SPD-Chef Gabriel über Syrienkrise: „Merkel versucht es nicht einmal“

Sigmar Gabriel fordert von der Kanzlerin, Russland einzubinden. Er verspricht zudem ein schärferes Gesetz für Rüstungsexporte unter Rot-Grün.

Hält es mit Helmut Schmidt („Hundert Stunden verhandeln ist besser als eine Minute Schießen“): SPD-Chef Sigmar Gabriel. Bild: dpa

taz: Herr Gabriel, macht Ihnen die Lage in Syrien Angst?

Sigmar Gabriel: Angst, nein. Aber riesige Sorgen, dass sich dieser Brandherd zu einem Flächenbrand ausweitet.

Was tun?

Wir brauchen eine deutsche und europäische Friedensinitiative - gerade wegen der Eiszeit in den Beziehungen zwischen Russland und den USA. Das anzustoßen ist auch die Aufgabe der deutschen Kanzlerin. Wir haben ja in der Vergangenheit häufig die Rolle des Mittlers eingenommen. Ein Militärschlag, die geplante Strafaktion wegen des Chemiewaffeneinsatzes, wird ja das Morden in Syrien nicht stoppen. Wirklich helfen würde es doch nur, wenn Russland dazu bewegt würde, nicht mehr die schützende Hand über das Assad-Regime zu halten. Nur wenn Russland keine Waffen und wirtschaftliche Hilfe mehr liefert, wird Assad zu einem Waffenstillstand bereit sein.

Klingt gut. Aber wo gibt es Signale, dass Russland sich von Assad weg bewegt?

Ich bin sicher, dass es auch nicht das Interesse Russlands und Putins sein kann, den Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen gegen die Zivilbevölkerung zu decken. Das wäre ja geradezu eine Einladung an alle Diktatoren der Welt, diese grausame Völkerrechtsverletzung auch ins Kalkül zu ziehen. Russland hat deshalb jetzt eine sehr große internationale Verantwortung. Der Giftgaseinsatz hat einfach eine neue Qualität in diesem ohnehin schon fürchterlichen Bürgerkrieg geschaffen. Das wissen die Russen auch.

Jahrgang 1959, ist seit 2009 Parteichef der SPD.

Das sagt Angela Merkel so ähnlich...

Aber wo ist die deutsche Außenpolitik? Wenn Herr Westerwelle sehr schnell feststellt, dass eine politische Lösung „kaum noch vorstellbar“ sei, darf man wohl fragen, warum die Bundeskanzlerin ihn nicht zur Ordnung ruft. Ein Außenminister, der sich politische Lösungen nicht mehr vorstellen kann, hat entweder einen beklagenswerten Mangel an Vorstellungskraft oder ist einfach fehl am Platz. Ich würde Angela Merkel übrigens nicht kritisieren, wenn ihre außenpolitischen Initiativen keinen Erfolg hätten, denn dafür könnte sie nichts. Ich kritisiere sie, weil die es gar nicht erst versucht, sondern ihren Außenminister über Militärschläge schwadronieren lässt.

Die Kanzlerin hat am Donnerstag mit Putin gesprochen. Ergebnis: Man strebe eine poltische Lösung an...

...nachdem sie dazu öffentlich aufgefordert werden musste. Angela Merkel muss jetzt dringend gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen eine europäische Friedensinitiative starten und Russland einbinden. Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat Recht, wenn er vorschlägt, die vier wichtigsten Gestalter der internationalen Politik zusammen zu bringen: Den UN-Generalsekretär, die Präsidenten Obama und Putin sowie den Präsidenten der Arabischen Liga. Diese vier hätten die Kraft, eine Waffenruhe zu vereinbaren, um humanitäre Korridore zu etablieren und der geschundenen Bevölkerung zu helfen. Auf diesem Weg könnte man auch den Anschlagsort untersuchen, um sicher zu wissen, wer wirklich verantwortlich für diesen Giftgasangriff ist. Diese Vorschläge von Peer Steinbrück müssen während des G 20 Gipfels in St. Petersburg beraten werden und sie bieten Russland die Chance, zu einem aktiven Partner einer neuen Syrienpolitik zu werden.

Ist der Militärschlag, den die USA offenbar vorbereiten, falsch?

Es gilt das alte Motto von Helmut Schmidt: Hundert Stunden verhandeln ist besser als eine Minute Schießen. Deshalb wäre es falsch, jetzt als erstes mit Militärschlägen zu antworten. Die UN-Inspektoren sind noch nicht einmal aus Syrien zurück. Sie müssen doch erst einmal ihren Bericht im Sicherheitsrat der UN vortragen. Und auch danach brächte uns eine weitere Drehung der Kriegsspirale doch nicht weiter. Das Morden wird nicht gestoppt, sondern im Gegenteil: es könnte noch weitere Kreise ziehen. Deutschland und Europa müssen deshalb alles daran setzen, Russland bei Waffenstillstandsbemühungen ins Boot zu bekommen.

Schwarz-Gelb hat sich im Libyen-Krieg defensiv verhalten, Rot-Grün die Bundeswehr in den Kosovo und nach Afghanistan geschickt. Gibt es noch grundsätzliche Unterschiede in Außen- und Sicherheitspolitik zwischen SPD und Union?

Ich habe ja gerade beschrieben, wo die Unterschiede im vorliegenden Fall von Syrien liegen. Aber ganz grundsätzlich ist der politische Konsens in der Außenpolitik sogar wünschenswert. Und zwar für unsere Nachbarn in Europa und in der Welt. Wenn immer die Gefahr bestünde, dass nach einem Regierungswechsel 180 Grand-Wendungen in der deutschen Außenpolitik drohen, wäre das bei der Größe und Bedeutung Deutschlands für viele andere Länder sehr irritierend. Die wollen vor allem ein politisch berechenbares Deutschland. Es gab eigentlich nur einen einzigen harten Bruch dieser Regel. Das war 2002 als Angela Merkel sich in den USA gegen die deutsche Außenpolitik gestellt hat und für eine Beteiligung am Irakkrieg ausgesprochen. Das war einmalig.

Wenn sie von Verlässlichkeit sprechen, wie steht es mit Rüstungsexporten? Wird eine rot-grüne Bundesregierung auch auf Kontinuität setzen?

Die jetzige Bundesregierung hätte sich besser an den bisherigen Konsens gehalten. Doch statt wie bisher auf Zurückhaltung beim Rüstungsexport zu setzen steht im Koalitionsvertrag 2009 ein ganz anderer Begriff - nämlich „verantwortliche Handhabung.“ Merkel hat im Oktober 2012 in ihrer Regierungserklärung die Rüstungsexportpolitik nicht mehr unter dem Blick der Einhaltung von Menschenrechten oder dem Verbot von Lieferungen in Spannungsgebiete gestellt, sondern ausdrücklich zum Bestandteil der strategische Außen- und Sicherheitspolitik erklärt. Frau Merkel sagt: Sie wolle mit Rüstungspolitik andere Staaten, ich zitiere, „ertüchtigen“. Das hat es unter Rot-Grün nicht geben und das werden wir auch nicht fortsetzen.

Die Rüstungsindustrie hat unter Schröder blendend verdient. Als erstes wurde 1999 Panzer an die Türkei geliefert...

Die Türkei ist ein Nato-Partner...

..und ein Spannungsgebiet...

Aber ein Nato-Land ist anderen gesetzlichen Auflagen unterworfen als die Waffenexporte, die Merkel zu verantworten hat. Angela Merkel hat doch gerade nicht die Waffenexporte in Nato-Staaten erhöht, sondern in Länder mit massiven Menschenrechtsverletzungen und innerstaatlichen Gewaltkonflikten. Die Ausfuhren an Drittstaaten sind um 42 Prozent gestiegen - darunter an 76 Staaten, die nach den EU-Standpunkten problematisch sind. Allein 64 Staaten mit bedenklicher Menschenrechtssituation und 39 mit internen Gewaltkonflikten. Das sind doch die Staaten, in denen dann mit deutschen Waffen Bürgerrechtsbewegungen unterdrückt oder der internationale Waffenhandel versorgt wird.

Auch unter Rot-Grün wurden Kleinwaffen nach Saudi-Arabien exportiert.

Aber keine Kampfpanzer wie heute. Und doch haben Sie Recht: Kleinwaffen sind heutzutage das Mittel in asymmetrischen Kriegen und Bürgerkriegen. Es gibt völlig veränderte militärische Konflikte auf der Welt. Und was macht Deutschland? Wir verkaufen 2012 doppelt so viele Kleinwaffen wie 2011. Volumen 76 Millionen Euro. Und wieder sind es Staaten wie Saudi Arabien oder der Irak. Deutschland ist nach den USA zum größten Kleinwaffenexporteur geworden.

Will die SPD ein generelles Exportverbot von Kleinwaffen?

Ich bin sehr dafür, ein generelles Verbot zum Kleinwaffenexport in diese Länder durchzusetzen. Wir haben ja jetzt den Antikriegstag am 1. September. Es wäre gut wenn eine rot-grüne Bundesregierung am 1. September 2014 ein neues und deutlich schärferes Rüstungsexportgesetz verabschieden würde, um die alten Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetze aus der Zeit des kalten Krieges endlich abzulösen.

Also will die SPD kein generelles Verbot von Kleinwaffen-Export.

Wenn deutsche Firmen weiter Kleinwaffen in Nato-Staaten liefern dürfen, kann niemand ausschließen, dass sie nicht doch in Spannungsgebiete weitergeliefert werden. In Libyen haben sich Gaddafi-Truppe und Rebellen beidseitig mit deutschen Waffen getötet.

Kamen die Waffen nicht auch über Nato-Länder dorthin?

Nein, das ist falsch. Waffen wie das G 36 sind ganz offensichtlich zuerst offiziell nach Ägypten geliefert worden und dann über den Umweg Libyen nach Mali gekommen. Dort stehen heute französische Soldaten diesen deutschen Gewehren gegenüber. Wir sehen doch täglich, dass die Genehmigungen von CDU/CSU und FDP für diese gigantischen Steigerungen von Waffenverkäufen in unsichere Drittstaaten das eigentliche Problem sind. Wir brauchen aber durchaus auch bei Lieferung in Natoländer wirksame Endverbleibskontrollen, auch deutlichere Markierungen.

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