Rolling-Stones-Affäre weitet sich aus: Die Tricks der Kartenzauberer
Hamburgs Staatsanwaltschaft vermutet: Freikartendeal bei Genehmigung für Rolling-Stones-Konzert ist kein Einzelfall. Neue Durchsuchung soll Beweise bringen. Scorpio-Boss Folkert Koopmans soll Bezirksamts-Chef Harald Rösler bestochen haben
Hamburg taz | Der Skandal dürfte weit größer sein als bislang bekannt. Am Mittwoch ließ die Hamburger Staatsanwaltschaft im Rahmen der Rolling-Stones-Kartenaffäre das Bezirksamt Hamburg-Nord erneut durchsuchen und Datenträger beschlagnahmen. Der Verdacht: Die Praxis des Amtes, sich die Genehmigung eines Stones-Konzerts im September 2017 mit einem Großkontingent an Frei- und Vorzugskarten vergolden zu lassen, ist alles andere als ein Einzelfall. Die Ermittler haben Hinweise darauf, dass bereits seit 2013 bei einer Reihe von Konzertgenehmigungen, vor allem in der Alsterdorfer Sporthalle, Bestechung und Bestechlichkeit im Spiel waren.
Im Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft stehen zwei Herren, die sich seit Jahren gut kennen. Harald Rösler (69), SPD-Mitglied und von 2012 bis zum Juni 2018 Leiter des Bezirksamts Nord und Folkert Koopmanns, Chef des Konzertveranstalters FKP Scorpio.
Dass gegen Rösler wegen Bestechlichkeit und Vorteilsgewährung ermittelt wird, weil er 100 Stones-Frei- und 300 Vorzugs-Karten im Rahmen des Genehmigungsprozesses vom Konzertveranstalter angenommen und an „Freunde des Hauses“ weiterverteilt haben soll, ist seit Monaten bekannt.
Im Rahmen dieser „Vorteilsgewährung“ ermittelte die Staatsanwaltschaft bislang gegen 52 Beteiligte, stellte zehn Verfahren – meist gegen Geldauflagen ein – und erhob sieben Anklagen. Mehrere PolitikerInnen und Verwaltungsspitzen, so die Ex-Finanz-Staatssekretärin Elke Badde oder die designierte Rösler-Nachfolgerin Yvonne Nische, kostete die Affäre bereits ihre Posten.
Koopmans im Fokus
Doch wo es einen Bestochenen gibt, gibt es auch einen, der besticht. Das Stones-Konzert und auch der vermutlich illegale Karten-Deal, so sind die Ermittler nach Sichtung der beschlagnahmten Unterlegen sicher, war sowohl im Bezirksamt wie auch bei Scorpio absolute Chefsache. Im Fokus der Staatsanwaltschaft steht deshalb Firmengründer und Scorpio-Boss Folkert Koopmans, 54, persönlich. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft Bestechung vor. Scorpio stellt nach eigenen Angaben in Hamburg jährlich rund 400 und bundesweit 1.000 Konzerte und andere Events auf die Beine, darunter Großveranstaltungen wie das Hurricane-Festival.
Durch die Beschlagnahmung mehrerer Datenträger in der Scorpio-Firmenzentrale und dem Bezirksamt im November 2017 können die Ermittler genau nachvollziehen, wer wem Karten anbot und wer von wem Karten forderte. „Wir haben gute Gründe, sowohl gegen Herrn Koopmans wie gegen Herrn Rösler zu ermitteln“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Fromberg. Intern spricht man in der Anklagebehörde von einem zähen Ringen um die Größe der Frei- und Vorzugskarten-Kontingente.
Claus-Joachim Dickow, FDP
Dass die Staatsanwaltschaft an Bestechung glaubt, hat handfeste Gründe. Sie meint, gerichtsfeste Indizien dafür zu haben, dass die großzügigen Kartenkontingente für das Amt die Genehmigung des Stones-Konzerts im Hamburger Stadtpark – für das zahlreiche Ausnahmegenehmigungen vonnöten waren – zumindest beförderten. Und sie hat Hinweise darauf, dass die Nutzungsgebühren für den Stadtpark, die Scorpio in Rechnung gestellt wurden, deutlich niedriger ausfielen als möglich. Der Konzert-Deal zwischen Koopmans und Rösler, er lief wie geschmiert.
Aus den beschlagnahmten Unterlagen soll hervorgehen, dass Rösler und Koopmans die Eckpfeiler des Konzertdeals persönlich eintüteten. Jeweils ein leitender Mitarbeiter jeder Seite kümmerte sich dann um die Details – gegen beide wird ebenfalls wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung ermittelt. Ermittlungen wegen Vorteilsgewährung gibt es zudem gegen eine persönliche Assistentin Koopmans, die die Frei- und Vorzugskartenvergabe später abwickelte.
Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft Indizien dafür, dass die Nutzungsgebühren, die der Staatskasse zugute kommen, und der Gegenwert der Freikarten, von dem nur die Kartennutzer*innen profitiert haben, miteinander quasi verrechnet wurden. Im Mai 2017 hatten die beiden Vertragsparteien eine von Scorpio zu zahlende Nutzungsgebühr plus Vorbereitungspauschale von insgesamt 200.000 Euro vereinbart, zuzüglich von 300 Freikarten. Im September ging es dann nur um 100 Freikarten, dafür aber stieg die einst vereinbarte Gesamtgebühr ohne weitere Begründung plötzlich um 5.000 Euro an.
Bewusst verschleiert
Und es gibt auch Indizien, dass die Freikartengewährung bewusst verschleiert wurde. So wurde in der internen „Absichtserklärung“ zwischen Bezirksamt und Scorpio vom Mai 2017, von der nur wenige Personen Kenntnis hatten, die Freikartenregelung detailliert ausgeführt. In den endgültigen Vertrag zwischen beiden Parteien wurden alle Themen der Absichtserklärung übernommen, bis auf eines: Die Gewährung der Frei- und Vorzugskarten taucht in dem Papier nicht mehr auf.
Der beschlagnahmte E-Mail-Verkehr brachte die Ermittler auf die Spur, dass die Vergabe großzügiger Karten-Kontingente bei Konzerten, die Rösler genehmigte, wohl eine „gewisse Systematik“ hatten. In rund 50 Fällen sollen bis zu 30 Freikarten im Tausch für die Konzertgenehmigung über den Tisch gegangen sein, etwa beim Konzert des Musikers Clueso im Oktober 2017. Veranstalter auch hier: FKP Scorpio.
Die Oppostion in der Bezirksverammlung, allen voran die FDP, fordert nun lückenlose Akteneinsicht. FDP-Spitzenkandidat Claus-Joachim Dickow sagte gestern während einer Pressekonferenz: „Die Stones-Affäre hat sich längst zu einer Vergabeaffäre zwischen dem Bezirksamt und FKP Scorpio ausgeweitet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“