Romanautor Assaf Gavron: "Alles in Israel ist fragil"
Im Roman "Ein schönes Attentat" trifft das hedonistische Tel Aviv auf die Wirklichkeit. Warum er die israelische neben die palästinensische Befindlichkeit stellt, erzählt Autor Assaf Gavron.
taz: Herr Gavron, Ihre Romanfigur Eitan Einoch überlebt innerhalb von nur einer Woche drei Bombenanschläge in Israel. Ist das nicht ziemlich übertrieben?
"Ein schönes Attentat" erzählt aus der Ich-Perspektive die Geschichte von Eitan Einoch, der drei Anschläge palästinensischer Extremisten überlebt und dadurch zum Helden in Israel, aber eben auch zur Zielscheibe wird. Ebenfalls aus der Ich-Perspektive wird parallel die Geschichte des Attentäters Famih Sabih geschildert. Der Roman spielt während der zweiten Intifada und wird gerade ins Deutsche übersetzt.
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Assaf Gavron, 39, wuchs in Jerusalem auf und studierte in London und Vancouver. Er hat drei Romane und einen Band mit Erzählungen veröffentlicht. Außerdem hat er Jonathan Safran Foer und J. D. Salinger ins Hebräische übersetzt. Gavron ist Sänger der Band "The Mouth and Foot" und war im Schreibteam des Computerspiels "Peacemaker", das den Nahostkonflikt simuliert und Wege zum Frieden sucht. Er lebt in Tel Aviv.
Assaf Gavron: Die Geschichte sollte extrem sein, eine Art Überhöhung der Realität, mit der ich auf die tatsächliche Situation aufmerksam mache. Das macht den Charakter des Buchs aus: Teils ist es eine Parodie, teils realistisch, teils lustig, teils traurig und surreal.
Warum wird der Palästinenser Famih - neben Eitan die zweite Hauptfigur Ihres Romans - zum Terroristen?
Famih ist sehr stark beeinflusst durch seinen Bruder und durch seinen Glauben. Er ist sich allerdings nie ganz sicher, was er will - bis zum letzten Moment nicht, als er beim Werfen der Bombe zögert.
Neben familiären und religiösen Motiven spielt auch der Zufall eine Rolle?
Der Zufall spielt insgesamt eine große Rolle. Zufällig jemanden zu treffen, zufällig zehn Minuten früher aus dem Bus auszusteigen, in dem eine Bombe hochgehen wird. Alles in Israel ist manchmal sehr fragil, man weiß nie, was als Nächstes passieren wird.
Warum wechseln in dem Roman so oft die Perspektiven zwischen Israelis und Palästinensern?
Die Entscheidung, aus doppelter Perspektive zu schreiben, fiel sehr früh. Die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern kommt nicht aus dem Nichts. Sie hat ihre Gründe, und die wollte ich beschreiben. Ein Punkt, an dem es schwieriger wurde, war, die richtige Stimme für den Palästinenser zu finden.
Wie haben Sie dafür recherchiert?
Während der ersten Intifada war ich Soldat und etwa fünf Monate in Gaza stationiert. Dort habe ich den palästinensischen Alltag erlebt - in den Dörfern, in den Häusern, in den Flüchtlingslagern. Wir sind selbst auch in die Häuser eingedrungen, um nach Leuten zu suchen. Das war das erste Mal, dass ich so nah am palästinensischen Leben war. Als ich anfing, das Buch zu schreiben, hatte sich jedoch vieles geändert. Als ich da war, flogen Steine. Bei der zweiten Intifada gab es Selbstmordattentate und Schießereien, und die Reaktion der israelischen Armee war viel härter. Ich bin also gereist, so gut es ging, habe dokumentarisches Material gesucht und mit Palästinensern gesprochen. Zwei Lehrer haben mir sehr geholfen, die Hebräisch an der Universität von Gaza unterrichten.
Repräsentiert Eitan die junge Generation in Israel?
Eitan ist ein typischer, junger hedonistischer Tel Aviver. Anfangs ist er manchmal zynisch und sehr verschlossen. Dann ändert sich plötzlich alles für ihn, die Realität bricht in sein Leben ein, und am Schluss öffnet er sich viel stärker.
Und Famih?
Famih repräsentiert eine sehr kleine Minderheit; die meisten Palästinenser sind natürlich keine Mitglieder von Terrorgruppen. Aber jenseits der Tatsache, dass Famih ein Terrorist ist, hoffe ich, dass die Beschreibung seines Alltags, seiner Gefühle und seiner Bemühungen, ein normales Leben zu führen, in gewisser Weise schon palästinensisches Leben repräsentiert.
Gibt es in Ihrem Buch Opfer und Täter?
An der Oberfläche ist es offensichtlich: Der eine plant einen terroristischen Anschlag, der andere wird attackiert. Aber genau diese Stereotype will ich aufbrechen. Der Terrorist ist ein recht freundlicher junger Mann, der seine Schwester und seine Musik liebt. Und das sogenannte Opfer verhält sich wiederum sehr grausam gegenüber seiner Freundin.
Ein Journalist schrieb, Ihr Buch sei für Israelis sehr provokant.
Die Provokation liegt schon allein darin, eine palästinensische Figur darzustellen, noch dazu Mitglied einer Terrorgruppe. Außerdem schreibe ich in der ersten Person - was dazu führt, dass man sich als Leser leichter mit diesem Palästinenser identifiziert. Viele Israelis denken, dass solchen Leuten keine Stimme gegeben werden sollte, aber ich sehe das anders. Ich kann mir vorstellen, woher die Gewalt kommt, ich kann das verstehen. Das heißt ja nicht, dass ich Famih zustimme.
Wird Ihr Roman auch von Palästinensern gelesen?
Lesen ist dort leider fast schon Luxus. Es gibt kaum Buchhandlungen in palästinensischen Städten. Und mein Buch wurde bisher auch nicht übersetzt.
Der Roman endet mit sehr viel Leid und Tod.
Ich konnte einfach kein Happy End schreiben, nicht in dieser Situation. Wir sind in dieser Situation gefangen, obwohl niemand das so will. Vielleicht schaffen wir es irgendwann, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Interview: PATRICIA HECHT
"Ein schönes Attentat". Luchterhand Literaturverlag, München 2008. 352 Seiten, 19,95 . Assaf Gavron liest am 12. April in der Berliner Volksbühne.
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