Rot-rot-grüne Sanierungsstrategie: „In Sachen Asbest offensiver werden“

Die Koalition erhöht den Druck bei der Asbestsanierung von Wohnungen. Der Grüne Andreas Otto schlägt vor, mit der Wilmersdorfer „Schlange“ anzufangen.

Blick aus der Wilmersdorfer „Schlange“, die sich über der Stadtautobahn A 104 erhebt Foto: dpa

taz: Herr Otto, Sie wollen die denkmalgeschützte Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße – über Wilmersdorf hinaus als „Schlange“ bekannt – zum Modellprojekt für die Asbestsanierung von Wohngebäuden machen. Warum braucht Berlin dafür ein Modellprojekt?

Andreas Otto: Um Erfahrungen für eine künftige landesweite Strategie zu sammeln. Die Idee ist: Wir sanieren ein herausragendes, einschlägig belastetes Gebäude in einem bestimmten Zeitraum und dokumentieren das.

Hat man nicht mittlerweile genügend Erfahrung mit Asbestsanierung?

Andreas Otto

vertritt seit 2006 den Wahlkreis Prenzlauer Berg Nordwest als direkt gewählter Abgeordneter. Sprecher der Grünen-Fraktion für Baupolitik, außerdem leitet er den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten.

Asbestsanierungen von Wohn­gebäuden gab es im großen Stil eigentlich noch nicht. Die landeseigenen Gesellschaften arbeiten so vor sich hin und kommen mühsam voran, während wir bei privaten Eigentümern so gut wie gar nichts wissen – abgesehen davon, dass mit Verkauf der landeseigenen Gesellschaften GSW und Gehag auch viele asbestbelastete Wohnungen privatisiert wurden.

Die Degewo hat nach eigenen Angaben in der „Schlange“ den Asbest schon aus einem guten Drittel der Wohnungen – rund 470 – entfernt. Saniert wird immer bei einem Mieterwechsel oder wenn es konkrete Probleme gibt. Reicht das nicht aus?

Je nachdem, wie hoch die Umzugsaktivität ist, kann das noch Jahrzehnte dauern. Und als die „Schlange“ vor Jahren halb leer stand und die Zeit günstig war, ist nichts passiert. Ich denke, das muss man beschleunigen und möglichst Aufgang für Aufgang abarbeiten. Also etwa immer 20 Wohnungen und dann die nächsten. Weil die Sanierung nicht in bewohntem Zustand möglich ist, sind die Leute dann anderweitig unterzubringen, aber das dauert ja pro Wohnung nicht Jahre, sondern Tage oder wenige Wochen.

Der Mineral Asbest wurde vor allem von den 50er bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgrund seiner besonderen Eigenschaften (Hitzebeständigkeit, mechanische Belastbarkeit) in Baustoffen und Innenraummaterialien verwendet. Da inzwischen bekannt ist, dass die extrem feinen Asbestfasern Lungen- und Zwerchfellkrebs erzeugen können, wenn sie eingeatmet werden, ist die Herstellung und Verwendung seit 1993 verboten.

Eine grundsätzliche Pflicht zur Entfernung aus Gebäuden gibt es nicht, zumal die in Platten, Rohren oder Fußbodenbelägen gebundenen Fasern nicht ohne Weiteres freigesetzt werden. Wenn asbesthaltige Materialien jedoch entfernt oder bearbeitet werden, ist das Risiko einer gesundheitsschädlichen Kontamination hoch – hier gelten strenge Auflagen zum Umgang und zur Entsorgung.

In Berlin sind derzeit verschiedene Behörden vom Gesundheitsamt bis zum LKA für das Thema Asbest zuständig. Informationen dazu gibt es hier.

Es heißt, dass Asbestfasern so lange keine gesundheitliche Gefahr darstellen, wie sie fest im Trägermaterial gebunden sind. Ist die Eile wirklich angebracht?

Das sagt auch die Degewo in der Antwort auf meine parlamentarische Anfrage zur „Schlange“: Alles kein Problem, solange nichts austritt. Aber: Wer stellt denn fest, ob etwas austritt? Welcher Mieter ist denn in der Lage, das zu entscheiden? Es ist doch nicht seine Aufgabe, die Asbestbelastung in seiner Wohnung herauszufinden, da müssen sich die Wohnungs­unternehmen strecken. Klar, das geht nicht in einer Woche, da braucht man einen Fahrplan. Deshalb schlage ich vor: erst die Wahrscheinlichkeit einer Asbestbelastung prüfen, dann Stichproben durchführen, dann mit der Sanierung innerhalb der Wohnungen anfangen und sich nach außen zur Gebäudehaut vorarbeiten.

Geschätzt 100.000 landeseigene Wohnungen sind in irgendeiner Form asbestbelastet – wie verteilen die sich geografisch über die Stadt?

Die allermeisten liegen im Westteil der Stadt, besonders viele in Neukölln und Tempelhof-Schöneberg. Im Gegensatz dazu hat die Howoge ihren Bestand in den östlichen Bezirken weitestgehend saniert. Es gibt allerdings auch bei den Landeseigenen eine gewisse Dunkelziffer, weil die Gesobau angibt, ihr lägen keine Gutachten vor und sie könne darum keine konkreten Zahlen nennen.

Sie sagten, über Wohngebäude privater Eigentümer lägen praktisch gar keine Erkenntnisse vor – sind die nicht angehalten, asbesthaltige Baustoffe zu melden?

Nein. Wie überall gibt es auch da natürlich sorgsame Eigentümer, und es gibt schwarze Schafe. Mir wurde von MieterInnen glaubhaft versichert, dass ihnen gesagt wurde: Du bekommst drei Monate mietfrei und entsorgst dafür den Fußboden. Irgendwann stellte sich heraus, dass dieser Boden Asbest enthielt. Das sind sicher Einzelfälle, aber an dem Beispiel sieht man, dass das Land in Sachen Asbest offensiver werden muss. Wir brauchen ein Asbestkataster und eine Sanierungsstrategie für Berlin. Deshalb steht am Mittwoch ein Koalitionsantrag im Ausschuss zur Abstimmung, der den Senat zur Entwicklung einer solchen Strategie auffordern.

Wie soll denn der Senat die Privaten ins Boot holen? Die haben doch kein Interesse ­daran, dass Asbest in ihrer ­Immobilie öffentlich wird.

Ich würde immer mit Gesprächen anfangen. Der Senat ist aufgefordert, mit den Verbänden der privaten Wohnungs­eigentümer in den Dialog zu treten. Dann muss man möglicherweise Förderungen in Aussicht stellen – oder eben über eine gesetzliche Regelung nachdenken wie eine Meldepflicht. Natürlich kann man auch über eine gesetzliche Pflicht zur Sanierung nachdenken, aber das wäre ein sehr harter Schritt.

Auf rund 100.000 schätzt Andreas Otto die Zahl der Berliner Wohnungen, die in irgendeiner Form asbestbelastet sind. Genaue Zahlen liegen nur für die vier landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Degewo, Stadt und Land, Gewobag und WBM sowie die ebenfalls landeseigene Immobiliengesellschaft Berlinovo vor – hier stehen nach Informationen vom Januar 2018 insgesamt 41.585 Wohnungen unter Verdacht. Die Wohnungsbaugesellschaft Howoge hat nach eigenen Angaben ihre Bestände abschließend asbestsaniert, die Gesobau macht keine Angaben.

Die rot-rot-grüne Koalition hat sich mehr Druck beim Thema Asbest auf die Fahnen geschrieben. Mit einem gemeinsamen Antrag fordern die Fraktionen den Senat auf, die betroffenen Gebäude in einem öffentlichen Register zu erfassen, eine Sanierungsstrategie unter Einbeziehung öffentlicher und privater Eigentümer zu entwickeln und eine zentrale Beratungsstelle für betroffene MieterInnen zu schaffen.

Sie sprachen von Förderung. Asbestsanierung ist teuer, gerade wenn man sie im großen Stil betreibt. Wird der Senat hier wirklich Geld zuschießen?

Wir stehen da am Anfang einer Diskussion. Ich kann nicht versprechen, dass schon im nächsten Haushalt ein entsprechender Posten auftaucht, aber wir müssen das durchkalkulieren und sehen, ob Geld ein Anreiz zur Sanierung sein könnte. Auch dafür würde ein Modellprojekt „Schlange“ Anhaltspunkte liefern. Wenn auch private Eigentümer Geld bekommen sollen, bräuchte es jedenfalls ein echtes Förder­programm, dann wäre auch der Bund gefragt. Asbest ist ja ohnehin kein Berliner Spezialproblem, sondern ein Problem aller westdeutschen Großstädte.

Sie hoffen darauf, dass der Bund sich spendabel zeigt?

Na ja, wir haben gerade eine neue Bundesregierung, und auch der Regierende Bürgermeister als Verhandler für die Groko hat gesagt, dass die wohnungspolitisch durchstarten wird. Eine Förderung von gesundem Wohnen durch Entsorgung von Asbestmaterialien wäre ein gutes Signal. Passt ideal ins Heimatministerium.

Ihnen schwebt eine zentrale Anlaufstelle vor, an die sich MieterInnen und Wohnungssuchende mit Asbestsorgen wenden können.

Richtig. Das kann ein Bürgertelefon sein. Derzeit rufen Leute ja sogar mich an und fragen, was sie tun sollen: Bei ihren Eigentümern finden sie kein offenes Ohr, sie werden von einer Stelle zur nächsten geschickt, vom Bezirksamt zum Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit und so weiter. Ich sage inzwischen immer: Gehen Sie am besten zur Umweltkripo. Die Koalition will eine Beratungsstelle, wo Bürger und Eigentümer einheitlich beraten werden – wie sie Asbest erkennen können, wie sie die Luftbelastung messen lassen können. Für diese Stelle haben wir Geld in den Haushalt 2018/19 eingestellt.

Und wie soll das Asbestkatas­ter aussehen, das Sie fordern? Kann ich als Mietinteressent irgendwann eine Website aufrufen und auf einem Stadtplan genau erkennen, wo Asbest verbaut ist?

Ein Register aufbauen lohnt sich nur, wenn auch alle drinstehen. Es könnte dann drei Kategorien geben: 1. Asbest wurde nie verbaut, 2. Asbest wurde entfernt, 3. Es gibt den Verdacht auf Asbest. Manche Eigentümer werden sagen: Das geht gar nicht, das sind Geschäftsgeheimnisse – aber das muss man dann eben gegen die gesundheitlichen Interessen der MieterInnen abwägen. Und wenn Unternehmen erst einmal saniert haben, kann das ja auch eine gute Werbung sein, ein wichtiges Qualitätskriterium: Bei uns kannst du die Kinder beruhigt auf dem Fußboden spielen lassen!

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