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Russisches Science-Fiction-EposSchmodder, Schrund und Schorf

Zwölf Jahre lang arbeitete Alexei German an seinem Filmepos „Es ist schwer, ein Gott zu sein“. Er erbaute eine ganz eigene Welt.

Im Film geht es viel um phallisch-metallische Männlichkeit, Schlamm und Schleim. Foto: Bildstoerung

Vielleicht kann man den Film am besten lautmalerisch beschreiben: Die Welt, die Alexei Germans Film „Es ist schwer, ein Gott zu sein” entwirft, ist angefüllt mit Schlamm, Schlacke, Schleim, Schmodder, Schrund, Schorf; wo man auch hintritt, ist alles matschig, rutschig, glitschig, glibberig, quallig; überall gurgelt, gluckst, blubbert, brodelt, modert es. Ein Film, den man sich nicht bloß anschaut, sondern den man regelrecht durchwatet, zunächst vielleicht noch vorsichtig, mit hochgekrempelten Hosenbeinen. Irgendwann während der dreistündigen Laufzeit beginnt man jedoch unweigerlich, sich hemmungslos in ihm zu suhlen. Danach braucht man eine Dusche.

„Es ist schwer, ein Gott zu sein” erbaut eine Welt. Das tun zwar alle Filme auf ihre Art, und insbesondere das Science-Fiction-Genre hat seit jeher viel Wert auf das sogenannte Worldbuilding, also auf die fiktionale Neuschöpfung eines autonom gedachten Weltzusammenhangs, gelegt. Aber so weit wie German dürfte in 13 Jahrzehnten Filmgeschichte kaum jemand gegangen sein: „Es ist schwer, ein Gott zu sein” fühlt sich nicht einfach wie eine Spekulation, wie ein „Was wäre, wenn” an, sondern wie eine Flaschenpost aus einem anderen Universum.

Wobei die Welt des Films nicht etwa deshalb fasziniert, weil sie besonders fremdartig wäre – ganz im Gegenteil. Im fantastischen Sinn außerirdisch ist nichts an ihr, sie ist vor allem nicht von Aliens, sondern von Menschen bevölkert (deren diverse Körperflüssigkeiten das Ihre dazu beitragen, „Es ist schwer, ein Gott zu sein” zu einem geradezu herausragend organischen Film zu machen).

Außergewöhnlich ist die Welt des Films nicht aufgrund ihrer Exotik, sondern weil in ihr eine bestimmte Idee von Vorzeitlichkeit konserviert ist. Und zwar einer Vorzeitigkeit ohne jede relativierende Außenperspektive, eine Vorzeitigkeit, die nicht aus der Perspektive der Gegenwart entworfen wird, sondern sich ihren eigenen Regeln gemäß entfalten darf. Ein Voice-over-Kommentar zu Beginn beschreibt das genauer: Schauplatz des Films ist nicht die Erde, sondern ein „fast identischer Planet”, auf dem die Renaissance nie stattgefunden hat beziehungsweise brutal unterdrückt wurde und jetzt als nicht realisiertes Potenzial den schmutzigen Alltag noch ein wenig schmutziger erscheinen lässt.

Speere und Pferdepenisse

Der Planet ist eine Erfindung der Brüder Boris und Arkadi Strugazki, die zu den wichtigsten Science-Fiction-Autoren der Sowjetunion zählten. Im Ausland sind sie vor allem über Filmadaptionen ihrer Werke, wie insbesondere Andrei Tarkowskis „Stalker“, bekannt. Auch „Es ist schwer, ein Gott zu sein” ist bereits einmal verfilmt worden, 1989, von Peter Fleischmann. Diese erste Version ist in ihrer verqueren, aber nicht uncharmanten Mischung aus Weltraumoper und moralphilosophischem Traktat zwar besser als ihr Ruf, aber Germans Film ist dann doch ein ganz anderes Biest.

Die neue Adaption lässt die durchaus elaborierte Romanhandlung in den Hintergrund treten – und zwar buchstäblich: Nicht selten verstecken sich die handelnden Figuren irgendwo an der Peripherie des Bildes oder auch in dessen Off, während im Vordergrund Passanten ihre Speere (oder Pferde ihre Penisse; ohnehin gibt es in der fast komplett männlich dominierten Filmwelt zwischen all dem Schlamm eine komplementäre Motivkette des Phallisch-Metallenen) in die Kamera halten, direkt in die Linse blicken, grinsend Grimassen schneiden oder gar ein paar Worte an die Zuschauer richten.

Von der literarischen Vorlage bleiben eigentlich nur die dreckstarrende, voraufgeklärte Gegenwelt übrig – und die Hauptfigur: Der Film folgt dem Weg, den sich ein gewisser Don Rumata durch den ewig nasskalten Matsch bahnt. Bei den Strugazkis und bei Fleischmann ist dieser Rumata ein Wissenschaftler, der die Gebräuche der Einheimischen zu beobachten hat und dem es schwerzufallen beginnt, die akademische Objektivität zu bewahren; bei German ist er lediglich ein bärtiger Grobian unter vielen. Genauer gesagt ist er, dessen weiße Bluse zu Filmbeginn geradezu surreal und natürlich trügerisch sauber glänzt, derjenige Grobian, der sich im Lauf der drei Stunden langen Schlammschlacht besonders gründlich einsaut.

Eine geradlinige Literaturverfilmung wäre freilich ohnehin das Letzte gewesen, was man von dem Regisseur hätte erwarten können. Gerade mal sechs Filme konnte German im Lauf seiner Karriere verwirklichen – über einen Zeitraum von ebenso vielen Jahrzehnten: Sein gemeinsam mit Grigori Aronow verantwortetes Debüt „Der siebente Trabant“ entstand bereits 1967. Alle seine weiteren sowjetischen Filme hatten Probleme mit der Zensur – „Trial on the Road“ zum Beispiel, 1971 gedreht, erreichte erst 1986 die russischen Kinos. Aber nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurden die Pausen zwischen den Filmen nur noch länger. Die tiefschwarze Komödie „Khrustalyov, My Car!“ erschien 1998 nach siebenjähriger Produktionszeit.

Gigantische Ideensteinbrüche

Die Premiere seines letzten, ambitioniertesten, aufwendigsten Films durfte German nicht einmal mehr erleben: Er starb im Februar 2013, ein gutes halbes Jahr vor der Erstaufführung von „Es ist schwer, ein Gott zu sein”. Sechs Jahre Drehzeit und noch einmal weitere sechs Jahre im Schneideraum stecken in dem Film. Man sieht allen German-Projekten die Zeit und den Aufwand an, die in sie investiert wurden. Nicht in dem Sinne, dass es perfektionistische, überkontrollierte Filme wären. Ganz im Gegenteil wirken sie eher wie gigantische Ideensteinbrüche. Es gibt einen Überschuss an Details, einen Exzess an Körperlichkeit auch, die runde, organische Form interessiert den Regisseur kein bisschen. Vieles bleibt provisorisch, unfertig, unlesbar; unpoliert sowieso.

Das zentrale Thema von Germans Werk ist die jüngere russische Geschichte, insbesondere die Zeit der Herrschaft Stalins. Der vergleichsweise frohgemute Film „Mein Freund Iwan Lapschin“ von 1983 spielt in den frühen 1930ern, kurz vor Beginn des großen Terrors; wenn sich da die Figuren gegenseitig die Geheimpolizei an den Hals wünschen, hat das noch etwas Spielerisches. „Khrustalyov, My Car!“ behandelt dann die letzten Monate des Stalinismus (sogar der Tod des Diktators wird nachgestellt; nach seinem Dahinscheiden beginnt er ohrenbetäubend zu furzen) und skizziert in albtraumartigen Plansequenzen ein von allumfassender Paranoia und antisemitischen Hetzkampagnen vollständig zersetztes Gemeinwesen.

Vielleicht fügt sich auch „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ in diese Werktradition. Es liegt zwar nahe, die atavistische Schlammwelt Arkanar als Bild für das kasinokapitalistische Hauen und Stechen im postsowjetischen Russland Jelzins oder für die gegenwärtigen autoritären Verhärtungen unter Putin zu nehmen; gleichzeitig kann man den Film auch als eine letzte, ganz besonders infernalische Abrechnung mit dem stalinistischen Erbe verstehen.

Die einzigartige, geradezu monströse Qualität des Werks von German wird besonders deutlich, wenn man es mit dem seines Landsmanns Alexander Sokurow vergleicht, dessen strikt durchkomponierte Filme das russische Autorenkino der letzten 25 Jahre maßgeblich geprägt haben. Zwar kreist auch Sokurows Werk um die (Gewalt-)Geschichte des 20. Jahrhunderts, doch wo die historischen Schrecken von dem berühmteren Kollegen in strenger Stilisierung gebändigt werden, bleiben sie bei German weitaus direkter nachfühlbar; weil er zeigt, wie Geschichte nicht nur individuelle Biografien, sondern die Bedingungen sinnlicher Wahrnehmung selbst deformieren kann.

Es ist schwer, ein Gott zu sein

„Es ist schwer, ein Gott zu sein”. Regie: Alexei German. Mit Leonid Yarmolnik, Dmitriy Vladimirov u.a. RU 2013, 170 Min.

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