Romavertreterin über Finnland: "Romakinder gehen zur Vorschule"

In Finnland klappt die Zusammenarbeit zwischen Staat und Romaverbänden gut, meint Miranda Vuolasranta. Dort gibt es seit 100 Jahren eine Interessenvertretung.

Roma im Kosovo. Bild: dpa

taz: Frau Vuolasrantas, wie viele Roma leben heute in Finnland?

Miranda Vuolasranta: Wir sind keine große Gruppe, vielleicht 12.000 oder 15.000 Menschen, alle fest angesiedelt. Im Winter leben die finnischen Roma in Häusern, während der langen Schulferien im Sommer reisen sie aber für zwei Monate mit dem Wohnwagen durchs Land.

Auf dem Roma-Gipfel wurde Finnland mehrfach als positives Beispiel erwähnt. Hat Finnland vieles richtig gemacht?

Das kann man so sagen. In Finnland haben wir bereits seit 100 Jahren eine Interessenvertretung der Roma. Vor 52 Jahren haben wir mit der engen Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Stellen und den Roma-Organisationen begonnen, es gibt ein Roma-Verbindungsbüro im Sozial- und Gesundheitsministerium. Jeden Monat treffen sich die gewählten Roma-Vertreter mit Regierungsmitarbeitern und Vertretern der Städte und Gemeinden. So konnten wir auf die Verfassungsreform Einfluss nehmen, aber auch auf die Gesetzgebung zu Ausbildung, öffentlichen Dienstleistungen, auf die Gleichstellungsgesetzgebung, das Antidiskriminierungsgesetz. Juristisch und von der Verwaltungsseite aus gesehen sind wir sehr weit gekommen. Wir haben ein Handbuch für bestimmte Berufe herausgebracht, wo wir Menschen informieren, die zum Beispiel als Ärzte oder als Geschäftspartner mit Roma zu tun haben.

Und wie sieht es in der Praxis aus?

Was den politischen Alltag und das tägliche Leben angeht, müssen wir eingestehen, dass es noch Diskriminierung gibt. Für einige Probleme haben wir keine Lösung gefunden. Aber im Großen und Ganzen sind unsere Erfahrungen gut.

Belegen die Statistiken Ihre Erfolgsgeschichte?

Die finnischen Roma gehören zu den Kalé, die mit den deutschen Sinti verwandt ist. Das sind sehr altmodische, traditionsgebundene Leute. Ich bin jetzt fünfzig, meine Generation bekam als erste die Gelegenheit, sich niederzulassen und auszubilden. Inzwischen besucht schon die zweite Generation regelmäßig Schulen. Wir stellen fest, dass die Mütter es jetzt unterstützen, wenn ihre Kinder in die Vorschule oder Tagesbetreuung gehen. Das ist wichtig, damit die Roma-Kinder den Kulturschock überwinden. Vor 30 Jahren hätte keine Roma-Mutter ihr Kind in eine Ganztagsbetreuung gegeben, weil das als unmütterlich galt.

Sprechen Sie in der Gemeinschaft untereinander Finnisch oder Romani?

Finnland musste sich seine nationale Unabhängigkeit schwer erkämpfen. Deshalb war die Stimmung im Land nach dem Zweiten Weltkrieg sehr gleichmacherisch. Es war nicht erlaubt, in der Öffentlichkeit Romani oder Sami [das Idiom der Lappen, d. Red.] zu sprechen.

In der heutigen Generation verstehen zwar viele Romani, aber sie benutzen es nicht. Das ist schade. In den letzten 15 Jahren haben die Roma-Organisationen und die Erziehungsbehörden sich bemüht, in Finnland Romani als Muttersprache wiederzubeleben.

Wie sehen Sie die Veranstaltung?

Man scheint sich nicht mit der Frage befasst zu haben, welche Roma-Organisationen repräsentativ sind. Auf der Teilnehmerliste findet sich ein Sammelsurium von Gruppen und Organisationen. Man fragt sich, nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden. Deshalb ist das Meinungsbild hier etwas diffus. Andererseits sorgt der erste europäische Roma-Gipfel dafür, dass das Thema ganz oben auf die politische Agenda kommt. Immerhin hat der Kommissionspräsident das Treffen eröffnet, fünf Kommissare haben teilgenommen. Die europäische Öffentlichkeit kann die Probleme nicht mehr ignorieren. Die Roma sind noch immer die am meisten diskriminierte und an den Rand gedrängte Minderheit in Europa.

INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER

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