SOZIALDEMOKRATISCHE MINISTER IM DIALOG MIT WIRTSCHAFTSFÜHRERN: Zucker für die Bosse
Eine ungewöhnliche Konstellation: Gleich vier Minister stellten sich am Mittwochabend Streitgesprächen vor laufenden Kameras, eins gegen eins mit Verbandschefs der Wirtschaft. Eine besondere Geste der Regierung, die mehr aussagt als das ein oder andere Zuckerbrot für Unternehmer. Das direkte Streitgespräch zweier Kontrahenten ist in Deutschland eine seltene Form. In der Regel verweigern hiesige Regierungschefs ihren Herausforderern solche Weihen, bergen sie doch immer das Risiko, den Amtsbonus zu gefährden. In den USA, wo solche Duelle zum Wahlkampfalltag gehören, gelten sie nicht umsonst als wahlentscheidend.
Nun hat Kanzler Gerhard Schröder auf der Wirtschaftsveranstaltung anlässlich der Halbzeit der Regierung selbst auf eine direkte Konfrontation verzichtet. Das war sicher klug, denn gegen den schlagfertigen, gefestigten Polemiker Hans-Olaf Henkel hätte er vermutlich schlecht ausgesehen. Dafür schickte er seine Minister Walter Riester, Otto Schily, Werner Müller und Heidemarie Wieczorek-Zeul in den Ring.
Ganz abgesehen vom Ausgang der Gespräche – die angetretenen Verbandspräsidenten wirkten eher blass – ist das eine tiefe Verneigung vor der Wirtschaft. Man stelle sich eine solche Veranstaltung bei den Gewerkschaften vor, den Verbraucher- oder gar den Umweltverbänden.
Für den Kanzler ist es wichtig, sein Image als Wirtschaftsmann, aufgebaut durch die Steuerreform, bis zur Wahl zumindest zu konservieren. Sparpaket und Steuerpolitik sind die politischen Pfeiler des derzeitigen Erfolges der Regierung. Da ist es nützlich, ganz dicke mit den Unternehmern zu tun. Hinzu kommt, dass die Regierung derzeit an einer Förderung von Frauen in den Betrieben, von Teilzeitarbeit und mehr Mitbestimmung arbeitet – Projekte, die endlich die Gewerkschaften bedienen sollen, die bislang nicht viel mehr als Aufrufe zur Lohnzurückhaltung bekommen haben. Schröder weiß, dass das Image vom „Genossen der Bosse“ nicht die einzige Facette seiner Person bleiben darf, will er die nächste Wahl wieder gewinnen. Und mit der zweiten Halbzeit der rot-grünen Regierung nähert sich ja auch schon wieder der Vorwahlkampf.
Die Wirtschaftslobbyisten haben ein ähnliches Kalkül. Zum Anfang von Rot-Grün mussten auch sie sich gut stellen – wollten sie doch Einfluss auf die anstehende Steuerreform nehmen. Nun nähert sich das Ende der Legislaturperiode. Und da wollen auch die nach wie vor konservativen Spitzenverbände nicht mehr so viel Rücksicht nehmen. Die Union zurück an der Regierung: Das wäre halt doch irgendwie schöner. Es muss ja nicht unbedingt Merz an der Spitze stehen. MATTHIAS URBACH
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