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Roman über Moskauer AlltagLuxus ohne Skrupel

Der belarussische Schriftsteller Viktor Martinowitsch erzählt im Roman „Revolution“ von Korruption und Rausch der Macht in Moskau.

Ohne Skrupel: Die Schönen der Nacht von Moskau Foto: Daniel Biskup/laif

Unter einem stahlbetongrauen Himmel viel zu schnell über Moskaus Straßen brettern und sich sicher sein: ein Auto wie dieses wird niemand anhalten. Dazu Wodka, Kaviar und The Prodigy in voller Lautstärke, Musik „für alle bösen Geister, für Killer, für Denunzianten“. Viktor Martinowitschs neuer Roman erzählt von Russlands bösen Geistern, vom Rausch der Macht und der allgegenwärtigen Korruption.

Mit den richtigen Verbindungen kann man jeden unschuldig ins Gefängnis bringen, denn Beweise lassen sich fälschen und Zeugen kann man kaufen. Auch ein falsches Gutachten ist kein Problem, wenn ein denkmalgeschütztes Haus dem lukrativen Office-Tower-Neubau im Weg steht. Wer nicht selbst von diesem System profitiert, schaut weg. Und die wenigen, die sich wehren und protestieren, verändern nichts und schaden am Ende nur sich selbst.

„Revolution“ heißt der dritte Roman von Martinowitsch, der nun auf Deutsch erscheint. In seiner Heimat Belarus hat dieser Buchtitel gerade eine besonders symbolische Bedeutung, die nicht allen gefällt. Vergangene Woche wurde Martinowitschs Verleger in Minsk verhaftet, wie der Autor in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung berichtete.

Abstruse Geschichte

600 Exemplare des Romans wurden beschlagnahmt. Martinowitsch unterstützt die Protestbewegung gegen das Lukaschenko-Regime, aber um die geht es in „Revolution“ nur indirekt. Sein Roman behandelt Macht und Gehorsam in einer postsowjetischen Gesellschaft – und das lässt Le­se­r:in­nen auch die Geschehnisse in Belarus besser verstehen.

Martinowitsch hat dieses Thema in eine Geschichte gepackt, die im Ganzen betrachtet ziemlich abstrus erscheint, in deren Details aber treffende Beobachtungen und Analysen stecken. Michail, Hauptfigur und Erzähler des Romans, ist ein mäßig erfolgreicher Akademiker. Gelangweilt hält er an einer Moskauer Universität Vorlesungen über Architektursemiotik, Karrieresprünge erwartet er keine. Viel Geld hat er nicht gerade, und sein Auto hat auch schon bessere Tage gesehen, aber zusammen mit seiner Freundin Olja führt er ein recht zufriedenes Leben.

Revolution

Viktor Martinowitsch: „Revolution“. Aus dem Russischen von Thomas Weiler. Voland & Quist, Berlin und Dresden 2021, 400 Seiten, 24 Euro

Das beschauliche Vor-sich-hin-Wursteln findet ein Ende, als Michail für ein Verbrechen beschuldigt wird, das er nicht begangen hat. Ihm drohen Gefängnis oder eine hohe Geldstrafe. Plötzlich tauchen Unbekannte auf, die versprechen, ihn aus dieser ausweglosen Situation zu befreien. Im Gegenzug soll er Teil ihres „Freundeskreises“ werden. So gerät der junge Mann in die Abhängigkeit einer obskuren Geheimorganisation mit großem Einfluss auf das politische und wirtschaftliche Geschehen im Land. Das zynische Motto für die Mitglieder lautet: „Nicht denken. Nicht wundern. Schnabel halten.“

Erste Gewissensbisse

Michail fügt sich den Anweisungen der Organisation anfangs aus Angst, später bleibt er aus Neugierde und Bequemlichkeit freiwillig dabei. Zu gut fühlt sich die Beförderung an, das neue Auto, die Luxuswohnung. Leidet er erst noch unter Gewissensbissen, wenn seine Aufträge die Verurteilung oder sogar den Tod Unschuldiger zur Folge haben, findet er bald mehr und mehr Gefallen an einem weiteren Motto der Organisation: „Was richtig ist, entscheidest du allein.“

Michail stellt sich erst gegen seine Auftraggeber, als sie von ihm verlangen, seine Freundin zu verlassen. Denn eine „naive Kellnerin“ sei einem Mann wie ihm – mittlerweile Prorektor der Universität und Besitzer einer Limousine mit Chauffeur – nicht angemessen. Er beginnt, eine Revolution zu planen. Dabei ist ihm die Skrupellosigkeit von Nutzen, die er sich während seiner Dienste für die Organisation antrainiert hat. Mit dem üblichen Tempo eines Politthrillers kann „Revolution“ nicht mithalten, aber dadurch würde der Roman auch gerade das verlieren, was ihn so lesenswert macht: die herrlich treffenden Schilderungen.

Martinowitsch nimmt sich Zeit für Detailbeschreibungen, zugespitzte Kommentare und kleine Exkurse, die Figuren sind gekonnt überzeichnet und die Szenen stecken voller Situationskomik. Dass die Frauenfiguren entweder naive Unschuld verkörpern oder als sexuelle Objekte dienen, nervt, aber es passt zu der Männerwelt, die der Roman beschreibt. Und an der lässt Martinowitsch kein gutes Haar.

„Revolution“ ist auch ein Moskau-Roman, in dem „die beste und schrecklichste Stadt der Welt“ sofort lebendig wird. Man bekommt ein Gefühl für die seltsame Mischung aus sowjetischer Verstaubtheit und dekadentem Luxus, Provinzialität und brutalem Hyperkapitalismus. Was der Roman überspitzt anhand einer Geheimgesellschaft erzählt, verweist auf reale Probleme einer Gesellschaft, in der unabhängige Institutionen fehlen, wo Geld und Macht eng verflochten sind und es üblich ist, sich Autoritäten unterzuordnen. Man bekommt beim Lesen eine Ahnung davon, warum es nicht so leicht ist, in Russland oder Belarus politische Veränderungen und Demokratisierung zu bewirken.

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