piwik no script img

Rumäniens ehemaliger PräsidentSpäte Anklage gegen Ion Iliescu

Brutaler Einsatz gegen Studenten 1990: Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird gegen den Exmachthaber ermittelt.

Rumäniens einstiger starker Mann Ion Ilescu auf einem Foto aus dem Jahre 2007. Foto: ap

Berlin taz | Die rumänische Generalstaatsanwaltschaft hat am Mittwoch mit den Vernehmungen des früheren Staatschefs Ion Iliescu begonnen, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden soll. In dem Verfahren geht es um die gewalttätigen Vorfälle im Juni 1990, als in Sonderzügen mehrere tausend Bergarbeiter nach Bukarest gebracht wurden, um den Universitätsplatz zu räumen.

Im Zentrum der rumänischen Hauptstadt waren ab April 1990 täglich zahlreiche Menschen an einer Demonstration beteiligt, die den Rücktritt von Ion Iliescu forderten, der mit seiner Mannschaft nach dem gewaltsamen Sturz des kommunistischen Autokraten Nicolae Ceausescu im Dezember 1989 an die Macht gekommen war.

Eine Radikalisierung der Bukarester Marathondemonstration war nach den ersten freien Wahlen vom 20. Mai 1990 festzustellen. Iliescu hatte die Wahl gewonnen und fühlte sich durch das Ergebnis als Präsident demokratisch legitimiert. In der spannungsgeladenen Atmosphäre drohte die Situation zu eskalieren. Auf dem Universitätsplatz gaben rechtsnationalistische Kräfte zunehmend den Ton an. Für Iliescu und die neue Regierung unter Petre Roman war der Rechtsruck ein hinreichender Vorwand, um an die proletarische Solidarität der Bergarbeiter zu appellieren und sie zu Hilfe zu rufen.

Um die Regierung vor einem „drohenden faschistischen Umsturzversuch” zu beschützen, gingen die mit Stöcken, Beilen, Eisenstangen und Spitzhacken ausgestatten Grubenarbeiter gegen alle Personen vor, die sie als Oppositionelle einstuften.

Polizei an Gewaltorgie beteiligt

Die Folge des Bergarbeitereinsatzes war eine blutige Gewaltorgie, die den Tod von vier Menschen zur Folge hatte. Bei den Auseinandersetzungen wurden etwa 1000 Personen verletzt, weitere waren schweren Misshandlungen ausgesetzt und zahlreiche Demonstranten wurden in einem vom Innenministerium verwalteten Lager interniert.

Die drei Tage lang andauernden Ausschreitungen, an denen auch Einsatzkräfte der Polizei beteiligt waren, endeten am 15. Juni 1990. In einer Rede bedankte sich Iliescu bei den Arbeitern, die daraufhin die Hauptstadt verließen und sich auf den Heimweg ins südrumänische Schiltal machten.

Die im Laufe der letzten Jahre wiederholt eingeleiteten Ermittlungen gegen Iliescu und weitere Mitverantwortliche wurden zumeist eingestellt. Auch die von einem Militärstaatsanwalt 2005 erhobenen Beschuldigungen gegen Iliescu – Kriegspropaganda, Genozid, Unterwanderung der Staatsgewalt – wurden fallen gelassen. Die jetzt eingeleiteten Ermittlungen konzentrieren sich lediglich auf den als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichneten Straftatbestand.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!