Roman von Matthias Lohre: Abkühlung einer Ingenieursseele

Der Journalist Matthias Lohre hat seinen ersten Roman geschrieben. Darin erzählt er, wie aus einem pazifistischen Träumer ein Handlanger Hitlers wird.

Illustration von Sörgel. Atlantropa Projekt Mittelmeer

Herman Sörgels Plan sah einen Staudamm zwischen Afrika und Europa vor Foto: Heritage Images/Ullstein

Ein großes Friedensprojekt, das wär’s doch. Eines, das die Welt noch nie gesehen hat. Eines, an dessen Ende für alle in Europa genug Platz zum Leben ist. Und wie fantastisch wäre das doch, wenn am Ende alle wirklich teilhaben könnten am großen Wohlstand, der mit diesem Projekt einhergeht. Vielleicht braucht es ja die ganz großen Ideen, die auch wegen ihrer Größe besonders naiv wirken mögen, um den Kontinent zu retten?

Herman Sörgel hatte so einen irren Gedanken. Ein Staudamm sollte Europa mit Afrika vereinen. Wenn bei Gibraltar der Zufluss von Wasser aus dem Atlantik ins Mittelmeer gestoppt würde, der Wasserspiegel zwischen Marseille und Tunis so absinken würde, dass riesige neue, fruchtbare Ländereien entstünden, dann bräuchte es doch keine Kriege mehr um Raum und Einflusszonen, dann wäre genug da für alle auf zwei Kontinenten.

Der Architekt Herman Sörgel hat sein Leben lang an so einem Plan gearbeitet. Matthias Lohre hat seine Geschichte ausgegraben und einen Roman darum gebaut, der beinahe so kühn ist, wie Sörgels Projekt es war.

Im Gegensatz zu Sörgel ist Lohre nicht gescheitert. „Der kühnste Plan seit Menschengedenken“, eine Zeile aus einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1931 über Sörgels Projekt, gibt dem Roman seinen Titel. Sein Leben lang war Sörgel auf der Suche nach Unterstützern, suchte Ingenieure, die ausrechnen sollten, ob es wirklich möglich ist, einen Berg zu versetzen, um dessen steinernen Kern vor Gibraltar für eine Staumauer zu versenken.

Matthias Lohre: „Der kühnste Plan seit Menschengedenken“. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021, 480 Seiten, 26 Euro

Er suchte politische Unterstützer und Finanziers, erweiterte seine Pläne um einen Staudamm am Kongofluss, der das ganze Klima Afrikas positiv verändern sollte, spielte mit der Ernsthaftigkeit des deutschen Ingenieurs ein Projekt durch, an das dann doch zu keinem Zeitpunkt wirklich genug Menschen glauben wollten. Faszinierend. Und gut, dass Lohre den Schatz, der da in den Archiven des Deutschen Museums in München, einem Ort der Technik, liegt, gehoben und zu Literatur gemacht hat. Und fast ist es ein kleines Wunder, dass er sich dabei nicht verhoben hat.

Die Gedanken des Ingenieurs

Wie der Autor versucht, in Sörgels Kopf zu kriechen, wie er ihn immer wieder Fragen an sich selbst beantworten lässt, bringt den Lesenden zunächst die Idee nahe. Später ist kaum noch auszuhalten, was sich in des Ingenieurs Gedanken abspielt. Seine Frau ist Jüdin und die rechte Hand, wenn es um die Präsentation seines Projekts vor Politikern, der Presse oder Industriellen geht. Sie bleibt an seiner Seite, als die Nazis längst begonnen haben, die jüdische Bevölkerung „auszusortieren“ und zu vernichten.

Es gibt doch das Gesetz, redet sich Sörgel ein, nach dem einer jüdischen Frau nichts angetan werden darf, wenn sie mit einem Arier verheiratet ist. Dass sie ihren Kunsthandel nicht mehr aufrechterhalten kann, bemerkt er zwar, meint aber, es akzeptieren zu müssen. Und als er versucht, den Nazis sein Atlantropa-Projekt als eine Art Weltherrschaftsmodul schmackhaft zu machen, will er nicht verstehen, dass seine Frau das Vertrauen in ihn verliert. Er tue das doch auch für sie.

Lohre beschreibt, wie Sörgels Idee Herrschaft über ihn gewinnt, wie sie größer wird als jede Idee von Menschlichkeit. Am Ende sucht Sörgel, der als einer der Anständigen im Land begonnen hat, an einer zwar verrückten, aber eben auch anständigen Idee zu arbeiten, die Nähe zu führenden Nazis und begründet sein Projekt mit Zitaten aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Sogar die Möglichkeit einer Ausreise in die USA, der von seiner Frau so ersehnten Flucht, opfert er für seine Idee, die er den Nazis schmackhaft machen möchte.

Ein gewaltiger Wandel

Dabei schildert Lohre, wie Sörgels manische Ingenieursseele immer kälter wird. Wie es passieren kann, dass aus einem vom Pazifismus angetriebenen, nun ja, Spinner, ein Handlanger der Nazis wird, das ist auch nach der Lektüre des Romans nicht zu verstehen. Zu gewaltig ist dieser Wandel, zu brutal die möglichen Folgen für seine Frau. Aber genau das ist die Stärke des Romans, sich anzunähern an das Unbeschreibliche.

Das tut er, indem er einen Familienroman mit Technik, aber eben auch viel Gefühl und großen Brüchen baut, der in der Nachkriegszeit endet, in der Sörgel neue Chancen für sein At­lan­tropa wittert.

Als es am Ende darum geht, dass er den Wunsch seiner Frau nicht nachvollziehen kann, jetzt endlich aus dem Land der Täter, die auch ihr ans Leben wollten, zu verschwinden, öffnet Lohre in seinem Roman die Tür zur Nachkriegsgeschichte, in der nicht Thema sein sollte, was geschehen war. Ganz kalt wird es da noch einmal. Es ist ein großer Bogen, den Lohre da spannt, ein kühnes Projekt, ein gutes Stück Literatur.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.