piwik no script img

SOZIALDEMOKRATEN RÜCKEN VOM SOZIALSTAAT ABDer doppelte Arbeitsminister

Berlin hat einen neuen Machtkampf. Nein, nicht zwischen Kanzler Schröder und Herausforderer Stoiber. Der Krach spielt sich eine Etage tiefer ab – und dann auch noch zwischen zwei Sozialdemokraten. Die sind: Walter Riester, derzeit Bundesarbeitsminister. Gegen: Florian Gerster, derzeit Sozialminister in Rheinland-Pfalz und demnächst Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Arbeit.

Gerster fordert öffentlich, was Riester nicht will: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bei älteren Arbeitnehmern solle von jetzt 32 Monaten „stufenweise“ abgesenkt werden. Die Retourkutsche des Arbeitsministeriums ließ nicht auf sich warten: Man gehe davon aus, „dass Gerster diese Äußerung noch als Minister von Rheinland-Pfalz getätigt“ habe – nicht aber als Chef der Bundesanstalt.

Mit dieser knappen Replik wurde Gerster bedeutet, dass er demnächst eben kein Minister mehr ist, sondern einem untersteht. Doch dürfte sich Gerster diesen deutlichen Tadel nicht sehr zu Herzen nehmen. Schließlich hat er den Konflikt mit seinem Chef immer schon vorausgesehen. Und hat sich daher schon bei seiner Ernennung zum Chef der Arbeitsämter von Schröder persönlich versichern lassen, dass er an der Arbeitsmarktpolitik mitwirken darf. Was das bedeutet, ist spätestens jetzt deutlich: Deutschland hat nicht mehr nur einen Bundesarbeitsminister, sondern zwei.

Zum Kalkül von Gerster dürfte auch gehören, dass nur noch eine kurze Frist der Doppelherrschaft zu überbrücken ist – bis zur Bundestagswahl am 22. September. Danach sind viele Varianten denkbar, aber welche auch immer es ist: Riester wird wahrscheinlich nicht mehr im Amt sein. Gibt es eine CDU-geführte Regierung, so ist Gerster ein einsames SPD-Relikt mit viel Macht; gelingt es Schröder, seine Kanzlerschaft fortzusetzen – warum sollte sein nächster Arbeitsminister dann nicht Gerster heißen? Bewährt und geprüft durch radikale Reformen in der Bundesanstalt für Arbeit?

Der Kampf Riester gegen Gerster ist mehr als ein Geplänkel zwischen zwei Personen. Es geht auch um eine Richtungsentscheidung bei den Sozialdemokraten. Sie lautet im Kern: Wie viel Sozialstaat wollen wir uns noch leisten? Die Antwort wird immer klarer: nicht mehr viel. ULRIKE HERRMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen