SPD-Ministerin über Betreuungsgeld: "Ein Rückfall in die fünfziger Jahre"
Baden-Württemberg will das geplante Betreuungsgeld verhindern. Es macht die Arbeit von Integrationsbeauftragten zunichte, sagt SPD-Sozialministerin Katrin Altpeter.
taz: Frau Altpeter, Baden-Württemberg hat am Freitag einen Initiativantrag gegen die Einführung des Betreuungsgeldes in den Bundesrat eingebracht. Inzwischen wenden sich auch zahlreiche Verbände gegen die "Herdprämie". Ist das Betreuungsgeld zum Scheitern verurteilt?
Katrin Altpeter: Ich hoffe, dass das Betreuungsgeld scheitert. Es ist kompletter Irrsinn, und das sowohl aus pädagogischer als auch aus familien- und frauenpolitischer Sicht.
Was ist so falsch am Betreuungsgeld?
Es gibt Kinder, die werden zum Beispiel in ihrer Sprachförderung behindert, wenn sie zu Hause betreut werden statt in einer Kita.
Aber nicht alle Eltern, die ihr Kind gern länger zu Hause betreuen, haben Sprachprobleme, die sie auf ihre Kinder übertragen.
Aber die muss man ja dafür nicht belohnen. Genauso wenig muss man Eltern das Au-pair-Mädchen bezahlen, wenn sie Teilzeit arbeiten und das Kind trotzdem nicht in eine Kita bringen, so wie das der Plan von Familienministerin Kristina Schröder vorsieht. Ich bekomme ja auch kein Geld, wenn ich nicht ins öffentliche Hallenbad gehe oder in die staatlich bezuschusste Oper.
48, ist SPD-Sozialministerin in Baden-Württemberg. Die gelernte Altenpflegerin hat seit 2007 einen Lehrauftrag an der Katholischen Fachhochschule Freiburg.
Für manche Eltern sind die 100 Euro, die ab 2013 gezahlt werden sollen, und die 150 Euro ab 2014 nötig in der Haushaltskasse. Mancherorts ist ein Kita-Platz viel teurer.
Deswegen müssen die Anstrengungen ja auch von anderer Seite kommen: Oberste Priorität muss sein, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige ab 2013 durchzusetzen - und zwar für alle Kinder und nicht nur für ein Drittel von ihnen, so wie das jetzt geplant ist.
Bis auf die CSU will das für 2013 geplante Betreuungsgeld niemand. Obwohl die "Herdprämie" auf dem Koalitionsgipfel Anfang November beschlossen wurde, ist sie selbst in der CDU stark umstritten. Die Frauenunion lehnt sie strikt ab. Um diese ruhigzustellen, hatte die CDU auf ihrem Parteitag Mitte November in Leipzig einen Kompromiss gebilligt: Erziehungszeiten sollten in der Rente besser anerkannt werden.
Diesen Beschluss attackieren jetzt CDU-Abgeordnete um den gesundheitspolitischen Sprecher der Union im Bundestag, Jens Spahn, berichtet der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Spahn spreche von einer Finanzierungslücke "von bis zu 10 Milliarden Euro".
Aus koalitionsinternen Kreisen ist indes bekannt, dass das Betreuungsgeld kommen wird - als Zugeständnis an die CSU: Die Bayernpartei und ihr Chef Horst Seehofer stehen derzeit stark unter Druck. Die Partei verliert an Stimmen, jetzt kandidiert auch noch Münchens SPD-Oberbürgermeister Christian Ude für das Amt des bayrischen Ministerpräsidenten. (sis)
Baden-Württemberg ist allerdings nicht dafür bekannt, dass es dort ausreichend Kinderbetreuungseinrichtungen gibt.
Das ist richtig. Deswegen hat die grün-rote Landesregierung vor Kurzem den "Pakt mit den Kommunen für Familien mit Kindern" beschlossen: Für den Ausbau von Kita-Plätzen stellt das Land nächstes Jahr zusätzlich 315 Millionen Euro bereit. Außerdem wird die Schulsozialarbeit erstmals finanziert, mit 15 Millionen Euro jährlich. Und für die Sprachförderung der Drei- bis Sechsjährigen werden allein im kommenden Jahr 11 Millionen Euro ausgegeben.
Dann gehen Eltern, die ihre Kinder partout nicht in eine Kita geben wollen, leer aus. Ist das nicht ungerecht?
Nein. Eltern können es halten, wie sie das wollen. Sie können Elternzeit nehmen und Vätermonate oder das sein lassen. Ich will da gar nichts vorschreiben. Aber es ist nicht einzusehen, dass sie finanziell belohnt werden sollen, wenn sie ihre Kinder von Förderung fernhalten. Da schicken unsere Kommunen zum Beispiel Integrationsbeauftragte zu Migrantenfamilien, um sie davon zu überzeugen, ihre Kinder in die Kita zu bringen. Und jetzt kommt die Bundesfamilienministerin und bietet ihnen Geld dafür, genau das nicht zu tun. Ein Irrsinn! Die Summen, die für das Betreuungsgeld vorgesehen sind, sollten bundesweit so rasch wie möglich in den Ausbau der Kita-Infrastruktur gesteckt werden.
Ist das Betreuungsgeld ein finanzielles oder ein kulturkämpferisches Problem?
Als Kulturkampf würde ich das nicht bezeichnen. Aber es ist absolut nicht zeitgemäß, ein Rückfall in das Frauenbild der fünfziger Jahre. Wir haben heute die bestausgebildete Frauengeneration, die es je gab. Wir haben ein Demografieproblem und einen Fachkräftemangel. Wenn gut ausgebildete Frauen durch das Betreuungsgeld längere Zeit vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, verschlechtert das die Situation. Wir dürfen auf die guten Potenziale von Frauen heute nicht mehr verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann