Ruhr-Konzern in Not: Thyssenkrupp verkauft Geldbringer
Investoren zahlen Milliarden Euro für die Aufzugssparte. Deren Beschäftigten winkt Jobgarantie, doch im Stahl droht der Verlust tausender Jobs.
Der Essener Industriekonzern mit seinen weltweit 146.000 Mitarbeiter*innen ist nach massiven Fehlinvestitionen in Stahlwerke in Brasilien und den USA hoch verschuldet. In der Bilanz stehen Verbindlichkeiten von rund sieben Milliarden Euro. Dazu kommen Pensionsverpflichtungen von neun Milliarden.
Außerdem stecken große Teile von Thyssenkrupp wie die Automobilzulieferung oder der Stahl in der Krise. Eine lang vorbereitete Fusion mit dem indischen Stahlriesen Tata hatte die EU-Kommission im Juni 2019 wegen kartellrechtlicher Bedenken untersagt.
Der Börsenkurs der Essener ist daher seit Jahren auf Talfahrt. Anfang September war Thyssenkrupp deshalb aus dem Dax-Aktienindex der 30 größten deutschen Unternehmen geflogen. Ende September musste Vorstandschef Guido Kerkhoff gehen.
„Thyssenkrupp entschulden“
Nachfolgerin wurde die bisherige Aufsichtsratschefin Martina Merz. Deren Wechsel von der Spitze des Kontrollgremiums an die des Vorstands gilt als völlig unüblich – und verdeutlicht die Probleme der einstige Ikone der Ruhr-Industrie, die Chefetage überhaupt noch adäquat besetzen zu können.
Die 56-jährige Managerin Merz erklärte, die „Elevator“-Milliarden sollten weitgehend „im Unternehmen verbleiben“. Ziel sei, „Thyssenkrupp so weit wie möglich zu entschulden und gleichzeitig sinnvoll in die Entwicklung des Unternehmens zu investieren“.
Wie bedrohlich die Lage des Restkonzerns ist, zeigt der Börsenwert: Am Donnerstag kam Thyssenkrupp vor dem „Elevator“-Verkauf nur noch auf eine Marktkapitalisierung von 5,7 Milliarden Euro. Die Aufzugssparte allein war ohne potentielle Verlustbringer wie Automotive, Stahl oder Kriegsschiffbau dagegen drei Mal so viel Wert.
Über Jahre gesichert sind dagegen die rund 53.000 Arbeitsplätze in der Aufzugssparte. Die IG Metall konnte dem Bieterkonsortium aus Cinven, Advent und RAG-Stiftung, die die langfristigen Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus finanzieren muss, nicht nur eine Beschäftigungsgarantie von sieben Jahren und einem Monat abringen. Die Käufer haben zugesagt, „Elevator“ nicht weiter zu zerschlagen und den Konzernsitz in Deutschland zu halten. Auch alle Tarifverträge, die Altersversorgung und die weitreichende Montan-Mitbestimmung haben weiter Bestand.
Gewerkschaft stark bei Thyssenkrupp
„Weder in dieser Detailtiefe noch mit einer solchen Laufzeit gibt es bisher ähnliche Vereinbarungen, wenn ein Unternehmen an ein Private-Equity-Konsortium verkauft wurde“, sagte deshalb der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler.
Dank Mitbestimmung ist die Gewerkschaft bei Thyssenkrupp traditionell stark: Giesler ist stellvertretender Aufsichtsratschef von „Elevator“ – und sein Vorgänger als NRW-Landeschef der IG Metall, Oliver Burkhard, ist heute Personalvorstand des Gesamtkonzerns.
Im Stahlbereich droht dagegen Arbeitsplatzvernichtung. Mitte Februar hat der Vorstand von Thyssenkrupp Steel den Wegfall von 2.800 Jobs angekündigt. Das Grobblechwerk in Duisburg-Hüttenheim steht noch bis Juni zum Verkauf. Wird bis dahin kein Interessent gefunden, soll der Standort mit 800 Mitarbeiter*innen geschlossen werden. „Der Stahl“, sagt ein Gewerkschafter deshalb schon jetzt, „wird die nächste Baustelle“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr