piwik no script img

SO VIEL KRITIK MUSS SEIN: Benno Schirrmeister ÜBER VERSTEINZEITLICHTE FERNGESPRÄCHE AN DER SCHWANKHALLEMit reitender Botin

Was ist ein Apparat? Die Frage stellt sich, weil derzeit das Gießener Performing Arts Kollektiv „Mobile Albania“ an der Bremer Schwankhalle mit der Produktion „Der Apparat“ gastiert. Sie nimmt an der Möglichkeit, sich über räumliche Distanz hinweg zu unterhalten, die für die Gegenwart so fundamental ist, eine Verzauberung vor.

Sie schraubt nämlich den Technisierungsgrad zurück: vom mobilen Endgerät als komplexer Kommunikationsmaschine, die durchs Zusammenspiel mehrerer Apparate funktioniert, auf ein Handarbeits-Level. „Steinzeitisierung“ nennen sie diese Vorgehensweise. Sie funktioniert bei der aktuellen Produktion so: Wer sich anmeldet, wird – das ist eine eigentümliche Erfahrung – im Stadtraum auf einem Hochsitz platziert und dort mit einem unbekannten Gegenüber verbunden. Ohne Draht, ohne Funk sollen die zwei miteinander sprechen, indem sie einem Mitglied des Albania-Teams etwas erzählen, das daraufhin als fahrradreitende Botin aufbricht, um am anderen Ende das Gesagte wiederzugeben. Oder nur das Gemeinte? Entleerung von Sinn ist eine Technikfolge, die auch Komik produziert: Als Mobiltelefone neu waren, hatte man ja, weil die Tastensperren versagten und die Jeanstaschen zu eng waren, oft genug irgendeinen Arsch am Ohr, und mühte sich, die Reibegeräusche zu deuten. Mobile Albania befördert die gegenläufige Tendenz: Ihr Apparat löscht Sinnlosigkeit. Auf Klarsichtstreifen übertragene Wortprotokolle der Gespräche deuten Unartikuliertes als „Schritte“ oder „Hundegebell“.

In der Schwankhalle werden diese Folien in Rundrahmen gespannt, in ein großes Mobile eingehängt und die Sätze an papierne Wolken projiziert, bedeutungsschwere Träume, ein Himmel des Symbols. Das Symbolische aber ist, so sagt der Psychoanalytiker Jacques Lacan, „die Welt der Maschine“.

Mi.–Sa. mehrmals tägl., Schwankhalle; Anmeldungunter0421 / 520 80 70 erforderlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen