Russischer Menschenrechtler in Arrest: Haftgrund Retweet

Sergei Davidis, langjähriger Kämpfer für ein freies Russland, hat per Twitterpost über eine Demo informiert. Dafür wird er nun eingesperrt.

Portrait von Sergei Davidis

Dissident der ersten Stunde: Sergej Davidis glaubt noch immer an ein besseres Russland Foto: Memorial

Völlig unerwartet hatten die Moskauer Sicherheitsbehörden die Demonstrierenden am 21. April gewähren lassen. Und das ausgerechnet bei einer Demonstration für den Intimfeind von Wladimir Putin: Alexei Nawalny. Doch das System hatte sich nur eine neue Form der Repression einfallen lassen.

Verhaftet wurde nicht vor laufender Kamera, sondern nach einer Auswertung der Überwachungskameras und Videos. Unter den 60 allein in Moskau Festgenommenen befinden sich zahlreiche bekannte JournalistInnen und MenschenrechtlerInnen. Sie wurden Opfer einer seit Ende 2017 üblichen Praxis, die die Bekanntgabe von nicht genehmigten Aktionen mit der Teilnahme an diesen gleichsetzt.

Vier Tage nach der Aktion holte man den 52-jährigen Vater, Sergej Davidis, ab, als er gerade seine Wohnung verlassen hatte. Der bekannte Menschenrechtler, studierte Soziologe und Jurist Sergej Davidis, Vorstandsmitglied beim Menschenrechtszentrum Memorial und dort verantwortlich für alle Programme zu politischen Gefangenen, hatte ein Post, in dem die Demonstration vom 21. April angekündigt worden war, auf Twitter geteilt. Auch sein Hinweis auf seinem Account, ein Retweeten bedeute nicht, dass er auch inhaltlich hinter einem Account stehe, schützte ihn nicht.

Bevor er zur Menschenrechtsarbeit gekommen war, war er Aktivist in der politischen Opposition. Er gehörte zu den Dissidenten der späten Sowjetunion, organisierte Aktionen gegen die Kriege in Tschetschenien. Als 2011 und 2012 die Menschen in großer Zahl gegen Wahlfälschungen und die Amtseinführung von Wladimir Putin auf die Straßen gingen, gehörte Davidis zu den Organisatoren.

Zusammenarbeit mit früherem Schachweltmeister

Er arbeitete in der Oppositionsbewegung Solidarnost mit dem später ermordeten Boris Nemzow, dem früheren Schachweltmeister Garri Kasparow und dem Urgestein der sowjetischen Dissidentenbewegung, Wladimir Bukowskij, zusammen, war 2012 und 2013 Mitglied im Koordinierungsrat der russischen Opposition. Und er gehört zu den Gründern der kleinen liberalen Oppositionspartei „Partei des 5. Dezember“, die ihre Wurzeln in den großen Protestdemonstrationen des 5. Dezember 2011 sieht.

Davidis’ liberale Ansichten hinderten ihn indes nicht, auch für die Rechte von Kommunisten wie den Vorsitzenden der Bewegung für einen neuen Sozialismus, Nikolaj Platoschkin, zu streiten. Im Jahr 2018 referierte er für eine Reisegruppe von LeserInnen der taz zu Opposition und politischen Gefangenen.

Davidis ist kämpferisch. Noch im Gerichtssaal nahm er am 27. April ein Video auf, in dem er von seiner Hoffnung auf ein freies Russland sprach. Mit einem letzten Tweet verabschiedete er sich, erklärte, dass er nun bis zum 5. Mai offline bleiben werde.

Auch wenn viele Aktivitäten von Davidis, wie seine Kandidaturen für den Moskauer Stadtrat und die Staatsduma, nicht erfolgreich waren, blieb er immer Optimist in dem Glauben an ein freieres Russland. In dem, da ist er sich sicher, wird man eines Tages erfahren, wer seinen Freund Boris Nemzow im Februar 2015 ermorden ließ.

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