Rockerszene in Bewegung: Die Angstmacher
Rocker gelten als Garanten der Stabilität im Rotlichtviertel und stehen gleichzeitig für eine Kultur der Einschüchterung
Rockerkriege und Rockerkönige finden sich gemeinhin in den Blaulicht-Reportagen und auf den Titelseiten der Boulevard-Blätter. Die verruchte Welt des Rotlichts ist aufregend, lokale Bandengrößen prominent, einflussreich oder schrill – zum Crime gesellt sich Rock'n'Roll und manchmal sogar Sex. Eine Coolness wie aus „Easy-Rider“ – bei regulären Motorradclubs mag es darum gehen.
Anziehend ist aber vor allem das Leben der selbst ernannten Gesetzlosen unter den Rockerclubs, der „Outlaws“ und „One-Percenter“, wie sie sich selbst bezeichnen. Ihre vermeintliche Opposition zu Staat, Polizei und Autorität scheint manchmal bis in links-alternative Kreise hinein zu beeindrucken.
Nun gibt es viele Gründe, sich den falschen Zwängen der spätkapitalistischen Gesellschaft entziehen zu wollen. Das Leben aber, das kriminelle Rockergangs bieten, kehrt gesellschaftliche Befreiung in ihr Gegenteil: Es bedeutet Unfreiheit, Zwang, Gewalt und Abhängigkeit – für diejenigen, die sich mit Gangs wie etwa den Hells Angels anlegen, aber ebenso für die Mitglieder dieser Gangs.
Kriminelle Rockergangs stehen für eine Kultur, in der starke oder besonders brutale Männer das Sagen haben. Gehorsam, Ehre, Hierarchie und archaische Männlichkeit aber sind besonders für Hooligans und Neonazis attraktiv. So hat sich eine Mischszene entwickelt, in der Neonazis Zugriff haben auf die Logistik der organisierten Kriminalität. Rockerbanden-Mitglieder, ob von den Hells Angels oder Gremium MC, Deutschlands größtem Outlaw-Club, fangen an, sich im Zuge des gesellschaftlichen Rechtsrucks reaktionär zu positionieren und – ausgerechnet! – für mehr Ordnung oder die Sicherheit deutscher Frauen zu demonstrieren.
Wenige Taten wie zuletzt in Hamburg reichen, um das Image zu formen: Rocker wie die Hells Angels sind zu Mordanschlägen auf Konkurrenten bereit – im Zweifel auch auf offener Straße, mitten auf der Reeperbahn. Ableger der Rockergruppe gibt es auf der ganzen Welt – wobei auch Charter, deren Mitglieder „sauber“ bleiben, zu Dominanz und Reviermarkierung beitragen.
Hört man MitarbeiterInnen von Beratungsstellen gegen Zwangsprostitution zu, dann ist das oft das Problem: Frauen, die sich zu Beginn noch freiwillig prostituierten, dann aber aussteigen wollen, spüren die Drohung: „Wo willst du dich vor uns verstecken?“ Männerbanden wie die Rockergangs sind der Grund, warum alle Bemühungen einer Liberalisierung der Prostitution zugunsten von selbstbestimmter Sexarbeit überwiegend ins Leere laufen.
Um kriminelle Rockergruppen besser verfolgen zu können, will die Bundesregierung das Vereinsgesetz ändern. Oft kommt man den Gangs nur mit lokalen Verboten bei, seit einem Urteil des Bundesgerichtshof Mitte 2015 aber gilt: Nur Abzeichen des verbotenen Ablegers sind jeweils tabu. Wenn Rocker sich Kutten mit einem anderen Ortsnamen anziehen, hat die Polizei keine Handhabe. Die Bundesregierung will das ändern.
Seit einigen Jahren ist die Rockerszene in Bewegung geraten. Nicht nur, dass die lange weiß geprägten Hells Angels um Migranten werben, weil sie sich Sorgen um den Nachwuchs machen. Es tauchen Gruppen wie die Mongols oder der Osmanen Germania Boxclub auf, deren Mitglieder sogar überwiegend einen Migrationshintergrund haben. Die Akzeptanz der Polizei gegenüber diesen migrantischen Gruppen ist jedoch deutlich weniger ausgeprägt als die Aktzeptanz gegenüber den Hells Angels.
Bis es zu den öffentlichen Gewaltausbrüchen kam, hatte sich die Hamburger Polizei mit deren Präsenz auf dem Kiez zumindest arrangiert. In Hannover war Hells Angels-Boss Frank Hanebuth ein gern gesehene Prominenter, und im niedersächsischen Walsrode, wo die Machtübernahme der Hells Angels bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, gelten die Rocker-Kritiker bis heute als Nestbeschmutzer.
Auch in Bremen ließen sich Lokalpolitiker durch den Auftritt einer Rocker-Größe im Stadtteil-Parlament beeindrucken. Mitglieder der Hells Angels waren bei der Renovierung einer Lokalität in einem Parzellengebiet nach langer Zeit wieder öffentlich in Erscheinung getreten . Die Nachbarn, so hieß es, seien teilweise ganz froh über die Präsenz der Rocker, sie erhoffen sich einen Rückgang der Einbruchskriminalität.
Was für ein fataler Fehlschluss!
Den ganzen taz.nord-Schwerpunkt zur Rocker-Szene lesen Sie in der taz.am Wochenende oder hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben