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Russische Touristen im KaukasusUrlaubsfenster zur Welt

Seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine haben die Bürger Russlands sich neue Urlaubsgebiete erschlossen. Eine davon: Nordossetien.

Auch ein touristisches Motiv: Monument in Wladikawkas vor Bergkulisse Foto: Sergei Malgavko/imago

D er erste Kriegssommer in Russland unterscheidet sich nur in einem von allen vorherigen: Die Menschen fahren jetzt weniger ins Ausland und entscheiden sich stattdessen für einen günstigeren Urlaub im eigenen Land oder in Ländern, in die man jetzt noch fahren kann. Beliebt ist der Kaukasus.

Война и мир – дневник

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In der Republik Nordossetien-Alanien, wo ich lebe, hat es seit Sowjetzeiten nicht mehr so viele Touristen gegeben. Sie sind überall – in der Hauptstadt Wladikawkas laufen sie in Gruppen von 10 bis 15 Leuten herum, fotografieren sich vor den Sehenswürdigkeiten. Kurz: Sie verhalten sich wie normale Touristen überall auf der Welt. Aber in den Kaukasus fährt man nicht, um in der Stadt herumzulaufen. Man kommt hierher, um sich in den Bergen zu erholen.

Die touristische In­fra­struktur, die zuvor hauptsächlich auf die hiesigen Erholungssuchenden ausgerichtet war, erwies sich als unzureichend für einen derartigen Besucherstrom, weshalb die Hotelinhaber die Preise angehoben haben. Einheimische Touristen können sich den Urlaub hier darum kaum noch leisten. In Ossetien liegt das Durchschnittsgehalt bei 30.000 Rubel, umgerechnet etwa 500 Euro, eine Woche Urlaub kostet circa 20.000 Rubel pro Person. Darum trifft man in diesem Jahr mehr Touristen aus anderen Gegenden als Bewohner unserer Republik.

Boris Epchiev

der Autor ist Journalist und lebt in Wladikawkas, der Hauptstadt Nordossetiens im Kaukasus. Er schreibt unter Pseudonym.

Aber trotz der hohen Preise gibt es nicht genügend Ferienunterkünfte. Und so nutzen Touristen aus anderen Regionen Russlands Nordossetien auch als Durchgangsort. Von hier kommt man besonders leicht nach Georgien, wo die touristische Infrastruktur um ein Vielfaches besser ist. Georgien beteiligt sich nicht an den Sanktionen gegen Russland, deshalb ist es kein Problem, dort hinzukommen. Zwei Autostunden vom Flughafen Beslan, und schon ist man in Tiflis.

Außerdem ist wegen der großen Anzahl von Migranten aus der Russischen Föderation Georgien jetzt vermutlich das russischsprachigste Land der Welt, nach Russland. Russische Touristen können sich dort wie zu Hause fühlen. Und das, obwohl Georgien mit Russland wegen dessen Anerkennung von Südossetien und Abchasien streitet – die Georgien als seine Gebiete betrachtet.

Dass Georgien für Russland eines der wenigen Fenster zur Welt ist, zeigt sich an den oft Tausenden von Lkw die sich an der gemeinsamen Grenze stauen. Nach Kriegsbeginn hat der Güterverkehr auf der Georgischen Heerstraße, die Russland mit dem Transkaukasus verbindet, stark zugenommen: Es ist für alle angrenzenden Länder die einzig bequeme Straße (abgesehen von der durch Südossetien führenden). Allein deshalb, weil man so sanktionierte Waren, die in anderen Ländern blockiert würden, über Georgien nach Russland einführen kann.

So sind in Nordossetien die wichtigsten geostrategischen Interessen Russlands und der Wunsch der Touristen nach Erholung in den Bergen auf bizarre Weise miteinander verflochten.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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2 Kommentare

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  • Herrliche Landschaft. Wie die Schweiz, nur noch mächtiger. Der Staat Georgien ist wie ein Zwitter, einerseits möchte man als westlich gelten, andererseits schaut alles auf Russland.

  • Soweit ich weiß, ist es für Russ*innen immer noch möglich, an die Strände der Türkei und auch nach Dubai zu reisen. Das nötige Kleingeld zu haben, ist Vorraussetzung.