Royale Begeisterung: Feudale Zeiten
Hannover feiert die britischen Welfen-Könige, in Kiel wird ein Zaren-Denkmal aufgestellt, und überall werden Schlösser wieder aufgebaut. Was ist so faszinierend am royalen Glanz?
BREMEN taz | Am raschesten verläuft der Vormarsch des Neo-Feudalismus in den Krabbelgruppen. Und dort ist er auch am leichtesten zu beobachten: Immer mehr Sophie-Charlottes bevölkern die Räume der Jüngsten, immer öfter wird nach „Eduard“ und „Karl-Friedrich“ gerufen. Dass alte Namen irgendwann wieder „in“ sind ist zwar nichts Neues, aber während sich das früher auf einen einzigen Generationssprung beschränkte, bedient sich der Namens-Rückgriff in die Vergangenheit mittlerweile der Generation der Urgroßeltern. Nun könnte man sagen: Das ist eben neocon. Aber im Grunde ist es neofeu.
Denn die gegenwärtige Wilhelmisierung der Namen ist Teil einer bürgerlichen Sehnsucht, einer Retrospektivität, deren Werte in einem vor-demokratischen System wurzeln. Landauf, landab schießen Schloss-Fassaden wie Potemkin’sche Pilze aus dem Boden, wird für Denkmäler von feudalen Figuren gesammelt. In Kiel soll es ein Zar sein. Auf den Oldenburger Schlosshof wäre fast, mit kräftigem Rückenwind der Nordwest-Zeitung, ein bronzener Graf Anton-Günther eingeritten. Und selbst im zutiefst republikanischen Bremen sitzen die kaiserlichen „Herold“-Figuren fester denn je im Sattel. Ihre dauerhafte Aufstellung vor dem Rathaus, die gegen den Rat des Landesdenkmalpflegers erfolgte, wurde von einer sehr aktiven Bürgerinitiative finanziert.
Auf den Karnevalpartys der 70er war das Lied „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben“ ein Hit. Was unterscheidet das heutige Hurra-Geschrei über den Wiederaufbau der Hohenzollern-Residenz, des Berliner Stadtschlosses, von diesem Hit? Das Fehlen jedweder Ironie. Die war, in Gegensatz zum aktuellen Royalismus-Revival, noch in der biedersten Bierseligkeit einer 70er-Jahre-Party enthalten, wenn „Wilhelm“ den Kehrvers bekam: „Aber nur mit Bart, aber nur mit Bart“.
Heute ist das anders. Gänzlich spaßfreie Magazine wie „Adel exklusiv“ aus dem Bauer-Verlag haben steigende Absätze. Die Klambt-Gruppe ist mit „Adel aktuell“ so erfolgreich, dass sie kürzlich noch „Adel heute“ mit 140.000 Exemplaren Start-Auflage auf den Markt brachte. Auch die immer unüberschaubarer werdende Zahl von „Landlust“-Plagiaten weist letztlich nicht nur in Richtung Natur, sondern nährt den Wunschtraum nach einem am liebsten landadeligen Lebensstil. Und der Manufactum-Rausch? In ihm erwerben sich die besser verdienenden Kreise alle Accessoires, die man zu einer Gentrifizierung des Landlebens braucht. Auch wenn man in der Stadt lebt.
Natürlich gibt es Schmiedeeisernes, Tweed-Jackets, Loden- und Ledergefertigtes auch jenseits neo-feudaler Sehnsuchtswelten. Der phänomenale Erfolg der sehenswerten englischen Adels-Serie „Downton Abbey“ ist ebenfalls nichts per se Schlechtes. Und warum soll ein Chor keine Lust haben, bei einer nachgestellten Krönungsmesse in Hannover als Hüte werfende Reenactment-Masse mitzuwirken?
In der Gesamtschau weisen diese Phänomene auf etwas Bedenkliches hin: dass immer größere Teile der Bevölkerung an aufgeklärtem Geschichtsbewusstsein verlieren. Genauer: dass sie sich, je stärker die persönliche und gesellschaftliche Verunsicherung in einer globalisierten Moderne wird, nach den Teilen der Geschichte sehnen, die Überschaubarkeit und klare Verhältnisse versprechen. Also zu denen mit einer festen Einteilung in oben und unten.
Wenn der Sohn eines ehemals enteigneten norddeutschen Gutsbesitzers wieder Patronatsrechte über die Dorfkirche beansprucht, dann kann man das als ländlichen Sonderfall abtun – der im Zweifel der Ertüchtigung der alten Kirchen-Heizung zugute kommt. Was aber bedeutet das Wiedereintreffen der Familie Preußen in Potsdam? Vor vier Jahren wurde die Generalverwaltung des „vormals regierenden Fürstenhauses“ von Bremen-Borgfeld nach Berlin verlegt, eine Analogie zum Abschied der Bundesregierung aus Bonn. Der Sprung aus der Provinz in die historische Hauptstadt ist in beiden Fällen ein eindeutiges Signal, und zwar dasselbe: Wir verlassen die Zurückgezogenheit und Bescheidenheit der Rhein- beziehungsweise Wümme-Landschaft – und knüpfen an „größere“ Vergangenheiten an. „Die Familie“, erklärte Prinz Georg Friedrich, Chef des Hauses Preußen, „wird nun wieder stärker in Erscheinung treten.“
Die Hannoveraner leisten sich den Wiederaufbau des Herrenhauser Schlosses. Die Braunschweiger lieben ihre neu errichtete Welfen-Residenz, die in ihrem Inneren beide Bedürfnisse der globalisierten Moderne befriedigt: einerseits grenzenloses Shoppen, andererseits, als Kompensation, die behaglich-erbauende Nostalgie der eigens rekonstruierten Wohn- und Audienzräume der Welfenherzöge.
Was aber spricht gegen einen „entspannten“ Umgang mit Deutschlands dynastischer Geschichte? Warum sollten die deutschen Fürstenfans und Monarchisten ein anderer Schlag sein als etwa die britischen Buckingham-Freaks?
Erstens, weil unser letzter Kaiser nie so „nett“ war wie beispielsweise die englische Queen. Sondern ein übler Kriegstreiber, der mit seiner Bremerhavener „Hunnenrede“ Deutschland aus dem Kreis der Staaten katapultierte, die das Völkerrecht beachteten. „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht!“, schärfte er seinen zu verschiffenden Truppen ein, die in China dafür sorgen sollten, „dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ Wilhelms 150. Geburtstag wurde im Bremer Rathaus trotzdem mit einer Veranstaltung über „Die politischen Leistungen des Hohenzollern-Sprosses“ gewürdigt.
Es ist grotesk, einen zu Kaiser ehren oder nostalgisch verklären, der einen realpolitisch denkenden Kanzler Bismarck entließ und sein Land ins Verderben führte. Schlicht gesagt: Wenn das Staatswohl wesentlich von der Nettigkeit oder eben Vernunft eines Potentaten abhängt, ist das nie eine irgendwie zu verklärende Idee. Diese banale Lektion lohnt, nicht vergessen zu werden. Sie wird aber vergessen. Wenn selbst der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche, wo der Spät-Feudalismus in Gestalt von Hindenburg Hitler die Hand reichte, große Begeisterung auslöst, ist das nicht mehr wegzudiskutieren.
„Braucht die Politik mehr Adel?“, fragte sogar die taz, als das Land noch fasziniert war vom „federnden Gang“ eines jungen Ministers aus dem fränkischen Kulmbach. Leider hat dessen unehrenhafter Abgang das Problem nicht gelöst: das Bedürfnis nach Distinktion, wo Demokratie vonnöten ist. Neofeu eben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen