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Rollerderby in HamburgSchubsen auf Rädern

Tutus, Kriegsbemalung und laute Musik: Doch die Hamburger Harbour Girls zeigen, dass aus der Show ein Leistungssport geworden ist.

Keine Püppies: Beim Rollerderby treffen gestandene Frauen aufeinander. Foto: dpa

HAMBURG taz | „Original Pirate“ knallt auf den Holzfußboden einer Sporthalle im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Schützend hält sie sich die Hände über den Kopf. Sekunden später steht die zierliche 35-Jährige wieder auf den Rollschuhen und jagt ihren Mitspielerinnen hinterher. Rempeln und gerempelt werden gehört zu dieser Sportart dazu.

Bässe wummern. Die DJane hat die Musik lauter gedreht. Zehn Rollschuhfahrerinnen rasen dicht an den Zuschauern vorüber. Ulli Rudolph hat sich gerade ein Bier geholt - vom Stand direkt neben dem Spielfeld. Nun rutscht sie aufgeregt auf ihrem Sitz hin und her, denn heute spielt ihr Lieblingsclub, die Hamburger Harbour Girls, wenn auch nur das B-Team. Sie ist fasziniert von der Durchsetzungskraft der Spielerinnen: „Das sind einfach nicht so Püppies. Es sind hauptsächlich gestandene Frauen, die sich auch mal prügeln können und stolz auf blaue Flecke sind und rülpsen, wenn sie Bier trinken“, sagt sie lachend und streicht sich die rosa gefärbten Haare aus dem Gesicht. Sie ist extra aus Rostock angereist, um sich das Saisonabschlussspiel ihrer Mannschaft anzuschauen.

Eine der starken Frauen auf dem Spielfeld ist „Original Pirate“. Sie spielt seit sieben Jahren bei den Harbour Girls. Eigentlich heißt sie Daniela Chmelik und ist Schriftstellerin. Andere Rollschuhfahrerinnen anzurempeln, sei zu Beginn nicht einfach gewesen, erinnert sie sich. Es zu lernen, habe ihr auch im Alltag geholfen: „Man lernt, durchsetzungsfähiger zu sein und man kommt weg von diesem Mäuschen-Sein.“ Mit einem gekonnten Hüftschwung stößt sie eine Spielerin der gegnerischen Mannschaft Zombie Rollergirlz Münster von den Rollen. Ihre raue Spielweise hat Chmelik mittlerweile den Spitznamen „Rüpel“ eingebracht.

Mit Stempeln wird das Revier markiert

Gegen die angriffslustigen Harbour Girls haben die Gäste aus Münster keine Chance. Wer heute das Sagen hat, haben die Spielerinnen bereits am Eingang deutlich gemacht: Jeder Besucher - ob Hamburg-Fan oder nicht - hat als Eintrittskarte das Hamburger Wappen auf den Handrücken gestempelt bekommen. Eindeutiger hätte die Markierung des Reviers nicht sein können.

Im Minutentakt unterbrechen die Schiedsrichter das Spiel. Auch wenn es nicht so wirkt, der Ablauf des scheinbaren Chaos ist in einem 70-seitigen Regelwerk genau festgelegt: Pro Mannschaft befinden sich fünf Spielerinnen auf dem Feld. Vier von ihnen sind Blockerinnen, eine ist Jammerin, vom englischen „to jam“ - „stören“. Aufgabe der Jammerin ist es, so viele gegnerische Spielerinnen wie möglich zu überholen und dadurch Punkte zu erzielen. Die Blockerinnen unterstützen die eigene Jammerin und hindern gleichzeitig die Gegnerinnen am Vorankommen. Ein Spiel dauert zweimal 30 Minuten.

Wenn man die Regeln nicht kennt, macht das nichts. Es gibt ja noch Saba Johnson, Minikleid, hohe Absätze. Die 26-Jährige kommentiert den Spielverlauf für das Publikum. „Seid ihr bereit?“, ruft sie zu Beginn der zweiten Halbzeit ins Mikrofon und reißt ihren Zylinder in die Luft. Die Leute jubeln. Für Johnson ist Roller Derby „eine Party voller wilder Menschen, die frei sein und Spaß haben wollen aber einander dennoch respektieren“.

Die kräftigen Männer im Fanblock der Harbour Girls erinnern mit ihren schwarzen Kapuzenpullovern an den „Schwarzen Block“ auf Hamburger Mai-Demonstrationen. Doch statt Steine zu schleudern, werfen sie zu lauten Fangesängen rote Glitzerherzen in die Luft. Er habe noch kein Spiel der Harbour Girls verpasst, sagt Henning Kurz stolz. Er reist sogar zu Auswärtsspielen nach Berlin oder Köln. Dass sie heute direkt neben den gegnerischen Fans sitzen, macht ihm nichts aus: „Das Zusammensein ist friedlich. Es ist einfach eine Randsportart und da muss man zusammenhalten und gemeinsam den Sport weiter nach vorne bringen“, sagt der 32- jährige Student.

Die Frauen wollen weg vom Image des Showsports

Auch die Harbour Girls betonen, dass jede bei ihnen willkommen ist. „Es ist egal, was für eine Figur oder was für einen Charakter man hat, jeder kann seinen Platz in diesem Team finden“, sagt Daniela Chmelik. Wie die meisten Spielerinnen ihres Teams trägt sie enge Hotpants. Viele haben ihre Nägel bunt lackiert und die Gesichter bemalt; tragen Tattoos, Piercings und in knalligen Farben leuchtende Haare. Denn Roller Derby ist nicht nur Sport, sondern auch Show.

Der Sport sei deshalb lange nicht ernst genommen worden, sagt Harbour-Girls-Gründerin Lili Wolf. Häufig habe es nur geheißen: „Ah, die lustigen Mädels mit den bunten Klamotten.“ Deshalb hätten sie die Showelemente bewusst reduziert. Ihr Team trage nun einheitliche Trikots und verzichte weitestgehend auf Netzstrumpfhosen und Tutus. Die Harbour Girls trainieren bis zu viermal in der Woche. Seit diesem Frühjahr gibt es beim Roller Derby einen Ligabetrieb, in dem das A-Team der Hamburgerinnen erstklassig spielt. Angst vor einer Kommerzialisierung ihres Sports hat Wolf aber nicht: „Es ist ja schon noch so, dass Roller Derby ein Stück weit Underground ist. Ich weiß auch nicht, ob es jemals anders sein wird.“

Die Saison der Rollschuhfahrerinnen endet mit einem Sieg. Hamburg hat Münster mit 172 zu 94 Punkten geschlagen. Daniela Chmelik ist erschöpft und zufrieden: „Ich fühle mich ganz ruhig, denn unser Sieg war zu offensichtlich“, sagt sie lächelnd. Gelassen geht es jetzt in die Sommerpause. Im September kommen sie alle wieder zusammen: die bunten Girls auf Rollen und der schwarze Fanblock mit roten Glitzerherzen.

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1 Kommentar

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  • Hey Taz, cool das ihr über Roller Derby berichtet. Sehr erfreulich. Falls jemand beim Lesen auch Lust bekommen hat sich mal live action anzugucken, kleiner Tip: am kommenden Samstag spielen die Berlin Bombshells in der Arena, Berlin gegen Tiger Bay aus Cardiff.