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SCHABOWSKI UND KLEIBER WERDEN BEGNADIGT, KRENZ BRUMMT WEITEROpportunismus lohnt sich

Pünktlich zum deutschen Einheits-Jubelfeiertag sendet die heutige bundesrepublikanische Polit-Elite den gestrigen „Landsleuten in der DDR“ ein Versöhnungssignal: Günter Schabowski und Günther Kleiber werden per 3. Oktober begnadigt. Die gnadewürdigen Expolitbürobosse haben sich – so wird begründet – klar vom SED-System distanziert. Oberboss Egon Krenz aber nicht. Deshalb muss der weiter brummen.

Die Idee mit dem Signal ist ziemlich gut. Ihre Realisierung ging auch diesmal leider gründlich daneben. Wer wert auf Symbolik legt, kann sich nur geblendet fühlen. Es ist die Begründung, die sich als Crux entpuppt. Sie zementiert: Opportunismus lohnt sich. Die Entscheidungsträger des heutigen Systems belohnen die, die der einstigen Lehre abgeschworen haben und stattdessen die Vorteile des neuen Systems, also das der Begnadiger, lobpreisen. Man kann Krenz vieles völlig zu Recht vorwerfen – ein Gesinnungslump aber ist er nicht. Krenz leugnet nicht, was er zu verantworten hat – auch wenn das verschroben trotzig, sozialistisch daherkommt. Schabowski aber will heute seine Fehler sehen: Wie konnte ich nur so lange, so aktiv den DDR-Staat so machtvoll mitgestalten. Wo mir doch jetzt klar geworden ist, wie verlogen, repressiv, diktatorisch das DDR-Regime war, das ich einst als oberster Medienpolitiker, Parolengeber und Zensor preisen ließ. So viel ehrliche Selbstkritik muss einfach belohnt werden.

Übersetzt für den Ossi vulgaris bedeutet das: Willkommen, der du dich eingefunden hast im neuen Land. Du aber, der mit dem Früher nicht gebrochen hast, bist noch nicht reif für uns. Wer jedoch im Jahre zehn der deutschen Einheit tatsächlich eine Versöhnung will, der muss das Signal an die zweite Gruppe richten – nicht an die erste. Die ist ja offenbar schon versöhnt. Zudem muss ein solches Signal unbedingt flankiert werden: etwa endlich mit angemessenen Entschädigungen für die Opfer des DDR-Systems. Denn gerade die brauchen ein Signal. Das aber ist nicht in Sicht. Die bundesdeutsche Polit-Elite zeigt weiterhin völlige Hilflosigkeit beim Umgang mit Symbolik. NICK REIMER

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