Roman von Marko Dinić: Im Monstrum nach Serbien
Der Roman „Die guten Tage“ ist eine Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit, serbischen Gastarbeitern und dem furchtbaren Vater.
Ein Bus tuckert über die westliche Balkanroute, durch Ungarn. Das Gefährt ist voller Serben, manche mit Familie. Die bemerkt man aber nur, wenn mal wieder von oben auf ein Kind eingedroschen wird. „Frauen müssen grundsätzlich die Fresse halten“. Es ist 2015, das Jahr der vielen Flüchtlinge in Europa. Dieser Bus fährt entgegen der Flüchtlingsroute. Er ist in Salzburg gestartet und steuert Novi Sad an, Belgrad und schließlich Niš. Es handelt sich um einen sogenannten Gastarbeiter-Express.
Wer je in so einem Ding saß, wird sich sofort an alles erinnern, wenn er den Roman „Die guten Tage“ (Paul Zsolnay Verlag, Wien 2019) des Autors Marko Dinić aufschlägt. Doch auch ohne eigene Erinnerungen sitzt man flugs mit dem Erzähler in diesem „Euroliner-Monstrum“, sieht durch seine Augen die sehr männlichen Männer in ihren Fünfzigern, ihre Wänste, riecht mit Dinić den Schnaps, den sie trinken, und all die anderen schlechten Gerüche. Die Klotür klappert in den Angeln. Brüllend laut schallt Turbo-Folk aus den Lautsprechern.
Natürlich ist die Busfahrt ein Zitat. In dem jugoslawischen Kultfilm von 1980 „Ko to tamo peva“ (dt.: „Wer singt denn da?“) dienten ein klappriger Bus und seine Fahrgäste als Sinnbild für das Leben in Titos Vorzeigestaat. Dagegen stellt dieses Buch nun zu den Filmen Emir Kusturicas mit ihrer Balkanromantik förmlich eine Antithese dar. Mit „Die guten Tage“ legt Dinić sein Debüt vor, völlig frei von migrantischer Heimat-Nostalgie. Der Text wirkt weder einfach so dahinerzählt, noch handelt es sich – trotz aller Wut des Ich-Erzählers – um eine Suada. Und das ist sehr beachtlich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Wobei „Debüt“ irgendwie schief klingt. Dinić ist kein Neuling. Er, 1988 in Wien geboren und in Belgrad aufgewachsen, zog 2008 zum Studium nach Österreich. Dort betreibt er mit einer Handvoll Mitstreitern und Mitstreiterinnen seit ein paar Jahren die in Salzburg ansässige Indie-Literatur-und-Kunstzeitschrift Mosaik samt dazugehöriger Prosa-und Lyrik-Edition. Er hat Gedichte veröffentlicht, Lesungen bestritten und Stipendien wahrgenommen. In gewisser Weise ist der 31-Jährige, der seine Schulzeit im Belgrad der zehn Jahre dauernden Jugoslawienkriege verbracht hat, also bereits ein alter Hase.
Toxische Männlichkeit
Gerade ist er nach Wien umgezogen, wie er im taz-Gespräch sagt. „Ich bin schließlich in einer Großstadt aufgewachsen, das musste nach neun Jahren Salzburg jetzt einfach mal sein.“ Sein Deutsch, in dem er am Telefon Auskunft gibt, hat trotz all dieser Jahre keinen österreichischen Einschlag bekommen.
In den Ich-Erzähler, sagt Dinić, der nach zehn Jahren Abwesenheit widerwillig anlässlich der Beerdigung der Großmutter nach Serbien zurückkehrt, habe er nicht nur eigenes Erleben gesteckt. Denn im Gegensatz zu seiner Romanfigur hält er sich tatsächlich sehr oft in Belgrad auf. Er besucht dort Familie, Freunde, Clubs, die er als „fast schon safe places für Schwule und Lesben aus der ganzen Region“ beschreibt. „Fast“, versteht sich.
Auch der Vater, der im Roman als „kalt, lieblos und brutal“ beschrieben wird, ist nicht der eigene. Dinić’ Vater war Beamter im diplomatischen Dienst Jugoslawiens. Der Sohn verdankt den Eltern so Wien als Geburtsstadt. Beim Schreiben hat er natürlich verfremdet, verdichtet, stilisiert. „Im Buch wollte ich einen Vater darstellen, der stellvertretend für viele Männer ist, mit denen ich in Serbien aufgewachsen bin.“
Mit diesen Männern ist nicht gut Kirschen essen. Sie haben den Krieg mitgemacht, das Massaker im bosnischen Srebrenica vielleicht, sie verehren noch immer ihre Kriegsverbrecher, Ratko Mladić, Radovan Karadžić und Slobodan Milošëvić. Es herrscht Kadavergehorsam, wie der Erzähler es nennt, man hat außerdem den Kommunismus von damals mühelos gegen den orthodoxen Nationalismus von heute eingetauscht. Zu Hause wird „getreten, geschlagen und geflucht“. Nach der Schulzeit sagt die Roman-Oma zum Roman-Enkel: „Hau ab, werde ein normaler Mensch.“ Und gibt finanzielle Starthilfe.
Widersprüche entlarven
Wenn man so will, ist „Die guten Tage“ eine Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit und ihren Fluchtlinien in Nationalismus und Kriegsverherrlichung, die in Serbien auch zwanzig Jahre später ungemindert scheint. Wobei ihm, sagt Dinić, das Land eigentlich nur als Beispiel dient. Indem er am Rand der Busroute auch gelegentlich die Flüchtlingsbewegungen des Jahres 2015 beschreibt, habe er die Perspektive auf die Problematik des neuen Rechtspopulismus in ganz Europa hin öffnen wollen.
Dennoch, im Fokus steht Serbien. Der Ich-Erzähler und seine Kumpel in den Passagen über die Kriegs- und Nachkriegszeit oder rund um das Nato-Bombardement von 1999 sind durchweg „angry young men“. Doch ihre Wut auf die Alten ist womöglich nur eine neue toxische Mischung. Dinić hat hier als Antipoden eine zweite wichtige Stimme in den Roman eingeführt: den Sitznachbarn im Bus. Dieser ist ein heimatreisender Elektriker.
Der hat vielleicht einfach nur einen Schuss, wie der Erzähler mutmaßt. Auf jeden Fall hat er aber auch ein Buchprojekt ins Auge gefasst, wie er dem staunenden jungen Mann in den langen Stunden der Fahrt auseinandersetzt: „Ein schwieriges Unterfangen. Schließlich muss ich die Balkanesen als blutrünstiges Pack entlarven und die Westler als vorurteilsbeladene Affen, die denken, Balkanesen wären ein blutrünstiges Pack! Meine Aufgabe ist es, all diese Widersprüche zu entlarven – vor allem auch meine eigenen!“ Der Sitznachbar gibt die Stimme der Vernunft, wenn auch einer reichlich abgeklärten, wenn nicht gar zynischen.
Vorbild Céline
Hier macht sich ein Autor die Mühe, verschiedene Perspektiven auszuarbeiten und sie mit unterschiedlichen Erzählhaltungen zu verbinden. Bei Dinić hält zwar die Ich-Perspektive den Laden zusammen, aber sie wird vielfach gebrochen. Es gibt Passagen im Präsens und solche im Präteritum, wobei bemerkenswerterweise die Vergangenheit der Schulzeit in Serbien in der Gegenwartsform erzählt wird.
Es gibt das Erinnern, den Stream of Consciousness und eine Realität, die in diesem nicht aufgeht. So sind der reale Vater und sein Bild in den Gedanken des Sohnes natürlich nicht deckungsgleich. Sogar Elemente des magischen Realismus lassen sich finden.Aber diese Vielfalt wirkt nicht bemüht oder überfrachtet. Dinić hantiert mit all dem so leichtfüßig, dass es eine schiere Freude ist.
Schriftsteller Dinić über die serbische Kriegsgeneration
Wer gibt das Vorbild ab für dieses Erzählen? Um die Wut des Ich-Erzählers zu überhöhen, habe er Slang und Duktus von „Reise ans Ende der Nacht“ von Louis-Ferdinand Céline nachgeformt, berichtet Dinić.
Céline ließ seinen Erzähler in drastischen, der gesprochenen Sprache nachempfundenen Wendungen gegen Nationalismus und Patriotismus der Zeit zwischen den Weltkriegen wettern. „Ich fand“, sagt Dinić, „dass mit dieser Sprache, wenn man sie bewusst einsetzt, ein unglaublicher Flow, ein Sog entstehen kann.“ Bei Céline sei es das Argot. Und er, Dinić, habe den Slang der Belgrader Vorstädte ins Deutsche übertragen.
Die Wunde einer ganzen Generation
Von dort stamme auch das viele Fluchen seines Protagonisten. Und es ist tatsächlich, als habe sich Dinić einen Sport daraus gemacht. In den erinnerten Passagen rund um die Abiturszeit in Belgrad bekommt der Vater in der Erzählung bei jeder Erwähnung ein neues Schmähwort verpasst. Mein Vater, der Trottel; mein Vater, der Hund; mein Vater, dieser Abschaum; das Stachelschwein.
Durch den überspitzt dargestellten Vater-Sohn-Konflikt legt Dinić den Finger auf eine Wunde seiner Generation. Diese Generation sei vollständig entmündigt worden von der Kriegsgeneration.
"Die guten Tage" von Marko Dinić. Zsolnay Verlag, Wien 2019
Gebunden, 240 Seiten, 22,00 EUR
Wegen des herrschenden Bildungsnotstands und des Braindrain, so hat Dinić in Belgrad dieses Frühjahr beobachtet, hätte man auch auf den Demonstrationen gegen Präsident Aleksandar Vučić und seine Regierung kaum Leute gefunden, die jünger als 40 Jahre alt waren. „Das muss sich ändern. Wenn ein Szenenwandel passieren soll, dann müssen die jüngeren Leute anfangen, sich für die Politik zu interessieren.“ So bleibt vorerst der Roman, der genau schildert, wie es zu dem gekommen ist, was ist. Und wie sich das heute für jemanden anfühlt, der zu den Jüngeren gehört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich