-Länder zu verteilen. Beide lehnen eine Verschärfung von Abschiebungen, wie etwa die Verlängerung der Abschiebehaft von 10 auf 28 Tage ab. Die Jusos wollen die Seenotrettung entkriminalisieren, die Kommunen besser unterstützen, alle Ankerzentren schließen, Arbeitsverbote abschaffen und das Asylbewerberleistungsgesetz überarbeiten.
Wie all diese Anträge auf dem Parteitag behandelt werden, wird sich am Donnerstag entscheiden. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat in Absprache mit den Jusos, der AG Migration, Fach- und Kommunalpolitikern einen eigenen Antrag zu dem Thema erarbeitet. Dieser soll am Donnerstag vom Vorstand verabschiedet und ebenfalls auf dem Parteitag debattiert werden. Auch Schulzes Antrag könnte darin aufgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?