Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar: Rohingya-Sprecher ermordet
Mohib Ullah war der einflussreichste Vertreter der Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch und wurde von mutmaßlichen militanten Islamisten bedroht.
Als Ullah in die von Ärzte ohne Grenze betriebene Klinik des weltgrößten Flüchtlingslagers gebracht wurde, war er schon verstorben. Mit ihm verlieren die mehr als eine Millionen in Bangladesch lebenden Rohingya-Flüchtlinge ihren wichtigsten Sprecher. Zu dem Attentat bekannte sich bisher niemand.
Der 48-jährige Mohib Ullah war ursprünglich Lehrer gewesen. Er gehörte zu jenen rund 750.000 Angehörigen der diskriminierten und für staatenlos erklärten muslimischen ethnischen Minderheit der Rohingya, die im August und September 2017 von Myanmars Militär und militanten Buddhisten gewaltsam aus dem westlichen Rakhine-Staat über die Grenze nach Bangladesch vertrieben wurden.
Im Lager Kutupalong gründete Ullah die Organisation Arakan Rohingya Society for Peace and Human Rights. Er und seine Mitstreiter gingen von Zelt zu Zelt und Hütte zu Hütte und dokumentierten die Aussagen der Flüchtlinge und die Verbrechen an ihnen, die von der UNO als Völkermord benannt wurden.
Auftritte beim UN-Menschrechtsrat und im Weißen Haus
2019 sprach Ullah vor dem UN-Menschenrechsrat in Genf und forderte die Welt auf, nicht nur über die Rohingya zu sprechen, sondern auch mit ihnen. Im gleichen Jahr wurde er auch vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump im Rahmen einer Kampagne zur Religionsfreiheit im Weißen Haus empfangen.
Ullahs führende Rolle innerhalb des Volks der Rohingya zeigte sich auch im August 2019, als er in Kutupalong zum zweiten Jahrestag der Vertreibung aus Myanmar eine Großkundgebung organisierte. An ihr nahmen rund 200.000 Rohingya teil. Das beunruhigte auch Bangladeschs Behörden, die ihn daraufhin mehrfach festnahmen und ihm weitere Kundgebungen verboten.
Seine Ermordung schockt die Rohingya und gilt auch als Zeichen für die wachsenden Sicherheitsprobleme in den Flüchtlingslagern. Andere Rohingya-Sprecher sollen jetzt aus Furcht vor weiteren Attentaten untergetaucht sein.
Ullahs Tod „untergräbt nicht nur den Kampf der Rohingya-Flüchtlinge für mehr Rechte und Schutz in den Flüchtlingslagern, sondern auch ihre Bemühungen um eine sichere Rückkehr in ihrer Heimat in Myanmar“, erklärte Meenakshi Ganguly von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Ullah bekam seit 2019 Morddrohungen. Er sei sich immer seiner eigenen Bedrohung bewusst gewesen, sagte der Rohingya-Aktivist Aung Kyaw Moe über ihn, „aber er dachte, er müsse trotz der Drohungen seine Arbeit fortsetzen, weil sie sonst niemand mache.“ Der Agentur Reuters sagte Ullah 2019: „Wenn ich sterbe, ist das okay. Ich werde mein Leben opfern.“
Für Islamisten war sein liberaler Ansatz eine Bedrohung
Sein Bruder Habib Ullah warf den Aufständischen der Arakan Rohingya Salvation Army (Arsa) vor, Mohib Ullah zunächst bedroht und jetzt ermordet zu haben. „Sie haben oft von verschiedenen Telefonnummern aus gedroht, ihn zu töten, sagte Habib Ullah laut AFP. „Sie haben nicht nur meinen Bruder getötet, sondern einen großen Führer der Rohingya.“
Die kleine islamistische Guerillatruppe Arsa hatte mit Überfällen auf Grenz- und Polizeistationen 2017 die Massenvertreibung der Rohingya aus Myanmar ausgelöst. Arsa diente dem Militär als willkommener Vorwand. Seitdem bedroht Arsa aber auch liberale Rohingya, die sich wie Ullah friedlich gegen Vertreibung und Diskriminierung wehren und zudem noch populär sind.
Nach Angaben von Amnesty International gibt es im Lager Kutupalong seit einiger Zeit einen Machtkampf zwischen Drogenbanden und Arsa. 2000 Flüchtlinge seien inzwischen vor der Gewalt im Lager geflohen.
Denkbar ist aber auch, dass Schergen des Militärregimes in Myanmar Ullah töteten oder womöglich sogar Kräfte in Bangladesch ein Interesse an seinem Tod hatten. Eine Spur gibt es laut Polizei noch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen