Rot, Rot, Grün und die Koalitionsfrage: Nur auf Bewährung
Die Linkspartei hat sich einst in der Opposition zu Rot-Grün gegründet. Ihre Existenz konfrontiert die SPD mit ihrer eigenen Vergangenheit, mit der sie selber nicht umzugehen weiß.
Es ist mehr als eine Ironie der Geschichte, dass Rot-Grün justament an dem Ort ein Revival erlebt, an dem diese Formation 2005 schmählich unterging. Vorher und seitdem durchlitt die Sozialdemokratie, gerade in Nordrhein-Westfalen, eine ihrer schwersten Krisen, mit deren Konsequenz sie in Form der Partei "Die Linke" auf absehbare Zeit konfrontiert ist.
Das Regierungsbündnis, das sich im bevölkerungsreichsten Bundesland bildet, gilt als Signal für künftige bundespolitische Konstellationen, und SPD und Grüne haben dieses Signal gesendet - können ihm aber nicht aus eigener Kraft folgen. Sofern die SPD keine große Koalition eingeht, sind sie auf die Partei "Die Linke" verwiesen.
Die Vorbehalte der SPD gegen eine Koalition mit dieser Partei sind nur zum Teil in deren Retro-Radikalismus begründet. Die SPD wird durch deren Existenz noch immer mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Denn die Linke entwickelte sich in Opposition gegen die SPD, Oskar Lafontaine hat deren Programmatik radikalisiert und gegen deren Praxis gewandt.
ist Redakteur der Zeitschrift Vorgänge. 1986 war er Mitgründer des Berliner Senders "Radio 100". Anschließend arbeitete er im taz-Inlandressort - zeitweise als Chef - sowie für "Die Woche". Sein Interesse gilt der Entwicklung der Parteien.
Bis heute hat sich weder die SPD noch haben sich die Grünen ein eindeutiges Urteil über diese gemeinsame Regierungspraxis von 1998 bis 2005 erarbeitet, weshalb sich die Frage stellt, woran beide eigentlich anknüpfen, wenn sie nun von einer privilegierten Partnerschaft sprechen, und wie man sich die zeitgemäße Fassung einer rot-grünen Politik vorzustellen hat - zumal diese unter Umständen mit der einer Partei "Die Linke" kompatibel sein muss, die aus der Opposition gegen Rot-Grün erwachsen ist.
Selbst frühere sozialdemokratische Pfadfinder des Dritten Weges erklären diesen inzwischen zum Holzweg. Sie mahnen eine Abkehr von der Strategie der Mitte an, denn diese habe die SPD von ihrer sozialen Basis entfremdet. Nun ist diese Mitte kein sozialer Ort, sondern markiert die Deutungshoheit über Diagnose und Behandlungsweise gesellschaftlicher Probleme. Insofern war die Übertragung von Anthony Giddens Politik jenseits von rechts und links auf deutsche Verhältnisse der zunächst erfolgreiche Versuch der SPD, die Stagnation der Ära Kohl zu überwinden.
Vier strukturelle Veränderungen markierten diese Politik: Das "Modell Deutschland" der Unternehmensverflechtungen und des Korporatismus wurde für die globalisierte Wirtschaftsstrukturen geöffnet, die Energiewende sowie eine Einwanderungspolitik wurden eingeleitet und der Arbeitsmarkt von der Statussicherung auf Aktivierung umorientiert.
Letzteres gilt noch heute in der SPD als Sündenfall und als Geburtsstunde der Linken. Dabei erwies sich das Konzept, wie das Beispiel der nordeuropäischen Staaten und die Entwicklung des Arbeitsmarktes zeigen, als richtig, der Staat versagte (und versagt) allerdings bei der Betreuung, Vermittlung und vor allem bei der Qualifizierung der Arbeitslosen.
Politische Schnittmenge
Auf die dabei aufgeworfene Gerechtigkeitsfrage konnte die Regierung Schröder schon deshalb keine glaubwürdige sozialdemokratische Antwort mehr geben, weil sie zuvor bei der Unternehmen- und Einkommensteuerreform ohne strukturelle Notwendigkeit eine massive Umverteilung nach oben vorgenommen hatte. Das hatte wenig mit dem Dritten Weg, aber viel mit neoliberalem Zeitgeist-Opportunismus zu tun, der auf Trickle-down-Effekte hoffte, die nie eintrafen. Die daraus resultierende Schwäche des Staates untergrub, als die Regierung die Hartz-Reformen hätte nachbessern müssen, die Fähigkeit dazu.
Die Nachbesserungen, die von der SPD, mit Blick auf die Linke, während der großen Koalition durchgesetzt wurden, orientierten sich wieder mehr am Leitbild der Statussicherung und weniger dem der Aktivierung. Das hat die politische Schnittmenge beider Parteien erhöht - und bei der Partei "Die Linke" prompt das Bedürfnis nach Abgrenzung verstärkt. Ihr Programmentwurf ist ein Dokument verbalradikaler Identitätssicherung, das nicht von ungefähr im Westen verfasst wurde, wo diese Identität nicht soziokulturell und elektoral gesichert ist.
Mit dem vorläufigen Scheitern des FDP-Steuerkonzeptes ist die neoliberale Angebotspolitik in die Defensive geraten. Das bedeutet jedoch nicht, dass nun wieder eine klassische Nachfragepolitik zum Zuge kommt. Eine linke Politik, die jeden Akt des Konsums mit dessen vermeintlich wirtschaftsfördernder Kraft legitimiert, wird schnell mit deren begrenzter Wirkung in einer entgrenzten Welt konfrontiert sein - wie es sich zuletzt an der Abwrackprämie erwiesen hat.
Die Mitte rückt nach links
Mit der Regulierung der Finanzmärkte, der Energiewende und der Sicherung staatlicher Handlungsfähigkeit hat sich die politische Agenda der Republik weiter nach links verschoben.
Die Mitte ist wieder links geworden. Darauf mit einem imaginären linken Lager zu antworten, verkennt gesellschaftliche Meinungsbildung und Parteienbindung, verengt Handlungsmöglichkeiten und ignoriert vor allem die politische Sprengkraft, die mit der gefeierten Rückkehr des Staates für dieses "linke Lager" verbunden ist.
Denn die Sicherung seiner Handlungsfähigkeit bedeutet den Abbau seiner Verschuldung, ein Vorhaben, das nicht von allen Beteiligten als ein linkes identifiziert wird, das mit einer auf Umverteilung geeichten Politik der sozialen Gerechtigkeit in einem Zielkonflikt steht, der sich nicht so einfach mit Steuererhöhungen lösen lässt. Dies vor allem dann nicht, wenn, wie absehbar, die Produktivitätsentwicklung keine wesentlichen Ertragssteigerungen erwarten lässt und sich die Summe der Sozialausgaben weiter steigen wird.
Auch eine rot-rot-grüne Regierung muss sich über die Aufgaben des Staates und ihre kosteneffiziente Erfüllung, über strukturelle Veränderungen der Sozialsysteme Gedanken machen. Dabei wird der Weg vom Programm zur Praxis für die Partei "Die Linke" weitaus länger sein als für die angestrebten Koalitionspartner.
In Nordrhein-Westfalen wird sich zeigen, ob "Die Linke" diesen Weg gehen wird, und es ist von daher für alle Beteiligten vielleicht durchaus von Vorteil, dass eine gemeinsame Bundesregierung nicht schon morgen auf der Tagesordnung steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!