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Roman von Ex-“Wiener“-Chefredakteur„Es war kindlich und harmlos“

Michael Hopp schreibt in seinem autobiografischen Roman „Mann auf der Couch“ über die Achterbahnfahrt der deutschsprachigen Zeitschriftengeschichte.

Hopp erzählt in seinem Roman vom Leben als Journalist in den Zeitströmen der letzten 50 Jahre Foto: Peter Lund
Interview von René Martens

taz: Herr Hopp, das Magazin Tempo sei eine „Insel der Möglichkeiten“ gewesen, hat vor einigen Jahren ein früherer Redakteur gesagt – weil Autoren dort Freiheiten hatten, die bei keinem anderen überregionalen General-Interest-Titel denkbar gewesen wären. In Ihrem autobiografischen Roman „Mann auf der Couch“ schreiben Sie nun, dass während Ihrer Zeit bei Tempo zwischen 1985 und 1987 dort teilweise erfundene oder zumindest stark übertriebene Geschichten erschienen seien – wie auch vorher beim Wiener, wo Sie Chefredakteur waren. Was für Texte waren das?

Michael Hopp: Die Artikel hatten immer einen wahren Kern, aber ich kann mich zum Beispiel an eine Reportage von mir über das Rotlichtmilieu in Wien erinnern – da war viel Fantasie und Improvisiertes dabei. Bei Tempo waren viele Grenzgänger, der Bekannteste ist vielleicht Helge Timmerberg, heute einer der erfolgreichsten Reiseschriftsteller. Er hat sich aus diesem Reportagestil ins mehr oder weniger Fiktionale weiterentwickelt.

Gab es damals in der Medienöffentlichkeit Debatten über das Überdehnen der Wahrheit?

Da sind wir immer ganz gut durchgekommen. In Österreich gab es zu der Zeit kaum Kontrollinstanzen, in Hamburg bei Tempo war es heikler. Da gab es schon mal Ärger wegen eines erfundenen Leserbriefs.

In welche Kategorie fallen die Übertreibungen und Erfindungen: Kummer oder Relotius?

Weder noch. Es war letztlich kindlich und harmlos, man hat damit niemandem wehgetan. Ich hab immer gesagt, ich war auf der Donald-Duck-Reporterschule.

Bei Tempo hat die Kar­riere zahlreicher heute bekannter Schriftsteller begonnen: Maxim Biller und Christian Kracht etwa. Sie selbst dagegen schreiben über die Artikel aus Ihrer Wiener- und Tempo-Zeit, dass Sie davon „heute keine zehn Zeilen mehr“ ertrügen. Warum?

Damals wurde es als Qualität angesehen, dass ich relativ schnell übers Wochenende eine Trend- oder Sexgeschichte schrei­ben konnte. Über Masturbationsrituale, sogenannte neue Väter, solche Sachen. Natürlich hält das heute keiner Betrachtung mehr stand. Das Postulieren von Dingen, das Ausrufen von Trends, und das über 12.000 Zeichen durchdeklinieren – das führt halt zu einer gewissen Verflachung eines Textes. Und damals war es auch noch gefragt, das Geschriebene mit dem eigenen Erleben zu belegen. Das führt am Ende zu einem ganz eigenartigen Genre.

Im Interview: Michael Hopp

Jahrgang 1955, war unter anderem Chefredakteur des österreichischen Wiener, des ersten Zeitgeist-Magazins überhaupt, und Autor zahlreicher Titelgeschichten der vom Wiener stark beeinflussten Zeitschrift Tempo. Sein autobiografischer Roman „Mann auf der Couch“ erschien im März 2021.

In Ihrem Roman sind zahlreiche Ihrer Artikel nachgedruckt, auch Frühwerke für linke österreichische Blätter wie das Neue Forum. Haben Sie ein großes Privatarchiv?

Ich habe vieles aufgehoben. Ich muss mein Zeitschriftenarchiv immer wieder ausdünnen, weil man damit bei Umzügen zu kämpfen hat. Das ist ähnlich wie mit meiner Plattensammlung. Von den großen Magazinen der 1980er Jahre – i-D und so weiter – habe ich aber relativ wenig weggeworfen. Von den Mitarbeitern meiner Agentur steigt keiner mehr in den Keller, um in den Layouts des amerikanischen Rolling Stone von 1983 zu blättern. Aber ich mache das schon noch. Ich finde da immer noch Inspirationen, und das ist auch ein Umfeld, in dem ich mich wohlfühle.

Mann auf der Couch“ ist auch die Beschreibung einer langen Trinkerkarriere. So schreiben Sie, dass Sie in Ihrer Zeit bei TV Movie, wo Sie in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre Chefredakteur waren, Angst davor hatten, vormittags Dokumente zu unterzeichnen, weil das Zittern der Hände schwer zu übersehen war. Wie ist die Redaktion mit Ihrem Alkoholismus umgegangen?

Das Gefährliche war ja damals, dass du mit dem Habitus lange Zeit überhaupt nicht aufgefallen bist. Man hatte fast das Gefühl, überall stand eine Uhr, und am Freitag wurde dann spätestens um zwei das erste Bier aufgemacht, da hatte niemand was dagegen. Da ist man dann von einem Raum zum anderen gegangen, und wenn du dich als Chefredakteur mit deinem Bier dazu gestellt hast, warst du der entspannte und nette Typ. Das war schon ungut, wenn du ein Problem hast und sozial immer wieder in deinem Verhalten bestärkt wirst.

Gibt es diese, wenn man so will, Trinkkultur im Journalismus noch?

Dass heute noch bei der Arbeit getrunken wird – das glaube ich nicht. Ich selber lebe seit 23 Jahren abstinent und habe irgendwie das Gefühl, das machen alle heute. Ich weiß immer nicht, ob ich wirklich Alkoholiker war. Komischerweise habe ich keine Suchtherapie gebraucht, davon wegzukommen. Nur eine neue Frau.

Sie sind 20 Jahre zur Psychoanalyse gegangen. War das in den Redaktionen bekannt?

Im Kollegenkreis habe ich das nicht raushängen lassen. Ich habe während der Zeit auch kein einziges Mal darüber geschrieben. Nicht nur nicht öffentlich. Es gibt auch keine Tagebucheinträge, keine Notizen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, warum das Buch so eruptiv ist.

Sie schreiben, dass Sie ohne die Psychoanalyse nicht in der Lage gewesen wäre, Ihre Agentur aufzubauen. Die Therapie sei aber wenig hilfreich gewesen, was die Bewältigung konkreter täglicher Arbeitskonflikte angeht. Inwiefern?

Ich neige dazu, dass ich sehr viel Persönliches in den Job hineintrage und bei der Arbeit verführbar bin für persönliche Konflikte. Wenn eine Art Directorin Dinge macht, die mir nicht gefallen, und ich mich nicht durchsetzen kann, dann schlafe ich schlecht und beschäftigt mich das bis in die Träume. Wenn ich in der Analyse solche Arbeitskonflikte angesprochen habe, hat das auf die Analytikerin immer etwas komisch oder fremd gewirkt. In Deutschland ist die Sensibilität für die Neurosen, die in den ­Medienberufen wüten, nicht besonders ausgeprägt, das scheint mir in den USA anders zu sein.

Ein großes Thema das Buchs ist die Angst, im Alter zu verarmen. Manche Leute werden das für Übertreibung halten, weil sie glauben, dass jemand, der bei mehr als einem halben Dutzend Magazinen Chefredakteur war, ausgesorgt hat.

Ich habe sechs Kinder. 2000 musste ich privat Insolvenz anmelden, unter anderem wegen des Kaufs einer Schrottimmobilie. Meine Altersversorgung ist dabei draufgegangen. Ich habe tatsächlich keine Lösung für die nächsten 15, 20 Jahre. Ich arbeite weiter und bekomme jetzt schon eine kleine Rente. Aber wenn ich krank werde und nicht mehr arbeiten kann, werde ich mir auch nicht mehr den Platz leisten können für meine 7.000 Schallplatten und mein Zeitschriftenarchiv. Mit so etwas beschäftigt man sich natürlich. Wer will den Kram schon.

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