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Russland intensiviert AngriffeTöten und tauschen

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Ein kleiner Schritt vor, zwei große zurück. Der russisch-ukrainische Gefangenenaustausch wird überschattet von der erneuten russischen Eskalation.

Ukrainische Soldaten nach einem Kriegsgefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine, am 24. Mai 2025 Foto: Evgeniy Maloletka/ap/dpa

G ut 300 Gefangene jeden Tag – der russisch-ukrainische Kriegsgefangenenaustausch, der am Sonntag nach drei Tagen abgeschlossen wurde, war der größte seit Kriegsbeginn. Die Russen wurden in der Ukraine korrekt behandelt, sie kommen jetzt unversehrt nach Belarus, vermutlich bleiben sie im Kriegseinsatz. Die Ukrainer sind zum Teil sichtlich abgemagert, manche wurden misshandelt, sie werden jetzt von ihren Familien in die Arme geschlossen.

Wer den Unterschied zwischen den beiden Kriegsgegnern noch immer nicht verstanden hat – hier wird er offensichtlich: In der Ukraine zählen Menschenleben, in Russland nicht. Gut 300 Raketen und Drohnen aus Russland auf die Ukraine jede Nacht – das ist die Kehrseite dieses Kriegswochenendes. Wahllos werden zivile Ziele bombardiert, gehen ganze Häuserviertel in Flammen auf, sterben Zivilisten, allein in der Nacht zu Sonntag 13 Menschen. Es sind die größten Luftangriffe seit Kriegsbeginn.

Russland hat seine Militärtechnik modernisiert, die Geschosse sind nicht mehr so leicht abzuwehren. Die ukrainische Luftabwehr kommt nicht mehr hinterher. Parallel dazu intensivieren die russischen Bodenstreitkräfte im Donbass ihre Angriffe erneut deutlich. Wo sind sie denn nun, die vielfach angedrohten Gegenmaßnahmen des Westens? Vor zwei Wochen ließ Russland ein europäisches Ultimatum für einen bedingungslosen Waffenstillstand verstreichen.

Europa tat nichts, denn Putin brachte stattdessen Verhandlungen in der Türkei ins Gespräch. Als die Ukraine zusagte, ruderte Russland zurück und blieb bei seiner bewährten Interpretation von „Verhandlungen“: Wir legen unsere Forderungen auf den Tisch, zu sprechen ist nur über ihre Umsetzung. Moskaus Forderungen an Kyjiw, darunter die Anerkennung aller Gebietsverluste, die Räumung weiterer Gebiete und der Verzicht auf Selbstbestimmung, sind für die Ukraine unakzeptabel.

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Die Verbündeten Kyjiws tun nicht genug

Also intensiviert Russland jetzt den Krieg. Der Gefangenenaustausch ist ein Ablenkungsmanöver. Man holt eigene Soldaten gesund zurück und schiebt Feinde kampfunfähig ab. Manche im Westen missverstehen das als Geste des guten Willens. Russland wittert jetzt offenbar die Chance, die Ukraine sturmreif zu schießen, bevor es unter der Last seiner Kriegswirtschaft selbst kollabiert. Nordkorea und China helfen. Und was tun die Verbündeten der Ukraine? Von den USA ist nichts zu erwarten.

Die Europäer reden zu viel und tun zu wenig. Die Ukrainer verrecken unter den Augen Europas, so wie einst Gladiatoren im Kolosseum unter dem Beifall der Schaulustigen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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