Russische Kriegspropaganda: Indoktrination im Museum
Im Moskauer Siegespark wird der blühende ukrainische Faschismus ausgestellt. Halbwahrheiten und Lügen formen das Narrativ, Russland würde bedroht.
Der heutige russische Präsident Wladimir Putin hat diesen Sieg zur Grundlage russischer „Einzigartigkeit“ erhoben und rechtfertigt durch ihn auch seine „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine. Den Krieg, der in Russland nicht Krieg genannt werden darf.
Seit März prangt hier im russischen Wort für „Museum“ ein Z: Das Zeichen, das wie eine Art neues Swastika, Unterstützung für den russischen Überfall im Nachbarland symbolisiert. In dem gigantischen Bau hat in einem Raum eine neue Ausstellung eröffnet. Hier soll gezeigt werden, wie sehr die Ukraine mit dem nazistischen Deutschland verwoben wäre.
Mehr als 200 Exponate sollen nach den Worten von Museumsleiter Alexander Schkolnik, der auf britischen Sanktionslisten steht, „von den Gräueltaten ukrainischer Nationalisten während des Zweiten Weltkrieges“ erzählen – und von „dem Terror moderner Neonazis gegen die Einwohner der Ukraine in den vergangenen acht Jahren“. Eine Propaganda-Ecke mehr in Moskau.
„Gewöhnlicher Nazismus“
Wer die Ausstellung mit dem Namen „Gewöhnlicher Nazismus“ kuratiert hat und woher die Exponate stammen, teilt das Museum nicht mit. An einem Wochentag ist nicht viel los zwischen den grauen Stellwänden, durch die sich mehrere rote Z wie eine Linie ziehen. Zwei Männer laufen leise nebeneinander her, eine Frau bleibt mit ihrer Teenager-Tochter an den Soldatenmänteln der ukrainischen Armee stehen und sagt: „Das sehen wir doch eh jeden Tag im Fernsehen, komm, es gibt hier nichts Neues.“. Ein Junge hat sich aus seiner Exkursionsgruppe zum Thema „Sowjetische Feldherren“ gelöst, schaut kurz hinein und wird sogleich zurückgehalten: „Ab 18“, herrscht ihn ein Museumsmitarbeiter an.
Der Raum ist zweigeteilt: Rechts Bildmaterial über die Gräuel der Bataillone „Nachtigall“ und „Roland“ der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die auf Seiten der SS Dörfer in der damals sowjetischen Ukraine niederbrannten und massenhaft Menschen ermordeten. Es sind historisch belegte Fakten. Die Exponate sind gekennzeichnet, welches Jahr, wessen Sammlung.
Links die Geschichte der Ukraine ab 2014, wie Russland sie sieht: als Staatsstreich, nach dem „Nazis an die Macht kamen und eine aktive russophobe Politik begannen“. So steht es an der Stellwand, überschrieben mit „Die Rückkehr des Bösen“, gleich neben „Gedächtnisverlust“: „In der Ukraine wurden die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges revidiert, der Kult der OUN wurde wiederbelebt.“
Ein Kinderbuch liegt aufgeklappt in der Vitrine: „Wir sind Ukrainer“, steht da in krakeliger Kinderschrift auf Ukrainisch. Militärmützen der Ukrainischen Nationalgarde liegen daneben, samt Keksen der ukrainischen Armee und einem grünen Päckchen, auf dem „Nato-Patronen“ steht. In der Mitte findet sich eine alte Schaukel, rostig, die hölzernen Beine angebrannt, neue Stofftiere liegen verstreut drum herum, bunte Würfel, ein Kinder-Lackschuh. Darüber schweben weiße Plastikengel: Daria, 3 Jahre, Artjom, 7 Jahre, Sergei, 6 Jahre, steht darauf. Sie sollen wohl an die getöteten Kinder im Donbass erinnern – erklärt wird es aber nicht.
In der Ecke laufen Bilder über einen Bildschirm: Eine ältere Frau hält ein Foto eines Jungen in die Kamera, man sieht einen Friedhof, Menschen werfen Erde in ein Grab, Militärfahrzeuge mit einem weißen Z rollen über eine Grenzanlage. „Ukraine“ steht auf dem Verkehrsschild. Wie die Installation heißt, was sie zeigt, wann und wo die Bilder entstanden sind, bleibt im Dunkeln. Sie sind wie die Ausstellung an sich: Bilder, Bücher, Aufnahmen, Texte sind hier wahllos zusammengeworfen, in Zusammenhang gestellt sind sie nicht.
Fakten, Lügen und Halbwahrheiten mischen sich
Damit funktioniert die Ausstellung wie jede Nachrichtensendung im russischen Staatsfernsehen: Fakten finden sich neben Halbwahrheiten, neben Lügen und ergeben ein bestimmtes Narrativ von der Bedrohung Russlands durch äußere Mächte. Überschrieben mit Putins „erzwungener Maßnahme zur Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine“.
Museumsmitarbeiter
Mit einem solchen Ziel hat der russische Präsident seinen Marschbefehl zur in Invasion der Ukraine bezeichnet und dem Land das Existenzrecht abgesprochen. Im Museum will niemand über die Ukraine sprechen. „Steht ja schon alles da, und bald gibt es hier noch mehr Exponate“, sagt der Museumsmitarbeiter, der einige Kisten anschleppen lässt.
Im Souvenirshop voller Spielzeugpanzer, Z-Freundschaftsbänder samt Ich-bin-stolz-Sprüchen und Stalin-Porträts debattiert eine Familie über Mitbringsel. „Ich will eine Pistole“, sagt der Junge. „Nimm doch besser das Gewehr, das ist größer“, meint der Großvater. „Ich will die Pistole, sie ist bunter, und das Messer“, erwidert der Enkel. „Messer ist gut, da ist der Kampf unmittelbarer.“ Die Verkäuferin schließt den Glasschrank auf. „Kannst du denn überhaupt schießen, Junge? Soll ich’s dir zeigen? Solche Spiele machen viel Spaß“, sagt sie. Keine 1.000 Kilometer von ihr weg ist Krieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku