SOZIALE STADT: Ordnung kommt von unten
Pankows Ordnungsstadtrat Jens-Holger Kirchner ist ein Grüner. Als Erfinder der Ekelliste ist er über die Grenzen Berlins hinaus bekannt geworden. Sein eigentliches Thema aber ist der Zusammenhalt in der Stadt - und der Egoismus der eigenen Wähler.
Geschichten, sagt Jens-Holger Kirchner, Geschichten könne er erzählen, die glaubt keiner. Eine davon ist die mit der Demo für eine Verkehrsberuhigung am Volkspark Friedrichshain. "Da kommen die Wortführer der Bürgerinitiative im Geländewagen vorgefahren, packen ihre Kinder und Transparente vom Rücksitz und gehen gegen den Autoverkehr auf die Straße." In solchen Momenten, sagt der Stadtrat für Öffentliche Ordnung im Großbezirk Pankow, "ringe ich um professionelle Distanz".
Ausgesucht hat sich Kirchner solche Geschichten nicht. Dass der Grüne, wie er selbst sagt, Pankows "Innenpolitiker" wurde, geht auf die Kappe von SPD und Linkspartei bei der Verteilung der Stadtratsposten 2006. "Die wollten die Grünen ärgern und haben mir das Ordnungsamt zugeschustert." Zehn Sekunden lang, sagt Kirchner, habe er damals schlucken müssen.
Das Schlagwort "Gentrifizierung" ist in aller Munde. Jahre nach Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus wird wieder über Wohnungspolitik und eine soziale Stadtentwicklung diskutiert. Die taz widmet dem Thema eine Serie. Wie funktioniert die Gentrifizierung? Und wie kann soziale Wohnungspolitik sinnvoll eingreifen?
Bereits erschienen sind Texte zu den Themen rot-rote Mietenpolitik (19. 12.), Baugemeinschaften (23. 12.), Gentrifizierung (30. 12.), Hausbesetzungen (31. 12.), Hausverwaltung (5. 1.), Mietobergrenzen (15. 1.), Quartiersmanagement (22. 1.), Townhouses (27. 1.), Mieterverein (5. 2.), Wohnungsbaugesellschaften (23. 2.), linke Aktivisten (2. 3.), Task Force Okerstraße (9. 3.) und Genossenschaften als Alternative (13. 3.).
Doch dann kam der Gedanke mit der Herausforderung. Kirchner hat sie angenommen. Dass er als zuständiger Stadtrat für den Verbraucherschutz mit der "Ekelliste" für Cafés und Restaurants mal in der "Tagesschau" landen würde, wusste er damals noch nicht.
Jens-Holger Kirchner, den seinen Freunde nach Nils Holgersson "Nilson" nennen, sitzt im Büro in der Darßer Straße, wo Weißensee an Hohenschönhausen grenzt, und zeigt auf das Schild. "Ablagern von Laub, Garten- und anderen Abfällen jeglicher Art ist VERBOTEN". Als ob das nicht reichen würde, wird noch gedroht: "Zuwiderhandlungen werden nach dem Ordnungswidrigkeiten-Gesetz STRENG geahndet".
Verbote, Drohungen, Ahnden - was hat das mit bürgerfreundlicher, grüner Politik zu tun? Kirchner stellt die Gegenfrage: "Was ist daran bürgerschaftlich, wenn ich tonnenweise Müll auf Straßen und vor Kleingartenkolonien kippe?" Kirchner nickt ein Sehen-Sie!-Nicken und redet sich in Rage. "Eine bodenlose Schweinerei ist das. Gegen die hilft auch keine Sozialpädagogik." Die Strafandrohung aber hilft. Sagt Kirchner. "Freiheit ist das eine, Verantwortung das andere." Deshalb hat er vor drei Jahren seine Kiezstreifen losgeschickt. Um ein bisschen nachzuhelfen mit der Verantwortung.
Es sind solche Dinge, die dem Fünfzigjährigen einen gewissen Ruf eingebracht haben. Ordnungsfanatiker, sagen die einen, staatsfixiert sei er, schimpfen die anderen. Eigentlich untypisch für einen Grünen und eine Partei, die in Opposition gegen Staat und Ordnung entstanden ist.
Doch Kirchner ist nicht in Gorleben großgeworden, nicht in Brokdorf und nicht in Wackersdorf, sondern in Köpenick. Dass er als Ostler noch zwanzig Jahre nach der Wende für einen starken Staat eintrete, lässt er trotzdem nicht gelten. "Das Gegenteil ist der Fall", meint er. "Ordnung ist nicht Sache des Staats, sondern jedes Einzelnen." Doch statt die Konflikte eigenständig zu regeln, werde immer öfter die Polizei oder das Ordnungsamt gerufen.
