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SPD-Ministerpräsidentin über K-Frage„Früher wäre besser gewesen“

Anke Rehlinger ist SPD-Ministerpräsidentin des Saarlands. Ein Gespräch über die Personaldebatte in ihrer Partei, die Fehler der Ampel und eine mögliche Koalition mit der CDU.

Anke Rehlinger am 21. November in der Landesvertretung des Saarlandes in Berlin Foto: Doro Zinn

taz: Frau Rehlinger, wer wird der nächste Bundeskanzler?

Anke Rehlinger: Wir als SPD wollen die nächste Bundes­regierung anführen. Olaf Scholz ist der amtierende Kanzler und soll es auch bleiben.

taz: Nach der Debatte um Scholz oder Pistorius spricht viel für Bundeskanzler Friedrich Merz. Der musste ja nur zusehen, wie sich die SPD zerlegt.

Rehlinger: Der Wahlkampf beginnt ja erst. Deutschland hat die Wahl zwischen dem amtierenden Bundeskanzler und Friedrich Merz, der noch nie ein Regierungsamt hatte. Am Ende wird abgerechnet.

taz: Wie sehr hat die Personaldebatte geschadet?

Rehlinger: Jetzt herrscht Klarheit. Dass die SPD mit Boris Pistorius einen sehr guten Verteidigungsminister hat, ist ja nicht schlecht. Jetzt muss die SPD sich geschlossen zeigen.

taz: Hat die Debatte, ob es Scholz oder Pistorius werden soll, zu lange gedauert?

Rehlinger: Früher wäre besser gewesen.

taz: Boris Pistorius hätte die Debatte mit dem Satz „Ich stehe nicht zur Verfügung“ beenden können. Warum hat er das nicht getan?

Rehlinger: Boris Pistorius hat immer gesagt, dass er Olaf Scholz unterstützt. Das tun jetzt alle in der SPD. Es geht um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.

Anke ­Rehlinger

49 Jahre alt, ist stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD und seit 2022 Ministerpräsidentin im Saarland. Dort regiert sie mit einer absoluten Mehrheit und hält den Landesrekord im Kugelstoßen mit 16,03 ­Metern.

taz: Scholz ist unbeliebt, Pistorius beliebt. An Scholz klebt das Scheitern der Ampel. Warum trotzdem Scholz?

Rehlinger: Olaf Scholz ist ein Profi im Kanzleramt. Er kennt Krisen und kann Krisen meistern. Scholz hat die Regierungserfahrung – anders als andere Kandidaten. Er ist ein überlegter, abwägender Kanzler, der nicht aus dem Bauch heraus ent­scheidet.

taz: Das kann Pistorius nicht?

Rehlinger: Doch. Aber das unterscheidet Olaf Scholz von Friedrich Merz.

taz: Merz ist eine kantige ­Figur, neoliberal, Blackrock-Manager, impulsiv. Ist es klug, wenn die SPD eine ­Negativkampagne gegen Merz macht?

Rehlinger: Ich halte nichts davon, jemanden persönlich zu diskreditieren. Jeder kann sich sein Bild machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen entscheiden, wer Deutschland in diesen schwierigen Zeiten nach vorne bringen kann. Mein Eindruck ist: Die Leute wollen Erfahrung – auch mit schwierigen Situationen –, Antworten und keine Show. Dafür sind die Probleme zu substanziell.

taz: 2021 war die SPD im Wahlkampf geschlossen. In der Union zankten sich Laschet und Söder. Das ist jetzt genau umgekehrt …

Rehlinger: Nein. Ich zweifele nicht an der Geschlossenheit der SPD.

taz: Manche Kreisverbände wollen keine Plakate für Scholz aufhängen.

Rehlinger: Ach, es wird viel gesagt. Am Ende will niemand in der SPD einen Kanzler Merz. Jetzt geht es um die Zukunft unseres Landes, Wachstum und Arbeitsplätze.

wochentaz

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taz: Haben Sie den Eindruck, dass die Genossinnen und Genossen für Olaf Scholz brennen?

Rehlinger: Ich habe den Eindruck, dass die Menschen verunsichert sind. Wir befinden uns, egal um welche Person es geht, nicht in Jubelzeiten. Dafür ist die Lage zu ernst. Vor allem, aber nicht nur im Saarland. Das Saarland ist vom Strukturwandel früher und härter betroffen als andere Regionen.

taz: Dort verschwinden gerade Tausende von Industriearbeitsplätzen, in Stahlwerken, bei Ford und dem Autozulieferer ZF.

