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Rußland sagt nicht mehr „njet“

Santer und Schröder in Moskau: Rußland könnte vielleicht doch Nato-Truppen im Kosovo zustimmen. Keine neuen Kredite, aber Lebensmittelhilfe  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Schon im Vorfeld des europäisch-russischen Gipfels und den sich daran anschließenden deutsch-russischen Konsultationen zeichnete sich ab, daß EU-Präsident Jacques Santer und Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Besuch in der russischen Hauptstadt vor allem symbolische Politik betreiben würden. Das strauchelnde Rußland sollte in schweren Zeiten zumindest verbale Solidarität erfahren. Doch wenngleich nichts Sensationelles zu erwarten war, war doch nicht alles umsonst.

So kamen Außenminister Fischer und sein russischer Amtskollege Igor Iwanow bei der Erörterung des Kosovo-Konfliktes durchaus einen Schritt voran. Zwar beharrt Moskau auch im Falle eines Scheiterns der Gespräche in Rambouillet weiterhin auf einer nichtmilitärischen Lösung. Doch sollten die Parteien allerdings zu einer Einigung gelangen, könnte Moskau bereit sein, die Stationierung einer Nato-Friedenstruppe im Kosovo mit zu tragen.

„Wenn Übereinkunft erzielt wird“, meinte Iwanow, „und Belgrad sich mit internationaler Präsenz zur Implementierung des Abkommens einverstanden erklärt“, dann könnte Rußland auf Wunsch Belgrads eine solche Möglichkeit in Erwägung ziehen.

Zwar bewegt sich das alles noch in einem höchst hypothetischen Rahmen, dennoch erhält Belgrad ein unmißverständliches Signal. In ihrer Weigerung, fremde Truppen das Abkommen überwachen zu lassen, bauten die Serben bisher auf die volle Unterstützung des slawischen Bruders in Moskau. Nun sind sie zum Nachdenken angehalten. Davon unbeeindruckt schlug Präsident Jelzin in bester Streitlaune auf dem Moskauer Gipfel einen gröberen Ton an: „Wir lassen es nicht zu, daß sie den Kosovo anfassen“, schmetterte er wild gestikulierend in Richtung Presseheer. Das hätte er diese Woche auch Präsident Clinton telefonisch und schriftlich zu verstehen gegeben.

Die Demarche aus dem Weißen Haus ließ nicht lange auf sich warten. In Washington konnte man sich an Nachrichten aus dem Kreml nicht erinnern. Wollte Jelzin nur provozieren? Oder hatte er wieder einmal etwas durcheinander gebracht? Seit Premierminister Primakow de facto die Staatsgeschäfte leitet, spielt es ohnehin keine maßgebliche Rolle mehr.

Schließlich galt der Besuch Santers und Schröders auch dem Premier, den man neben dem Präsidenten nun zum gleichwertigen Verhandlungspartner erhob. Neue Kredite erhält Moskau vorerst nicht. Soweit reicht das Vertrauen in die Kräfte des Kompromißpremiers, die Krise zu meistern, dann doch nicht. Gerhard Schröder versprach Primakow indes, sich für die russischen Wünsche einer Umschuldung beim Internationalen Währungsfonds stark zu machen. Auf die Rolle Deutschlands als eines Mittlers und Advokaten russischer Interessen in den internationalen Organisationen hatte der Bundeskanzler schon bei seinem Antrittsbesuch im vergangenen November abgehoben.

In Delegationskreisen stellte man zudem Überlegungen an, wie sich das inzwischen auf 150 Milliarden Dollar angewachsene Schuldenjoch erleichtern ließe. Immerhin entfallen davon fast 100 Milliarden auf Altschulden der Sowjetunion, die Rußland als deren Rechtsnachfolgerin übernommen hat.

Eine Möglichkeit wäre, die Schulden in Anteile an russischen Banken umzuwandeln. Das böte die Chance, gleichzeitig Experten nach Rußland zu schicken, um die dringend nötige Restrukturierung des Bankwesens in Angriff zu nehmen. An erster Stelle der ausländischen Gläubiger rangiert Deutschland. Allerdings ist nicht klar, ob sich Moskau mit diesem Gedanken anfreunden kann. Das Wall Street Journal meldete gestern, daß man in Washington überlege, wenigstens 3,6 Milliarden Dollar der Altschulden zu streichen.

Nach langem Hin und Her konnten sich die EU und Rußland einigen, zu welchen Konditionen europäische Lebensmittelhilfen im Umfang von 500 Millionen Dollar geliefert werden. Rußlands hypertrophe Bürokratie hatte durch Sonderauflagen versucht, neben Nahrungsmitteln auch noch ein bißchen Cash zu kassieren. So ersann sie Sanitärkontrollen für Fleischlieferungen und plante, Zölle zu erheben. Erste Lieferungen werden nun im März erwartet.

Insgesamt ist der Handel mit der EU in Folge der Krise im letzten Jahr um die Hälfte zurückgegangen. Der deutsch-russische Warenaustausch belief sich unterdessen auf 33 Milliarden Mark 1998. Im laufenden Jahr rechnen die Wirtschaftsminister mit einem leichten Rückgang auf 30 Milliarden Mark. Dies allerdings nur unter der Maßgabe, daß die Großprojekte — darunter eine Gaspipeline vom sibirischen Jamal-Gebiet nach Europa und die gemeinsame Produktion des Großraumflugzeugs An-70 — nicht ins Stocken geraten.

Kommentar Seite 12

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