: Rufer in der Wüste
Eine sinnlose Steuerprüfung bei einem Fernsehsender löste letzte Woche in Georgien Massenproteste und Regierungsrücktritte aus. Rustavi 2 ist den Mächtigen schon länger ein Dorn im Auge
von NINO KETSCHAGMADSE und OLIVER RENN
Hinter der aktuellen Regierungskrise in Georgien muss in Wirklichkeit mehr stecken als das Eindringen von dreißig Beamten des Sicherheitsministeriums in das Sendegebäude von Rustavi 2, das offiziell als Steuerprüfung deklariert wurde. Denn eine Woche vor dem guerillaartigen Besuch hatte die offizielle Steuerbehörde die Bilanz der TV-Station geprüft und für in Ordnung befunden.
Aber genauso offensichtlich ist, dass die gesamte Bevölkerung hinter jenen Querfunkern steht, deren rund 150 Mitarbeiter seit 1994 mit Berichten über Korruption, Unregelmäßigkeiten bei der Abwicklung von ausländischen Hilfsgeldern und zum Alltag gewordene Polizeiübergriffe offizielle und inoffizielle Strukturen im Land in Aufregung versetzen.
Obwohl fast nur studentische Demonstranten auf die Straße gingen – auch als Protest gegen die anhaltend schlechte Wirtschaftssituation im Land –, genießt der Sender quer durch alle Bevölkerungsschichten den Ruf, das vertrauenswürdigste Medium im Land zu sein. Als der einzige politisch wirklich unabhängige Unterhaltungssender mit Informationsanspruch gilt er sowieso schon seit langem. Elena Tewdoradse, die Menschenrechtsbeauftragte des georgischen Parlaments, spricht im Zusammenhang mit Rustavi 2 gar von einem großen Einfluss „bei der Bildung der Zivilgesellschaft“. Das Programm umfasst neben den regelmäßigen Informationssendungen beispielsweise auch die hierzulande bekannten Formate „Wer wird Millionär?“ und „Spitting Image“.
Journalistenmord
Bei den jüngsten Ereignissen, die Präsident Schewardnadse nun dazu veranlassten, seine gesamte Ministerriege zu entlassen, werden bei den Oppositionellen im Land zwangsläufig schlimme Erinnerungen wach – nämlich an den noch immer ungeklärten Mord an dem Rustavi-2-Journalisten Giorgi Sanaja. Im Sommer war er mit einer Kugel im Kopf aufgefunden worden. Er arbeitete gerade an einer Geschichte über Verstrickungen von Polizisten des im Norden liegenden Pankisitals und des Innenministeriums in kriminelle Kreise, Drogenhandel und Menschenraub.
Auch in anderen Beiträgen waren Innenminister Kacha Targamadse und seine Beamten in die Kritik geraten. Zuletzt im Zusammenhang mit einer derzeit hochexplosiven Geschichte: Zumindest indirekt soll der Mann, der vergangene Woche überraschend als einer der Ersten seinen Rücktritt angeboten hatte, dafür verantwortlich sein, dass tschetschenische Kämpfer dutzendweise in die abtrünnige Grenzregion Abchasien geschafft wurden. Obgleich die georgische Regierung zeitweise sogar leugnete, Kenntnis von derlei aufkeimenden Unruhen zu haben.
Die Reaktion des Ministers folgte unmittelbar: ein direkter Anruf beim Senderverantwortlichen mit der unverhohlenen Drohung, Rustavi 2 die staatlichen Spezialeinheiten ins Haus zu schicken, die für ihren gewalttätigen Umgang mit Journalisten bekannt sind. Targamadse wiederholte noch tags darauf in einer Pressekonferenz diesen Einschüchterungsversuch. Es war nicht der erste, aber vielleicht einer der direktesten, von zahllosen anonymen Drohungen einmal abgesehen.
Allerdings wurde Rustavi 2 von anderen Kreisen wiederholt vorgeworfen, immer wieder mit Bildern zu manipulieren und Gerüchte wie Fakten zu behandeln. Akaki Gogitschaischwili, Moderator und Redakteur von „60 Minuten“, dem politischen Aushängeschild des Senders, gesteht zwar selbst ein, dass es den Beiträgen insgesamt an hart recherchierten Fakten mangelt. Gleichzeitig betont er aber die Unmöglichkeit, mehr als lediglich Indizien zusammentragen zu können. In einem System, in dem sich Straßenpolizisten mit Bußgeldern aus willkürlichen Fahrzeugkontrollen ihr Überleben sichern und nahe Verwandte des Präsidenten seit mehreren Jahren an krummen Treibstoffgeschäften mitverdienen, versucht sein TV-Magazin oft mit Hilfe der „versteckten Kamera“ der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Aber auch diese Bilder werden vor allem von den indirekt Betroffenen als Fälschung diffamiert.
Kein Fakten-Sender
Unbefangenere Kritik am gesamten journalistischen System hat Gia Nodia, Leiter des kaukasischen Instituts für Frieden, Demokratie und Entwicklung. Tatsächlich würden noch allzu oft Kommentar und Fakten vermischt. Zudem mangele es vielen Redakteuren einfach an Professionalität. Rustavi 2 sei aber auch in dieser Hinsicht Vorreiter, wenngleich nicht alle seine Geschichten durch glasklare und auch vor Gericht haltbare Fakten untermauert sind. Ein Umstand, den sich Schewardnadse im Kampf gegen den unliebsamen Sender vielleicht künftig stärker zunutze machen wird. Immerhin kündigte er noch am Tag vor der Regierungsauflösung an, die Untersuchungen gegen den TV-Kanal fortzuführen.
Denn dass auch ihm der unabhängige Sender ein Dorn im Auge ist, bewies der Präsident bereits im August diesen Jahres, als er versuchte, den Rustavi-2-Gründer Erosi Kizmarischwili zum Verkauf zu zwingen. Redakteur Gogitschaischwili fürchtet noch heute, dass jeder Sendetag der letzte sein könnte. Er erinnert sich sehr gut daran, dass sich die Verantwortlichen damals beinahe in die Knie zwingen ließen. Im Zusammenhang mit einem heiklen Beitrag über Korruption im Gesundheitswesen, der Schewardnadse bereits aufgestoßen sein soll, ehe er überhaupt gesendet war, stand „60 Minuten“ damals auch intern zur Disposition. Nicht mehr auf der Mattscheibe präsent zu sein, bereitet Gogitschaischwili die größte Angst: „Wenn wir nicht mehr laufen, dann wird es gefährlich.“
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