Rehlinger: Das sind Rückschläge. Strukturwandel ist eben keine Perlenkette von Erfolgen. Ford hat sich gegen das Saarland entschieden. Darin steckte aber auch eine Chance. Auf dem Standort wird sich ein deutsches Familienunternehmen aus der Pharmabranche ansiedeln und will bis zu 2.000 Arbeitsplätze schaffen. Ich kann im Saarland niemandem erzählen, die wirtschaftliche Lage sei super. Auf der anderen Seite ist es falsch, zu sagen, alles geht den Bach runter. Strukturwandel bedeutet, dass sich einiges verändern muss, damit vieles so bleiben kann.

taz: Das macht vielen Angst …

Rehlinger: Ja. Wir brauchen Ehrlichkeit und Transparenz. Niemand kann versprechen, dass es einfach wird. Das wird es nicht. Aber es gibt Positives. In der Stahlbranche werden 4 Milliarden Euro investiert. Es gibt Unternehmen, die sich im Saarland ansiedeln. Es gibt die Chancen. Wir müssen auch im Bund sagen: Manche Probleme sind nicht morgen gelöst, aber wir arbeiten hart daran. Es wird dauern, bis die Bahn in einem akzeptablen Zustand ist. Es wird dauern, bis wir ein Wasserstoffnetz aufgebaut haben. Aber es muss erkennbar sein, dass wir mit Ernsthaftigkeit daran arbeiten. Die Menschen verstehen, wenn man sagt: Drei Sachen sind schlecht, fünf super gelaufen.

Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlandes Foto: Doro Zinn

taz: Welchen Anteil hat die Ampel an der Wirtschaftskrise?

Rehlinger: Wir erleben eine Verschränkung einer kurzfristigen konjunkturellen mit einer langfristigen strukturellen Krise. Die strukturellen Defizite wie den schleppenden Ausbau der erneuerbaren Energien oder den Netzausbau gibt es länger, als die Ampel im Amt ist.

taz: Die SPD hat fast immer mitregiert.

Rehlinger: Das ist richtig. Aber die erneuerbaren Energien und die Stromnetze hat Peter Altmaier nicht ausgebaut. Diese Versäumnisse rächen sich. Erst die Ampel hat den Hebel umgelegt. Und Friedrich Merz will bei der Windenergie eine Rolle rückwärts machen. In der Autoindustrie gehen Jobs verloren, weil die Nachfrage nach E-Autos zu schwach ist.

taz: Weil Ampel die Förderung handstreichartig eingestellt hat.

Rehlinger: Ja. Wir brauchen wieder Kaufanreize für E-Autos. Und es darf kein Rollback zum Verbrenner geben, wohl aber eine Flexibilität beim Weg dahin, damit die Industrie das auch schafft. Denn das verunsichert alle. Wir brauchen einen verbesserten Ausbau der Ladeinfrastruktur. Und dafür mehr billigen, erneuerbar erzeugten Strom.

taz: Klingt gut. Aber die Energiepreise in Deutschland sind zu hoch.

Rehlinger: Sie sind trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wieder auf dem Niveau wie vorher. Die Ampel hat in schwieriger Lage viel richtig gemacht. Deutschland war abhängig von russischem Gas. Friedrich Merz wollte damals ein Gasembargo gegen Russland. Das hätte zu einem wirtschaftlichen Desaster in Deutschland geführt. Aber: International sind die Energiepreise noch nicht wettbewerbsfähig. Wir brauchen darauf Antworten, wie auch bei den Netzentgelten. Das ist auch vor der Bundestagswahl noch möglich.

taz: Deutschland ist beim Wachstum Schlusslicht bei den G7-Staaten. Dafür ist die Ampel verantwortlich.

Rehlinger: Olaf Scholz hat immer deutlich gemacht, dass es der Markt nicht alleine richtet. Die Bremse für Investitionen und damit wirtschaftliches Wachstum war die FDP. Der BDI verlangt 400 Milliarden Euro Investitionen in den nächsten zehn Jahren, damit Deutschland wettbewerbsfähig ist.

taz: Also wird die SPD im Wahlkampf fordern: Weg mit der Schuldenbremse?

Rehlinger: Wir fordern die Modernisierung der Schuldenbremse. Einer meiner Vorgänger, der bei der Einführung der Schuldenbremse und an der Auslegung der Schuldenbremse beteiligt war, ist Peter Müller, Bundesverfassungsrichter a. D. – er hat jüngst gesagt: Das Festhalten an der aktuellen Schuldenbremse ist „ideologisch“. Ich finde, er hat recht.

taz: Soll man die Reform der Schuldenbremse noch vor der Wahl am 23. Februar 2025 angehen?

Rehlinger: Ja, so schnell wie möglich. Auch die meisten CDU-Ministerpräsidenten wollen die Schuldenbremse verändern. Es geht um wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland, nicht um Parteipolitik. Im Moment werden Investitionen von Unternehmen zurückgestellt, weil es an Planungssicherheit fehlt. Oder sie werden sogar außerhalb Deutschlands getätigt. SPD und Union haben die Schuldenbremse gemeinsam eingeführt. Es wäre ein Akt staatspolitischer Verantwortung, sie gemeinsam zu modernisieren.

taz: Merz macht schon Lockerungsübungen.

Rehlinger: Offensichtlich führt schon die vermeintliche Sichtweite von Regierungsverantwortung dazu, Positionen zu verändern. Mir ist es recht. Wir wissen nicht, ob es im nächsten Bundestag eine Zweidrittelmehrheit für eine Reform der Schuldenbremse gibt. Das ist ein Grund, jetzt zu handeln.

taz: Gäbe es im Bundesrat die nötige Zweidrittelmehrheit?

Rehlinger: Ich sehe parteiübergreifend eine große Bereitschaft. Außer bei Herrn Söder. Wir haben alle die gleichen Probleme in unseren Ländern.

taz: Wie sieht es mit der Einnahmenseite aus? Die SPD will eine Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer. Macht die SPD damit jetzt Wahlkampf?

Rehlinger: Es ist besser, jetzt Milliarden in den Erhalt von Arbeitsplätzen zu investieren als später Milliarden in Arbeitslosigkeit. Wirtschaftswachstum ist der wichtigste Faktor für mehr Steuereinnahmen. Aber der Satz, dass starke Schultern mehr gefordert sind als schwache, ist immer noch richtig und Vermögen- und Erbschaftsteuer sind dafür adäquate Mittel. Dabei darf es nicht um Omas Häuschen und auch nicht um Unternehmensvermögen gehen, sondern um die obersten 1 bis 2 Prozent.

taz: Die SPD mag höhere Steuern für Reiche im Wahlkampf, in Koalitionsverhandlungen wandern diese Ideen immer als Erstes in den Papierkorb.

Rehlinger: Dafür braucht man Mehrheiten in Koalitionen, die gab es nicht mit der FDP. Es ist aber möglich.

taz: Mit Merz? Im Ernst?

Rehlinger: Auch die Merz-CDU kann in der Regierung nicht nur Nein sagen. Nein zur Reform der Schuldenbremse, Nein zu Verbesserungen auf der Einnahmeseite, dafür Steuersenkungen. Das geht nicht auf, wenn zugleich investiert werden muss. Würde die Union Verantwortung tragen, müsste sie Grundrechenarten lernen.

taz: Die SPD hat derzeit in Umfragen 14, die Union 33 Prozent. Wie wollen Sie das aufholen?

Rehlinger: Mit einem klaren Plan für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Das ist entscheidend. Ich habe meine Erfahrungen mit Umfragen. Die SPD im Saarland lag achtzehn Monate vor der Wahl mit 22 zu 40 Prozent hinten. Wir haben die Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen. Es geht alles.

taz: Jetzt bleiben aber nur noch knapp 100 Tage. Für den Schlussspurt muss die SPD gut aufgewärmt sein. Das sieht eher nach einem Kaltstart aus.

Rehlinger: Ich glaube, der Kanzler ist gut aufgewärmt. Außerdem gilt das ja für alle gleich.

taz: Die Union braucht keinen Schlussspurt. Sie liegt vorne.

Rehlinger: Abwarten. Wer vorne träge rumläuft und glaubt den Sieg in der Tasche zu haben, muss sich nicht wundern, wenn er am Ende überholt wird.

taz: Das kann der SPD auch noch mit den Grünen passieren, oder?

Rehlinger: Es gibt eine nicht ganz rationale Anti-Stimmung gegen die Grünen. Deutschland hat die Wahl zwischen dem amtierenden Kanzler Olaf Scholz und dem Oppositionschef Friedrich Merz.

taz: Wann ist die SPD reif für eine Kanzlerkandidatin?

Rehlinger: Immer. Wir haben viele gute Frauen wie die Bundestagspräsidentin und gute Ministerinnen. Wir haben zwei SPD-Ministerpräsidentinnen. Die Union hat keine. Wir müssen uns da nicht verstecken.

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