SPD-Politiker Thomas Oppermann: Der Generalist
Unprätentiös und ein bisschen glatt. All das ist Thomas Oppermann – der vor einem Karrieresprung steht. Gerüchte über das neue Kabinett machen die Runde.
GÖTTINGEN / BERLIN taz | Thomas Oppermann trägt Jackett, Jeans, offenes Hemd, keinen Schlips. Er geht zum Mikrofon und redet eine Stunde lang über die Vorzüge der Großen Koalition. 150 Genossen sind in einen neonhellen Multifunktionsraum im Norden von Göttingen gekommen. SPD-Publikum, Männer mit weißen Haaren und schwarzen Lederwesten. Auch ein paar Genossinnen.
Oppermann redet über Investitionsquote, Breitbandausbau, Bund-Länder-Beziehungen, lobt die Abschaffung des Optionszwangs und die Einführung des Mindestlohns. Er ist kein Volkstribun, wirklich nicht. Er hebt und senkt die Stimme selten. Er redet nüchtern, zielstrebig, analytisch. Es gibt wenig Applaus.
Heidrun Bäcker, Kommunalpolitikerin, geht nun zum Mikrofon und sagt: „Es schüttelt mich, dass wir mit Merkel regieren, aber wir müssen es tun.“ Unschön, unumgänglich. So ist die Stimmung bei der Funktionärsbasis in Sachen Große Koalition. Zwanzig Genossen melden sich zu Wort – keiner ist gegen die Regierungsbeteiligung. Sie wollen nicht rebellieren, sie wollen sich von „Thomas“ letzte Zweifel ausreden lassen. Ein Heimspiel.
SPD-Chef Sigmar Gabriel wird nach Informationen von Spiegel-Online in einem Superministerium die Energiewende federführend gestalten. Gabriel übernehme in der großen Koalition das um die Energiepolitik erweiterte Wirtschaftsministerium, meldete das Portal am Freitag.
Wie Spiegel-Online und auch die Bild-Zeitung weiter berichten, wird der bisherige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Außenminister. Der bisherige parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, soll Steimeier als Fraktionschef folgen.
Den Berichten zufolge wird der saarländische SPD-Chef Heiko Maas Justizminister, SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks übernimmt das Umweltministerium, SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wird Arbeits- und Sozialministerin und SPD-Vize Manuela Schwesig übernimmt das Familienressort.
Voraussetzung für die Bildung der großen Koalition ist allerdings, dass die SPD-Basis in ihrem Mitgliederentscheid dem Koalitionsvertrag zustimmt. Das Ergebnis der Abstimmung unter 470.000 Mitgliedern soll am Samstag vorliegen.
Anschließend fährt Thomas Oppermann in einem kleinen roten Auto durch das verregnete dunkle Göttingen. Nachmittags hat er die Kinder zum Fußball gebracht. Der Regen prasselt gegen die Windschutzscheibe, und Oppermann tut, was er gut kann: reden. Präzise, fast druckreif.
Robuste Natur
Er ist 59, wirkt aber jünger. Er besitzt eine gute Kondition. Zwei Tage zuvor hat er in einer Nachtsitzung den Koalitionsvertrag mit ausgehandelt. Danach Auftritt in der Talkshow „Maybrit Illner“, um drei Uhr nachts zu Hause in Göttingen. Drei, vier Stunden Schlaf in dieser Woche, mehr nicht. „Thomas, du siehst wirklich mitgenommen aus“, hat ein Genosse in dem neonhellen Raum gesagt. Oppermann hat sein Jungslächeln angeknipst und gespielt beleidigt geguckt. Er wirkt frisch, robust, irgendwie undemolierbar.
Es gibt Bundestagsabgeordnete, die sich unmerklich verwandeln, wenn sie Berlin verlassen und in ihren Wahlkreis fahren. Sie werden jovialer, vertraulicher, weicher. Die Panzerung, die sie in Berlin tragen, wird faserig. Thomas Oppermann verändert sich nicht. Obwohl er hier „Tommy“ oder Thomas ist, obwohl er in Göttingen seit fast einem Vierteljahrhundert Unterbezirksvorsitzender ist, klingt sein Vortrag, als würde er noch immer bei „Maybrit Illner“ sitzen.
Oppermann ist in einem Dorf im Niedersächsischen groß geworden. Sein Vater leitete eine genossenschaftliche Molkerei. Ländliche Mittelschicht. Er war das einzige Kind, das Abitur machte, die Brüder lernten Automechaniker und Heizungsbauer, die Schwester ist Pflegerin. „Mein Vater legte Wert auf Bildung“, sagt Oppermann.
Ziemlich ausgeglichen
Er ist Bildungsaufsteiger, wie viele aus seiner Generation. Aber es war kein Aufstieg von ganz unten, wie bei Gerhard Schröder, der seinen Karrieresprung mit teuren Anzügen, Zigarren, lukrativem Post-Kanzler-Job demonstrieren musste. Oppermann ist anders. Unprätentiös. Normal. Ziemlich ausgeglichen für einen Spitzenpolitiker. Dünkel liegt ihm fern. Als linke Studenten in Göttingen das SPD-Büro besetzten, rief er nicht die Polizei, sondern brachte ihnen Kaffee.
Mitte der 70er Jahre ging er zwei Jahre als Freiwilliger für Aktion Sühnezeichen in die USA. Ein prägendes Erlebnis. Dort hat er erlebt, wie man Kampagnen organisiert und praktisch Politik macht. Sein Jurastudium in Göttingen zog er durch. Ende der 1970er war er mal bei einer linken Juristen-Gruppe, nicht lange. „Die interessierten sich für RAF-Gefangenen. Das war nicht meine Welt“, sagt er. Mit Stephan Weil, heute SPD-Ministerpräsident in Hannover, gründete er eine neue Gruppe, die gleich die Asta-Wahl gewann. Zielorientiert eben. „Wir waren linkspragmatisch“, sagt Oppermann.
1980 trat er in die SPD ein. Als Juso und Wehrdienstverweigerer war er gegen die Nachrüstung, gegen Helmut Schmidt. „Ich habe Schmidt schon damals sehr respektiert, trotz des Nato-Doppelbeschlusses“, sagt er heute. Das ist ein typischer Satz. Einerseits, andererseits. Kantenlos.
Trittin hält ihn für „eher konservativ“
Jürgen Trittin kennt ihn seit 1979. Trittin war damals Politaktivist des Kommunistischen Bunds und Präsident des Studentenparlaments in Göttingen. „Thomas gehörte zu den eher glatten Jusos, die Karriere machen wollten“, sagt der Grüne. Heute hält Trittin ihn für einen „eher konservativen Sozialdemokraten, der Technokratie als Kompliment empfindet“.
2005 kam Oppermann nach Berlin, er machte rasch Karriere. Im Kurnaz-Untersuchungsausschuss verteidigte er entschlossen SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der den Deutschtürken Murat Kurnaz im US-Gefangenenlager Guantánamo hatte schmoren lassen. „Das war eine riesige Herausforderung“, sagt Oppermann über seine Arbeit im Ausschuss. Er hat sie bestanden. Seitdem ist er einer, der den Job erledigt, wenn er gebraucht wird. Professionell – das ist das Eigenschaftswort, das vielen als erstes einfällt. Freunden wie Gegnern.
Seit 2007 ist er Parlamentarischer Geschäftsführer (PGF) der SPD-Fraktion. Ein Handwerker der Macht. Erzählt er von Erfolgen, lacht er manchmal ein helles Siegerlachen. Darin schwingt ein bisschen ironische Distanz mit. Vor allem drückt es wetterfestes Selbstbewusstsein aus.
Er ist politisch sehr beweglich
Wenn die SPD-Basis Ja zur Großen Koalition sagt, würde Oppermann gern Innenminister werden. Das hätte etwas Historisches. Er wäre erst der dritte Sozialdemokrat auf diesem Posten seit 1918. Traut er sich das zu? „Ich kann unter Druck richtige Entscheidungen treffen“, sagt er. Ohne Zögern. Er hat keine Schwierigkeiten, sich selbst zu loben. Er ist Jurist, clever, begreift schnell. Und er ist politisch beweglich. Sehr beweglich.
Aber es gibt karrieretechnisch zwei Hindernisse. Er ist ein Mann. Und Niedersachse. Sigmar Gabriel ist auch Niedersachse. Frank-Walter Steinmeier, dessen Politkarriere bei Gerhard Schröder in Hannover begann und der wohl wieder Außenminister wird, auch irgendwie. Hubertus Heil ebenfalls. Die Machtelite der SPD sollte aber nicht nur aus Niedersachsen kommen. Außerdem ist die Hälfte der sechs Ministerposten der SPD für Frauen vorgesehen.
Oppermann wurde schon als Innen-, Justiz-, Finanz- und Wirtschaftsminister gehandelt. Fraktionschef ist auch drin. Ein Fraktionsvorsitzender müsse, betont Oppermann, Generalist sein. Er ist Generalist. Die Allzweckwaffe der SPD. Immer feuerbereit, wenn die politischen Gegner Angriffsflächen bieten. Das grobe politische Tagesgeschäft, das Zuspitzen und Poltern, ist eigentlich Sache der Generalsekretäre, wie Dobrindt und Gröhe in der CDU/ CSU. Oppermann hat SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles diese Rolle einfach abgenommen. Die schärfste Attacke, die schneidigste Formulierung kam, bei Guttenberg, Wulff oder der NSA, oft von ihm.
Für manche SPD-Linke ist die Vorstellung, dass Oppermann Steinmeier als Fraktionschef nachfolgt, ein Nachtmahr. Nicht, weil Oppermann zum konservativen „Seeheimer Kreis“ gehört. Mehr, weil er in dem Ruf steht, sich viel um seine Leute und wenig um die ganze Fraktion zu scheren. 2011 bekam er als PGF weniger als Zweidrittel der Stimmen der SPD-Fraktion. Fast ein Misstrauensantrag.
Die Gegner wechseln
Brennt Thomas Oppermann für ein Thema – oder ist er nur ein Technokrat der Macht? „Er lässt sich nicht in die Seele oder ins Blatt schauen“, sagt Volker Beck, der lange Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen und Oppermanns Konterpart war. „Was er wirklich denkt, weiß man nie“, sagt ein linker SPD-Bundestagsabgeordneter.
Oppermann hält sich zugute, bis 2003 als Kultusminister in Hannover für die als heikel empfundenen Studiengebühren und die Umwandlung von Universitäten in Stiftungen gekämpft zu haben – Ersteres ohne Erfolg, Letzteres mit. „Ohne politische Leidenschaft ging das nicht“, sagt er. Und: „Ich bin oft gegen den Strom geschwommen.“ Vor allem gegen den Strom in der SPD, weniger außerhalb.
Im Sommer hat er die Bundesregierung in Sachen NSA heftig attackiert. In Göttingen erklärt er den GenossInnen nun, warum Asyl für Edward Snowden nichts nutzt. Eine humanitäre Lösung für Snowden – gern, aber nicht in Deutschland. Wer dies, wie der Chef der Linksfraktion Gregor Gysi fordere, wolle nicht Snowden helfen, sondern „die Eskalation mit den USA“ anheizen. Antiamerikanismus gewissermaßen.
Oppermann beharrt darauf, er habe seine Haltung in der NSA-Affäre nicht geändert. Faktisch stimmt das. Er hat nie direkt Asyl für Snowden gefordert. Doch die Gegner haben gewechselt. Nicht mehr die verantwortungslose Kanzlerin, Gysi ist nun das Ziel. Dass Oppermann sich vom Wahlkämpfer gegen Merkel zum harten Verteidiger der Großen Koalition wandelt – das gehört zum Geschäft. Was verwundert, ist, wie glatt, selbstverständlich, rückstandslos diese Wende ist. Als würde nichts an ihm haften bleiben.
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