Russland und Armenien: Käse als Gefahr

Moskau stoppt den Import von Milchprodukten aus Armenien. Diese entsprächen nicht russischen Standards. Der Schritt dürfte politisch motiviert sein.

Ararat Mirsojan und Sergei Lawrow reichen sich die Hände

Armeniens Außenminister Ararat Mirsojan (l.) und sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow in Moskau Foto: AP

BERLIN taz | Russland hat hohe Ansprüche an die Qualität von Lebensmitteln und dabei offensichtlich vor allem von Milchprodukten. Das bekommt jetzt Armenien zu spüren. Seit Mittwoch dieser Woche dürfen aus der Südkaukasusrepublik keine Milchprodukte mehr nach Russland exportiert werden. Diese Anweisung des Föderalen Dienstes für Veterinär- und Pflanzenschutzaufsicht Rosselkhoznadzor erging am vergangenen Wochenende an die zuständigen armenischen Behörden. Das Importverbot gilt ab Mittwoch dieser Woche.

Zur Begründung hieß es, eine kürzlich erfolgte Inspektion in zwei Betrieben habe ergeben, dass die in Armenien hergestellten Produkte nicht russischen Sicherheitsstandards entsprächen. Mit ein Grund dafür sei, dass für die Produktion Milch aus dem Iran verwendet werde.

Entsprechende Lieferverträge hätten Iran eine Hintertür in die Eurasische Wirtschaftsunion (EEU) geöffnet. Der EEU gehören neben Russland und Armenien auch Belarus, Kasachstan und Kirgistan an. Über die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Exporte nach Russland könne diskutiert werden, sobald Jerewan alle Regelverstöße beseitigt habe, heißt es in der Erklärung von Rosselkhoznadzor weiter.

Jerewan reagierte mit Unverständnis auf den Schritt Russlands. Die jüngste Inspektion habe keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass es Probleme gebe, die die Gesundheit und das Leben von Menschen bedrohten. Die aus dem Iran importierte Milch sei sicher, zitiert der Sender Radio Freies Europa einen Sprecher der armenischen Lebensmittelaufsichtsbehörde.

Lebensmittelbann als Strafmaßnahme

An die Mär von qualitativ minderwertigen und gesundheitsschädigenden armenischen Milchprodukten wollen Be­ob­ach­te­r*in­nen nicht so recht glauben. Vielmehr werten sie den Lebensmittelbann Moskaus als Aktion, um den kleinen „Verbündeten“ politisch abzustrafen.

Am 23. März 2023 hatte das armenische Verfassungsgericht entschieden, dass das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IstGh) mit dem armenischen Grundgesetz vereinbar sei und damit den Weg für eine Ratifizierung freigemacht. Jerewan hatte das Dokument 1998 unterzeichnet. 2004 erklärte das höchste Gericht das Statut in Teilen für verfassungswidrig.

Dessen jüngste Entscheidung in dieser Angelegenheit wäre in Moskau wohl nicht weiter beachtet worden, hätte der IstGh nicht am 17. März 2023 Haftbefehle gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin sowie dessen sogenannte Beauftrage für Kinderrechte, Maria Lwowa Belowa, wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen.

Während Ex­per­t*in­nen noch darüber spekulierten, ob Jerewan nach einer Ratifizierung Putin, sollte er Armenien besuchen, festsetzen müsse, sprach Moskau bereits unverhohlene Drohungen aus: Die Pläne Jerewans, dem Römischen Statut beizutreten, seien inakzeptabel und könnten „extrem negative“ Konsequenzen haben, hieß es aus dem Moskauer Außenministerium.

Erster Vorbote

Das Importverbot ist möglicherweise ein erster Vorbote dieser Konsequenzen. Doch was auch immer deren wahrer Grund ist, fest steht: Um die bilateralen Beziehungen zwischen Jerewan und Moskau – beide Staaten gehören dem von Russland geführten Militärbündnis „Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit“ (OVKS) an – ist es derzeit nicht zum Besten bestellt.

Grund ist der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die von Ar­me­nie­r*in­nen bewohnte Region Bergkarabach. Dieser droht auf armenisches Territorium überzugreifen. Russland, das mit Friedenstruppen seit dem Ende von 40-tägigen Kampfhandlungen 2020 einen Waffenstillstand überwachen soll, bleibt – zum Ärger Jerewans – jedoch weitgehend untätig. So sagte Regierungschef Nikol Paschinjan Militärübungen des OVKS, die 2023 in Armenien stattfinden sollten, kurzerhand ab.

Vahan Kerobjan, armenischer Wirtschaftsminister, versuchte sich in Schadensbegrenzung. Man sei mit der russischen Seite in Kontakt, in der kommenden Woche werde es ein Treffen geben. „Ich denke, dass es keinen politischen Kontext gibt. Alles hat nur mit der Gewährleistung hoher Standards der Lebensmittelsicherheit zu tun“, zitiert ihn der russische Kommersant auf seiner Webseite.

Das sieht der Wirtschaftsexperte Armen Ktojan etwas anders. Er äußerte sich besorgt darüber, dass Russland das Verbot auf andere Produkte ausdehnen könnte, wenn sich die politischen Widersprüche verschärften: „Wir wissen, dass Rosselkhoznadzor bestimmte Entscheidungen auch auf der Grundlage der politischen Situation trifft“, sagte er gegenüber dem Kommersant.

Erpressung als Prinzip

Ehemalige Satelliten mit Lebensmitteln zu erpressen, hat in Russland Methode. 2006 verhängte Moskau als Reaktion auf die Festnahme von vier Diplomaten in Georgien wegen mutmaßlicher Spionage ein Embargo auf Mineralwasser und Wein aus der Südkaukasusrepublik – angeblich wegen mangelnder Hygienestandards. 2013/14 ereilte die Republik Moldau das gleiche Schicksal. Dabei ging es zunächst um Wein, später dann auch um Fleisch und Fleischprodukte.

Die Auswirkungen des Verbotes der Einfuhr von armenischen Milchprodukten nach Russland dürfte sich übrigens in Grenzen halten. Laut Angaben der UNO gingen 2022 zwar über 93 Prozent der armenischen Exporte an Milchprodukten, Eiern und Honig im Wert von umgerechnet knapp 30 Millionen Euro nach Russland. Doch das machte nur 3,8 Prozent aller Exporte Armeniens dorthin aus. Diese haben sich seit dem Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine verdreifacht.

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