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Rücktritt des britischen VizepremiersDer Minister und der Polizist

Hinter dem Rücktritt von Damian Green, Stellvertreter und Vertrauter der britischen Premierministerin, verbirgt sich ein alter Machtkampf.

Vor zwei Jahren soll er in einem Pub ungefragt das Knie einer konservativen Jugendaktivistin berührt haben Foto: ap

Berlin taz | Am Ende war nicht das Vergehen fatal, sondern der Vertuschungsversuch. Damian Green, „First Secretary“ und damit Stellvertreter der britischen Premierministerin Theresa May, ist in der Nacht zum Donnerstag zurückgetreten, nachdem eine interne Untersuchung ihm Verfehlungen vorgeworfen hatte.

Es ging vordergründig, wie so häufig in den Korridoren der Macht in London derzeit, um Schockwellen der #MeToo-Skandale um sexuelle Belästigungen durch Männer in Machtpositionen. Am 1. November beschrieb die konservative Jugendaktivistin Kate Maltby in der Times, wie Green vor zwei Jahren in einem Londoner Pub ihr Knie berührt und später unerwünschte Annäherungsversuche per SMS gemacht habe.

Der Vorwurf ging in der Öffentlichkeit komplett unter, weil am gleichen Tag Verteidigungsminister Michael Fallon wegen eines unerwünschten Kniekontakts zurücktrat – aber er führte zu einer internen Untersuchung, Die kam diese Woche zu dem Schluss, Maltbys Darstellung – von Green bestritten – sei „plausibel“, wenngleich der Vorgang sich nicht eindeutig rekonstruieren ließe.

Das allein hätte nicht für einen Rücktritt ausgereicht. Zum Verhängnis wurde Green ein anderer Zeitungsbericht, diesmal in der Sunday Times vom 5. November. Demnach sei bei einer polizeilichen Untersuchung von Damian Greens Bürocomputer „pornografisches Material“ gefunden worden.

Dies sorgte für wochenlangen Streit: Green behauptete, die Polizei habe ihm das nie gesagt. Später hieß es auch, das Material sei legal und er selbst habe es nie gesehen. Die erste dieser Schutzbehauptungen, so befand jetzt die Untersuchung, sei „inkorrekt und irreführend“ gewesen und damit ein Verstoß gegen den Ministerkodex.

So weit, so klar, wenngleich auch hier eben so wenig wie bei Fallon ein Rücktritt zwingend erscheint. Aber hinter diesem Skandal verbirgt sich ein weiterer und daraus erst wird die Dimension der Affäre klar.

Politische Rechnungen aus dem Jahr 2008

Denn die polizeiliche Untersuchung von Damian Greens Computer fand nicht jetzt statt, sondern im Jahr 2008, als er noch Sprecher für Innenpolitik bei den damals oppositionellen Konservativen war, und sie wurde begleitet von Greens Festnahme. Angeordnet wurde all dies von der damaligen Labour-Regierung.

Die wollte wissen, woher die Opposition immer wieder vertrauliche Dinge aus dem Innenministerium erfuhr. Angeblich hatten die Tories im Ministerium einen Maulwurf, den der frühere Schattenminister für Inneres, David Davis, mit Green in Kontakt gebracht hatte.

Die Razzia in Greens Büro sorgte 2008 für einen Riesenskandal für die damalige Labour-Regierung

Green kam damals ohne Anklage frei. Die Razzia in seinem Büro erfolgte ohne Durchsuchungsbeschluss, war also von zweifelhafter Legalität und sorgte für einen Riesenskandal in einer Zeit, wo sich Labour ohnehin in der Kritik wegen schärferer Sicherheitsgesetze befand.

Labour plante damals, Terrorverdächtige bis zu 42 Tage statt wie bisher sieben ohne Anklage in Untersuchungshaft halten zu dürfen. Tory-Schattenminister David Davis, dessen Protegé Green war, war dagegen. Als Labour sich durchsetzte, gab Davis aus Protest sein Amt und seinen Abgeordnetensitz zurück, trat umgehend zur Wiederwahl an und triumphierte mit 72 Prozent – ein klares Signal gegen Labours Überwachungsstaat.

Als Green ins Visier der Ermittler kam, stellte sich Davis hinter ihn – sein Nachfolger als Schatteninnenminister, Dominic Grieve, aber nicht. Der fand, es gehe im Kern um Geheimnisverrat aus einem Ministerium und das sei nicht akzeptabel.

Es war der Leiter der damaligen Ermittlungen gegen Green, der Polizeibeamte Bob Quick, der jetzt – mittlerweile pensioniert – der Sunday Times erzählte, was er damals auf Greens Computer gefunden haben will. Das war damals nicht bekannt geworden.

Dass ein pensionierter Ermittler seine Aufzeichnungen über einen so brisanten Einsatz behält und Journalisten steckt, ist zumindest unüblich.

Kein Wunder, dass die Enthüllung der Sunday Times Furore machte. Viele der Akteure von damals sind noch in Amt und Würden – aber anders. Nicht nur war Green mittlerweile zum „First Secretary“ aufgestiegen.

Sein damaliger Mitstreiter David Davis ist inzwischen Brexit-Minister. Davis’ ärgster innerparteilicher Feind und Anführer rebellischer Tory-Abgeordneter im Unterhaus ist sein damaliger staatstragender Nachfolger Dominic Grieve. Der einstige Labour-Generalstaatsanwalt Keir Starmer, der 2008 die Ermittlungen zuließ, ist heute Labours Brexit-Schattenminister. Die rechte Hand von Quick bei der Leitung der damaligen Ermittlungen, Cressida Dick, ist heute Polizeichefin von London.

Mays ausführendes Organ

Insofern werden jetzt viele alte Rechnungen beglichen. Schon sind mit Michael Fallon und Damian Green zwei enge Vertraute Theresa Mays zur Strecke gebracht worden – beide mit Vorwürfen zweifelhaften Gewichts, beide von der Murdoch-Presse enthüllt. Teile des britischen Sicherheitsestablishments, das vor zehn Jahren mit seinen Gesetzesvorhaben an den Tory-Libertären um Davis scheiterte, rächen sich jetzt offenbar.

Aus den Libertären von damals sind die Brexiteers von heute geworden. Dass Theresa May, 2010 bis 2016 Innenministerin, sie nicht im Zaum hält, erzürnt viele ihrer alten Kollegen. Dass Green selbst ein Brexit-Gegner ist, tut da nichts zur Sache: Er war Mays ausführendes Organ und sein Abgang schwächt ihre Effektivität und damit den Brexit.

Schon werden Gerüchte gestreut, auch Davis’ Tage als Brexit-Minister seien gezählt. Er hatte sich voll hinter Green gestellt, als dieser ins Visier der Presse geriet und mit seinem eigenen Rücktritt gedroht, sollte Green zur Strecke gebracht werden. Jetzt ist Green gestürzt. Davis ist im Amt – noch.

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