SPD-Forderungen zur Regierungsbildung: Bis über den Rubikon
Nun werden sie wieder überall bemüht und gezogen im politischen Betrieb – die berühmten roten Linien. Hat das Gewese um Jamaika gar nichts gebracht?
Man würde sie gern mal sehen, mit ihrem „Riesenrucksack voll roter Linien“. Die SPD-Fraktionsvorsitzende „Bätschi“ Nahles brachte jenen Rucksack vergangene Woche im Deutschlandfunk ins Gespräch, allerdings ohne genauer zu definieren, wie der aussehen könnte. Eher schmal und hoch? Oder flach und breit, was ja vielleicht unpraktisch wäre, zum Beispiel beim Fahrradfahren. Wäre er eher ein Tages- oder ein Reiserucksack, gilt er also nur für heute oder für die kommenden Wochen?
Eigentlich sind diese Fragen aber auch unerheblich, denn schließlich lehnt Nahles den Rote-Linien-Rucksack ab. „Man geht nicht in Verhandlungen mit einem Riesenrucksack von roten Linien“, sagte sie im Deutschlandfunk über die anstehenden Gespräche mit der Union. „Dann kann man das sich mit den Verhandlungen auch sparen.“
Das ist ein, wenn auch grammatikalisch etwas holpriger, aber kluger Satz. Nur zeigt sich in der Realität, in der medialen und politischen, dass dieser Satz offenbar niemanden interessiert. Zurzeit kommt man jedenfalls kaum voran, ohne irgendwo über eine rote Linie zu stolpern. Der Beamtenbund sieht eine in der Bürgerversicherung, Christian Lindner zog sie während der Jamaika-Verhandlungen bei der Europapolitik, die Grünen legen sie in Schleswig-Holstein gerade bei den Kita-Gebühren aus. Und Donald Trump überschreitet sie eh mit verlässlicher Regelmäßigkeit, aktuell in Jerusalem.
SPD und Union haben noch nicht zu sondieren begonnen, da reden Journalisten und Parteikollegen schon wieder in Dauerschleife von roten Linien. Wo sie sein sollen oder wo eben nicht. Dabei hat uns doch gerade das Gewese um Jamaika gezeigt, wohin die Suche nach harten roten Linien führen kann.
Bemerkenswert ist dabei nicht nur das Vokabular, sondern auch der Ton. Da wird so viel „gewarnt“ (SPD-Vize Ralf Stegner „warnt“ die CDU vor roten Linien), „gemahnt“ (CDU-Vize Thomas Strobl mahnt, es gehe jetzt nicht um ein „Wunschkonzert sozialdemokratischer Forderungen“) und „appelliert“ (an die staatspolitische Verantwortung der SPD), als müssten sich zwei verfeindete Gegner in Stellung bringen und nicht etwa die beiden, die für die Politik der vergangenen Jahre gemeinsam verantwortlich sind.
So funktioniert die fein abgestimmte Maschine aus journalistischen und sozialen Medien und dem politischen Betrieb mittlerweile. Der Deutschlandfunk will morgens bespielt werden, die Talkshows am Abend besetzt. Und worüber redet man, wenn sich die Regierungsbildung zieht wie ein Kaugummi? Richtig, darüber, welche Form dieser Kaugummi annehmen könnte, wenn er doch dann irgendwann würde, wie er sollte oder könnte. Nur: Müssen es rote Linien sein? Die haben doch, spätestens seit Obama stillschweigend dabei zusah, wie Assad seine rote Syrien-Linie begaste, sowieso keinen Bestand mehr.
Man kennt das ja auch selbst von den roten Linien zu Hause. Der Dreijährige soll nicht zu viel fernsehen – außer beim Autofahren: Da ist das iPad ja so praktisch. Der Putzplan in der Küche definiert, dass Sonntagabend die Wohnung zu blitzen hat. Na gut, außer dieses Wochenende, da waren wir verreist. Der Wecker am Morgen ist erbarmungslos, deswegen ab jetzt immer vor Mitternacht ins Bett. Außer heute, wegen der neuen Staffel von „The Crown“.
Vielleicht ist das Problem also seltener das Überschreiten, sondern eher das Aufstellen der roten Linie. Andrea Nahles und die SPD haben das erkannt, weswegen sie statt roter Linien elf Kernforderungen definiert haben, mit denen sie nun in die Gespräche mit der Union gehen. Das ist doch mal was! Die Forderung, abends vor Mitternacht ins Bett zu gehen, lässt sich im Kern ja auch einhalten. Nur manchmal eben nicht. Aber wenn das zu oft passiert, dann ist der Rubikon wirklich überschritten.
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