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Rudelweise mollige Geigen

Wo bist du, wo bist du geblie-hie-ben? Gestern vor fünfundzwanzig Jahren verunglückte die Schlagersängerin Alexandra bei einem Autounfall tödlich – der Mythos lebt  ■ Von Jan Feddersen

Gestern vor einem Vierteljahrhundert beachtete sie auf der Fahrt nach Sylt ein Vorfahrtsschild nicht. Sie starb im Alter von fünfundzwanzig Jahren. In Hamburg fand gestern eine Trauerfeier von einigen ihrer treuesten Fans statt. Man versammelte sich um einen hölzernen Drehtisch, trank gläschenweise „Schwarzer Kater“, leerte eine Schachtel Pralinés (Nougat zartbitter) und hörte „Mein Freund der Baum“. Die Handlungen galten einer Frau, deren Platten nach ihrem Unfalltod öfter und erfolgreicher verkauften wurden als zuvor: Alexandra.

Und der Mythos lebt. Noch immer gibt es in großen Tonträger- Discountern in der Abteilung „Deutsch“ ein eigenes Fach für die CDs der Doris Nefedov – dieser Name ist in ihrem Reisepaß notiert. Sängerinnen wie Wencke Myhre, Siw Malmkvist, Dörthe und Mary Roos – wie Alexandra Stars Ende der sechziger Jahre – finden sich längst nicht mehr unter eigenem Namen in den Geschäften – die Frau mit der dunklen Stimme und dem mild-verrauchten Timbre aber ununterbrochen seit 25 Jahren.

Warum Alexandra zu einem verehrten, angebeteten und geliebten Phantom werden konnte, ist nicht geklärt. Die deutsche Popmusikforschung beschränkte sich bislang hauptsächlich darauf, musikalische Darbietungen auf Echtheit und Authentizität zu untersuchen – nie die Fama selbst. Denn das bürgerliche Leben der in Heydekrug (früher: Memelland) geborenen Doris Treitz bot allenfalls Stoff für die üblichen Skandale der Showbranche, aber keinerlei Anhaltspunkte oder Erklärungen für die in die Millionen gehenden Umsatzzahlen. Den Kollegen kam sie damals entweder wie ein hypernervöses Miststück vor, das für ihren Beruf viel zuviel an den Nägeln knabberte, oder als waidwundes Reh, als Kerze, die an beiden Enden brannte – als im Lot befindlich schildert sie niemand.

Schon der Künstlername signalisierte ihren Willen, den Deutschen etwas Neues zu offerieren: Alexandra – das klingt fremd, slawisch, deutet Tiefe an. Es war klar: So etwas mußten die anpolitisierten Deutschen der sechziger (und siebziger) Jahre mögen. Die Sängerin war die erste aus der jüngeren Popgeneration, der TV-Stationen eine – wie das damals hieß – „Personality-Show“ anboten. Der einfache Schlager alleine („Beiß nicht gleich in jeden Apfel“, „Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling“) genügte nicht mehr, ab sofort mußte die Person selbst für ihr Lied einstehen – privat wie öffentlich.

Dabei präsentierte ihr damaliger Manager Fred Weyrich die Person Alexandra als deutsch und international zugleich: Der Sängerin – die noch 1962 an der Wahl zur Miss Germany teilnahm – sollte von vornherein die Beschränkung genommen werden, nur im deutschen Sprachraum avancieren zu können. Geschickt lancierte man, die gelernte Schauspielerin beherrsche mehrere Fremdsprachen – wobei sich ihre sängerischen Talente sowohl im Französischen, Russischen wie auch im Hebräischen durchaus bewährten. Das kam gut an: immerhin war es die Zeit der west-östlichen Annäherung, da war das Russische allemal opportun. Die Sprache Israels vermittelte zudem die Botschaft: Ich bin eine Deutsche und lasse mich auf eure Kultur ein. Alexandra wurde im Popgeschäft als ein Kompromiß aufgebaut, der sich an die Konsumenten und die Kritiker zugleich richtete: Hört mir zu, ich bin keine Schlagerelse, und ich bin auch kein bißchen altmodisch. „Sehnsucht“ (Taiga-Motiv), „Mein Freund der Baum“ (der erste Ökoschlager der Bundesrepublik), „Zigeunerjunge“ (Fremde und Freunde) oder auch „Walzer des Sommers“ (Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins) waren Titel, die in der Bundesrepublik Deutschland so etwas wie eine Liedtradition begründen konnten. In ihnen wurde schlicht und in der Tat ergreifend vorgetäuscht, daß es sich bei den Texten um solche mit einem irgendwie definierten „Niveau“ handelt – denn in Deutschland ist bekanntlich immer dann etwas von besonderem Anspruch, wenn eine sogenannte Tiefe und Melancholie – nein, nicht suggeriert werden, sondern – zum Ausdruck kommen.

Der Erfolg von Alexandras Liedern kann auch als erste demokratische Errungenschaft bundesrepublikanischer Kultur begriffen werden: Die Couplets waren nicht belehrend, sondern immer einen Tick traurig, ohne jedoch gleich weinerlich zu werden. Marschtakt kam in den Melodien überhaupt nicht vor, es dominierte der gepflegte Gitarrensound, der mit rudelweisem Einsatz von molligen Geigen abgestützt wurde.

Aber Alexandra wäre nie zum Mythos geworden, hätte sie sich für eine ruhigere Fahrweise entschieden. Statt dessen mißachtete sie im tiefsten Schleswig-Holstein eine Vorfahrt – und war auf der Stelle tot. Nur ihr Sohn Sascha überlebte – was für ein Arrangement, um im Pophimmel bequem Platz nehmen zu können!

Hinzu kommt, daß es seit diesem 31. Juli 1969 eine ganze Schar von Spurensuchern gibt, die sich mit dem schnöden Unfalltod der Doris Nefedov nicht abfinden mögen. Der Berliner Künstler Marc Boettcher beispielsweise schreibt momentan an einer Biographie, in der bewegende Fragen endgültig geklärt (oder noch einmal angerissen) werden sollen: Warum nur verlobte sich Alexandra wenige Wochen vor ihrem Tod mit einem Mexikaner – wo der sie doch nur ausnutzte? Warum mußte Alexandra 1969 ein Kind abtreiben lassen? Alexandra bemerkte Minuten vor dem Unfall möglicherweise technische Pannen am Benz – Vorsehung oder was? Und warum schloß sie drei Tage vor ihrem Unfall noch eine Lebensversicherung ab?

Man ahnt: Nicht nur Jimmy Dean oder Janis Joplin haben Kulte nach sich gezogen. Vielleicht ist Alexandra auch zeitig genug gestorben. Wer weiß, ob sie nicht am Ende ihrer Tage Lieder von Jack White („Ein Festival der Liebe“) oder Frank Farian hätte singen müssen, um ein Auskommen zu haben. Das muß bei Alexandra ebenso ungeklärt bleiben wie bei allen Märchen, die der Tod beschließt.

Verbürgt ist allerdings, daß im Stuttgarter Verlag „Das Beste“ drei CDs mit allen je von Alexandra auf Platte veröffentlichten Liedern erschienen sind.

Sie sind nach wie vor hinreißend schön, so eben unterhalb der Grenze, wo das Heulen und der Kitsch beginnen. Wer fühlte nicht mit jedem Baum, der stirbt, mit allen Seelen, die lieber in der Taiga einsam sein möchten als sonstwo?

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