SPD NACH DER WAHL: Für Müller wird es eng
Die Koalition ist uneins, die Themen der SPD sind unklar, und Frontmann Michael Müller kann das nicht mit seiner Ausstrahlung wettmachen.
Volksentscheid verloren, Bundestagswahl verloren, in der Abrechnung hinter den kleineren Koalitionspartner Linkspartei gerutscht: Es sind keine guten Tage für SPD-Landeschef Michael Müller.
Seine Misere hat aber nicht erst am 24. September begonnen. Nicht nur die Opposition, sondern auch Medien bemängeln inzwischen, Müller sei ein „Regierungschef auf Abruf“ geworden – zu Recht. Denn Müller hat in seiner rot-rot-grünen Koalition bislang ein zentrales Problem nicht lösen können: mit der SPD Politik für die ganze Stadt machen zu wollen, wenn die vermeintlichen Partner, vor allem die Linkspartei, in erster Linie ihre Klientel im Blick haben.
Nimmt man die Bundestagswahl, aber auch die jüngsten Umfragen auf Landesebene als Maßstab, so kommt diese Klientelpolitik auf bestürzende Weise nicht nur gut an, sondern deutlich besser als der breitere Ansatz der Sozialdemokraten, der sich bislang im Begriff Volkspartei ausdrückte: nur 17,9 Prozent für die SPD am vergangenen Wahlsonntag, 18,8 Prozent für die Linkspartei. Wäre jetzt Abgeordnetenhauswahl, läge die SPD zwar vorn – aber nur zwei Prozentpunkte statt sechs wie vor einem Jahr.
Eine Bausenatorin von der Linkspartei, die sich trotz aller Verabredungen im Koalitionsvertrag mehr darum kümmert, jetzige Mieter zu schützen und Verdichtung zu verhindern, statt die vereinbarten neuen Wohnungen für all jene bauen zu lassen, die in die Stadt drängen. Grüne, die den Radverkehr zum Maß aller Dinge machen und dabei vergessen, dass sich das Radfahren nicht gesetzlich verordnen lässt.
Die Berlinpartei sein zu wollen, hatte die SPD stets für sich reklamiert. Ihre Botschaft: Nur sie wisse, wie die Stadt funktioniert, wie kleine Leute denken. Inzwischen glauben viele dieser kleinen Leute offenbar, dass die AfD sie besser versteht. Und im linken Lager fehlt oft die Zuspitzung, da nerven die Mittelwege der SPD, da begeistert die klare Kante der Linkspartei: Umverteilung und keine Kriegseinsätze.
Eine Koalition, die nicht an einem Strang zieht, SPD-Themen, die offenbar nicht klar genug sind. Und ein Frontmann, der das nicht durch überragende Ausstrahlung wettmachen kann. Das ist die Lage, in der sich Müller und die Berliner SPD befinden.
Das hat schon etwas Bedrückendes an sich. Denn wer Müller regelmäßig erlebt, der bekommt mit, dass er sich müht, dass er durchaus nicht die Lust verloren hat. Und fraglich ist, ob all jene, die jetzt da und dort als mögliche Nachfolger genannt werden, es denn besser könnten. Raed Saleh, der Fraktionschef, den die SPD-Mitglieder bei ihrer Urabstimmung 2014 am allerwenigsten als neuen Regierungschef sehen wollten. Andreas Geisel, der vormalige Bau-, jetzt Innensenator, anfangs als Bauarbeiter und nach oben gestolperter Bezirksstadtrat verspottet. Oder Franziska Giffey, die Neuköllner Bürgermeisterin, Zögling ihres Vorgängers Heinz Buschkowsky. Die hat nun zumindest öffentlich Zweifel an Müllers Doppelamt als Senatschef und Parteichef geäußert – vielleicht um sich selbst ins Spiel zu bringen?
Müllers Pech ist, dass sich die Können-die’s-besser-Frage nicht stellt, genauso wenig wie bei einem guten, aber in der Ligatabelle nicht erfolgreichen Fußballtrainer. Der SPD bleibt nur die Methode „trial and error“ und die Hoffnung, dass ein Wechsel kein „error“ wird. Kommt sie nicht binnen der nächsten Monate aus ihrem Tief heraus, muss sie ihm nahe legen, die Spitze frei zu machen.
Ein neuer Mann, eine neue Frau, sie wären auch weniger unter Druck in Sachen Tegel. Denn auch wenn Müller nun erste Schritte angekündigt hat, zumindest formell dem Auftrag des Volksentscheids nachzukommen – er bleibt eine Riesenzielscheibe für die Opposition. Sein Gesicht und sein Name sind viel mehr als bei jedwelchem Nachfolger mit der Flughafendebatte verknüpft. Die neue Spitzenfigur, sie hätte bis zum nächsten Wahlkampf gut drei Jahre Zeit zu reüssieren – oder ähnlich zu scheitern wie Müller. Viel zu verlieren hat die SPD als Kaum-noch-20-Prozent-Partei sowieso nicht mehr.
Dieser Text ist Teil des aktuellen Wochenendschwerpunkts der Printausgabe der taz.berlin. Darin außerdem: Wie die Linkspartei es schafft, neue Wähler zu mobilisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW