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SCHRÖDER SPANNT WALSER EIN – ABER NICHT ALS GEISTIGEN PATENEin Kanzler auf Ideensuche

Schröder trifft Walser, das ist wie Mann beißt Hund – ein Hingucker. Doch warum empört sein über das Podium mit dem Poeten des neuen Patriotismus? Hat der Kanzler die anderen nicht alle längst getroffen, die Freimut Duves und Walter Jensens dieser Republik? Am 8. Mai springt Schröder ins kalte Wasser, statt einmal mehr im rot-grünen Kräutertee zu baden. Für die entscheidende Frage kann das nur gut sein: Welche Idee hat die Regierung eigentlich für dieses Land?

Viele, die sich aufregen, glauben, Martin Walser nutzt Gerhard Schröder zur Propagierung seiner Ideen. Tatsächlich ist es umgekehrt. Der Kanzler spannt den Dichter ein – fürs Nachdenken und ein bisschen auch für den Wahlkampf. Daran knüpfen manche die Befürchtung, Schröder suche in Walser einen geistigen Paten. Falscher kann man nicht liegen. Ein Auftritt mit Walser beschert nicht Ruhm, sondern Ärger. Doch Schröder vermeidet viel zu oft Ärger, der die Erkenntnis fördert.

Am Ende von vier Jahren Rot-Grün ist unbestimmter denn je, was Deutschland ist, was es will und was es darf. Der Grund: Rot-Grün verändert das Land nicht durch Gedanken, sondern durch Taten. Deutsche Soldaten stehen heute, wo einst die Wehrmacht stand; zugleich kann jetzt Deutscher werden, wer gerade noch Ausländer war. Es gibt keine einfache Linie mehr von der deutschen Vergangenheit zur deutschen Gegenwart. Das Duo Schröder/Fischer hat in vier Jahren die Grenzen des Erlaubten weiter verschoben als Helmut Kohl in 16 Jahren – und darüber kaum ein Wort verloren.

Nach dem 11. September hat der Kanzler ganz nebenbei die Nachkriegszeit für beendet erklärt – und offen gelassen, was danach kommt. Weil die Abkehr von der Vergangenheit als Richtschnur nicht mehr reicht, braucht die Ost-West-Republik Deutschland einen eigenen Maßstab. Bisher vermögen weder die Regierenden noch die Regierten, das Neue auf einen Begriff zu bringen. Die Bürger dürfen sich ruhig Zeit lassen, doch der Kanzler sollte allmählich mit Ideen aufwarten. Solange er Antworten verwehrt, verweigert er sich der Kritik – und leistet der Verschwörungstheorie Vorschub, die Regierung sei versessen auf eine neue Großmachtrolle. PATRIK SCHWARZ

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