Eine Geschichte gefällig? Bitte schön, grinst Kirchner und erzählt von Blankenburg. In die gediegenen Einfamilienhäuser im Norden Pankows sind seit einiger Zeit auch die gezogen, die, wie Kirchner sagt, "beruflich in Kopenhagen für eine bessere Umwelt kämpfen". Geht es jedoch um das eigene Umfeld, werden keine Kompromisse gemacht. "Seit einiger Zeit gehen die Streife und durchkämmen das Viertel auf der Suche nach Leuten, die zu laut feiern oder ein Feuerwerk abbrennen. Die führen richtig Krieg."
Kirchner kennt nicht nur die Geschichten, er kennt auch die Ursachen. "Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Leute immer radikaler ihre Partikularinteressen durchsetzen wollen. Das ist ein Lebensmodell, das mit einer Großstadt nicht kompatibel ist."
Auch die Widersprüchlichkeit der eigenen Wählerklientel nimmt Kirchner nicht aus: "Alles öko, hochgradig anspruchsvoll, aber oft auf sich konzentriert." Das mögen einige in Prenzlauer Berg, wo die Grünen fast schon SED-Wahlergebnisse einfahren, nicht so gern hören.
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Anfangs konnte das Kirchner nicht. Der Anfang, das war die Planung für die Oderberger Straße in Prenzlauer Berg. Saniert werden sollte die schon zu Ostzeiten legendäre Szenemeile, so wie man sich das als Stadtrat, dem auch das Tiefbauamt untersteht, vorstellt: ein neuer, leiser Straßenbelag, Parktaschen, hübsche Bürgersteige.
Das Problem war nur: Die Bewohner der Oderberger Straße wollten keinen neuen Straßenbelag. Auch Parkplätze wollten sie nicht einbüßen und erst recht nicht die Blumenkübel auf den Gehwegen. Nicht auf egoistische Porsche-Cayenne-Fahrer traf Kirchner hier, sondern auf eine engagierte Bewohnerschaft. Eine, die ihm, der 1979 nach Prenzlauer Berg zog und den Abenteuerspielplatz in der Kollwitzstraße aufbaute, plötzlich vorwarf, "keine Ahnung vom Prenzelberg" zu haben.
"Das war hart." Kirchners Mundwinkel zucken, dann hat er sie wieder, die professionelle Distanz. Kann sagen, dass er viel gelernt hat im Streit mit den Anwohnern. Dass er mit einer Nullachtfünfzehnplanung an den Start ging. Dass er das Besondere an der Oderberger Straße unterschätzt hat. Eines aber sagt er auch: "Wenn wir bei jedem Straßenbauvorhaben ein so aufwändiges Beteiligungsverfahren machen würden, könnten wir keine Straßen mehr sanieren."
Schade wäre das. Für Kirchner und für das Geld, das ihm plötzlich aus dem Konjunkturpaket II zur Verfügung steht. Wie gut, dass es nicht überall so widerspenstig zugeht wie in der Oderberger Straße oder in der Kastanienallee. "In Alt-Pankow wehren sich die Leute nicht, sondern sind froh, dass was passiert." Gleich sechs Baustellen hat der Ortsteil inzwischen gleichzeitig. Probleme gab es kaum. "Manchmal", lächelt Kirchner, "war das ein richtiger Durchmarsch." Insgesamt aber, sagt er, lohne sich der Aufwand. "Bürgerbeteiligung muss zu den Standards gehören - wenn die Verwaltung dabei nicht zusammenbricht."
Gibt es für einen, der auf die Verantwortung der Bürger setzt und zusehen muss, wie diese mit ihrem Ruf nach Ordnung alle aufs Ordnungsamt zeigen, auch Glücksmomente? Ja, sagt Kirchner, "wenn ein Gehweg fertig wird und die Omi mit ihrem Rollator wieder in den Bürgerpark kommt." Oder wenn er wieder einen neuen Fahrradweg einweihen kann.
Aber Glücksmomente sind noch keine politischen Erfolge. "Was wir brauchen, ist ein neuer Stadtvertrag, in dem sich die Bewohner eines Quartiers zu einer neuen Bürgerschaftlichkeit verpflichten." Leider nur, weiß Kirchner, ist das nicht umzusetzen. Bleiben vorerst Verbote und Strafandrohungen. Vielleicht gibt es ja bald, wenn Kirchner nicht nur Stadtrat ist, sondern Bezirksbürgermeister, eine Ekelliste für asoziales Benehmen.
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