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Russischer Öko ohne Anwalt

■ In St. Petersburg verhaftetem Mitarbeiter einer norwegischen Umweltorganisation wird Anwalt verweigert

St. Petersburg (taz) – Dem im Februar verhafteten Atomexperten und Mitarbeiter der norwegischen Umweltorganisation „Bellona“ in St. Petersburg, Aleksandr Nikitin (vgl. taz vom 9. 2. 96), wird nach wie vor ein Anwalt verweigert. Seine Familie ist systematischem Terror durch die Sicherheitspolizei (FSB) ausgesetzt.

Dem ehemaligen Marineoffizier der Nordmeerflotte wird vorgeworfen, daß er über den unglaublichen Umgang mit radioaktivem Material und abgebrannten Reaktoren von Atom-U-Booten berichtet hat. Die Zustände waren durch einen Bericht von Bellona international öffentlich geworden.

Nikitins Ehefrau Tatjana Tjernova berichtet, daß FSB-Mitarbeiter sie praktisch auf Schritt und Tritt bewachen, sie auf der Straße ansprechen, zu Hause anrufen und ihr ständig neue „Enthüllungen“ über die angebliche Spionagetätigkeit ihres Ehemannes erzählen wollten. Das gleiche passiere ihren beiden Töchtern Julia und Anna. Tatjana Tjernova: „Es sind die gleichen Methoden, die man zu Sowjetzeiten einsetzte, um erst die Familie eines Verhafteten fertig zu machen und dann diesen selbst.“

Sie selbst hatte nur ein einziges Mal die Möglichkeit, ihren Ehemann seit dessen Festnahme zu sprechen: drei Minuten lang und im Beisein von zwei Polizeibeamten. Man habe ihr mitgeteilt, die „Spionage“ ihres Mannes werde schon aufgrund der Fluchtvorbereitungen der Familie bewiesen, berichtet Tjernova. Nikitins Familie verfolgt seit längerem Pläne, nach Kanada umzusiedeln. Daraus hatten Nikitin und Tjernova auch kein Geheimnis gemacht: Die Vorbereitungen und der damit verbundene Papierkrieg dauerten zwei Jahre. Die Verhaftung Aleksandr Nikitins erfolgte vermutlich nicht zufällig am gleichen Tag, an dem die Familie von der kanadischen Botschaft das Einreisevisum erhielt.

Dem von Nikitin gewünschten Rechtsanwalt Jury Shmidt wird nach wie vor die Übernahme seiner Verteidigung verweigert. Shmidt ist sich zwar sicher, daß der Verfassungsgerichtshof eine dagegen erhobene Klage positiv bescheiden werde. Allerdings könne eine solche Entscheidung Monate dauern.

Die Verhaftung des Ex-Marineoffiziers Nikitin soll offenbar die Umweltschutzbewegung in Rußland insgesamt einschüchtern. Anders ist die Aktion für den Leiter des Bellona-Büros in Murmansk, Igor Kudrik, der selbst mehrfach kurzfristig festgenommen wurde, nicht nachvollziehbar: „Alle Informationen, die wir in unseren Berichten über die Atommüllsituation und die Atom-U-Bootflotte veröffentlicht haben, sind in Rußland frei zugänglich und bereits in Buch- oder Zeitschriftenartikeln veröffentlicht.“

Proteste des EU-Parlaments und der norwegischen Regierung gegen die Festnahme Nikitins hat die Regierung in Moskau mittlerweile als „unpassend“ und Einmischung in ein rechtsstaatliches Verfahren zurückgewiesen. Reinhard Wolff

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