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Runter kommt's immer

Selbstversorgung in der Stadt: Apfel-, Birnen- und Brombeerernte am Wegesrand  ■ Von Claus Rosenau

Hamburg ist – für jeden, der sehenden Auges die Stadt durchstreift – des Sommers ein wahrer Paradiesgraten. Bald lachen uns dem Regen zum Trotze wieder goldgelbe Birnen, die von Kompott träumen, oder saftige Pflaumen, aus denen die Made lugt. Und diese Brombeeren! – wie gewachsen für feine Marmelade. Für solch wohlgefällige Impressionen muß sich niemand – verbotenerweise – durch Hecken zwängen, über Zäune schwingen oder Bewegungsmelder und Schäferhunde austricksen. Denn oft liegt das Paradies nicht im Schrebergarten, sondern schon hinter der nächsten Straßenecke.

An der U-Bahnstation Trabrennbahn (U1) fällt Schülern und Angestellten das Obst zur Pause direkt vor die Füße – in den Geschmacksrichtungen Boskop oder Birne. Wo sich die Osterbek durch den Kleingartenverein 534 (am Bundeswehrkrankenhaus) schlängelt, kann man sich den Bauch mit Brombeeren vollschlagen: Eine Brombeerhecke säumt dort auf ganzer Länge das Ufer. Enttäuscht wird, wer sich auf die Kirschernte im Hellbrooker Wie- dehopfstieg freut. „Die tragen keine Früchte“, weiß man im Bezirksamt Wandsbek über die Alleebäume.

Aus Gründen der Verkehrssicherheit steht auch andernorts am Straßenrand meist nur Zierobst. Ausnahmen – wie Bäume, die schadlos aus Gartenankäufen der Stadt für den Straßenbau hervorgegangen sind – bestätigen die Regel.

Für diese seltenen Exemplare gilt: „Da darf jeder ernten, soviel er mag“, gibt Gerald Boekhoff, Naturschutzreferent im Bezirk Harburg, allen Obstverkostern einen Freibrief, der sich vor allem auf Streuobstwiesen in öffentlicher Hand bezieht. Denn davon wurden in den vergangenen Jahren gleich mehrere neu angelegt oder als schützenswerte Biotope wiederentdeckt – zum Beispiel an der Wilhelmsburger Reichsstraße (westlich Kükenbracksweg), im Westerpark in Othmarschen oder am Königskinderweg in Schnelsen. Hier werden alte Sorten – besonders Äpfel und Birnen – kultiviert. Und hier wird ein alter Brauch neu belebt: Was am Wegesrand wächst, gehört dem, der es pflückt.

Doch vielfältige Obst- und Gemüsespezialitäten für Selbstversorger drohen nun hinter einem Bauzaun zu verfaulen: Für die Erträge der früheren Kleingartenkolonie an der Julius-Vosseler-Straße, die der NDR seinem Gelände einverleibt hat, gibt es nämlich keinen anderen Plan als diesen: „Das Obst fällt irgendwann runter“, stellt Peter Aue, für Bau und Liegenschaften der Sendeanstalt zuständig, fest. Wen diese Lösung nicht befriedigt, der melde sich beizeiten mit besseren Verwertungsideen beim NDR, empfiehlt Aue dann noch. Und gibt damit die Parole für den irgendwann hoffentlich doch noch einsetzenden Hochsommer aus: „Auf zum Ernteeinsatz, Städter!“

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