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Robert Habeck über Fehler der Grünen„Es ist okay, in Deutschland zu leben“

Robert Habeck wirft seiner Partei Rechthaberei vor. Die Grünen müssten die Leute abholen und ein freudvolles Verhältnis zum Staat entwickeln.

Grünes Wahlergebnis: Was lief denn da schief? Bild: dpa
Ulrich Schulte
Interview von Ulrich Schulte

taz: Herr Habeck, die Grünen sind nach ihrem Wahldebakel tief verunsichert. Wie haucht man einer am Boden zerstörten Partei Selbstbewusstsein ein?

Robert Habeck: Neues Selbstbewusstsein kann man nicht einfach verordnen. Bei einer Partei wie den Grünen entsteht es nur durch einen offenen Diskurs. Der Länderrat, auf dem die wichtigsten Punkte angesprochen wurden, war der Anfang eines kathartischen Reinigungsprozesses, der notwendig ist. Wir befinden uns sicher noch im Tunnel, aber wir sehen bereits Licht.

Sie fordern, die Grünen müssten anders auf die Gesellschaft zugehen. Wie genau?

Die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie sich in einer Nische einnisten oder breit wirken wollen. Die Nischenantwort lautet: Wir bleiben klein, fein und rein, kämpfen für unsere Wahrheiten und warten dann eben so lange, bis die Gesellschaft unser Steuerkonzept endlich verstanden hat. Das ist die „8 bis 10 Prozent“-Strategie.

Verraten Sie uns die Habeck-Strategie. Wir muten der Gesellschaft keine schmerzhaften Fragen zu und holen 25 Prozent?

Das wäre Merkel-grün und auch falsch. Aber wir haben eben keine Fragen zugemutet und andere in die Situation gebracht, darauf Antworten geben zu müssen. Wir haben ausgestrahlt: Wir wissen alles. Und jeder, der was anderes weiß, liegt nicht nur falsch, sondern ist auch noch böse.

Bild: dpa
Im Interview: Robert Habeck

44, ist Energiewendeminister und stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Er führte die Grünen als Spitzenkandidat im Landtagswahlkampf 2012, die Partei schaffte damals 13,2 Prozent – ihr bestes Ergebnis in dem Bundesland. Vor seiner politischen Karriere arbeitete er als Schriftsteller.

Was schlagen Sie also vor?

Wir müssen den Gestus ändern, mit dem wir der Gesellschaft begegnen. Dieses „Wir gegen die“ ist nicht mehr zeitgemäß. Und zahlenlastige Rechthaberei auch nicht. Stattdessen sollten die Grünen die Menschen da abholen, wo sie stehen, wo ihre Bedürfnisse sind. Nicht die Grüne Partei bestimmt, was die gesellschaftliche Mitte ist. Die Menschen tun es.

Auf die Mitte zugehen, das war der Job von Katrin Göring-Eckardt im Wahlkampf. Zielt Ihre Kritik auch auf sie, die ja Fraktionschefin werden will?

Spitzenkandidaten stehen immer in der symbolischen Verantwortung. Wer gewinnt, ist der Held. Wer verliert, kriegt auf die Mütze. Das ist bitter und ungerecht, aber so funktioniert das politische Geschäft. Deswegen sollten die Realos sich eingestehen, dass gerade sie nicht die Kraft hatten, genug Ausstrahlung in bürgerliche Milieus zu entwickeln. Dass Jürgen Trittin wie Jürgen Trittin ist, wussten doch alle vorher. Das ausgleichende Element fehlte.

Große Frage: Wie müssen die Grünen im Jahr 2017 aussehen?

Die Grünen müssen ihr emotionales Verhältnis zur Gesellschaft klären. „Wir leben in einem Scheißsystem, und das müssen wir attackieren und ändern.“ Dieser Satz aus den 80ern stimmt einfach nicht mehr. Es ist okay, in Deutschland zu leben, ja, es ist sogar schön. Und Merkel ist nicht Helmut Kohl geschweige denn Franz Josef Strauß. Wir repräsentieren längst selbst den Staat. Die Frage ist doch nur, welchen Staat, ob das Ganze auch freudvoll und cool sein kann.

Wirtschaftsverbände kämpften brutal gegen Steuerpläne der Grünen. Ist da Versöhnlichkeit nicht etwas naiv?

Klar tun sie das. Sie glauben, das ist ihre Daseinsberechtigung. Und die muss man verändern. Ich musste neulich vor 1.500 Bauern auftreten, die mich alle auspfiffen. Solchen Menschen muss ich dann aber Brücken bauen, über die sie zu mir kommen können. Frei nach Max Frisch: Man soll dem anderen die Wahrheit nicht wie einen nassen Waschlappen um die Ohren schlagen, sondern sie hinhalten wie einen Mantel, in den man hineinschlüpfen kann.

Aber es geht doch um die Machtfrage. Eine Partei, die etwas will, muss sich in Konflikten positionieren.

Genau. Und die Machtfrage haben wir nicht für uns entschieden. Wir haben sie verloren. Und jetzt können wir jammern, dass die anderen böse sind, Großkapitalisten und Lobbyisten. Oder wir analysieren, wieso unsere Antworten nicht ausreichend angekommen sind.

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16 Kommentare

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  • L
    lowandorder

    na - wieder den mailmottenspray verlegt? 2.0

     

    Wer Steuern nicht wieder auf vor-Kohl-Niveau anheben will, will den Rentenbetrug und die Hartz-VI-Verbrechen nicht angehen; will das abgehängte Drittel weiterhin nicht teilhaben lassen!

    = NICHT WÄHLBAR.Punkt.

     

    Statt Frisch mal Hobbes lesen;

    oder wie es der als ehemaliger Bankensyndicus ganz unverdächtige Gustav Heinemann mal auf den Punkt gebracht hat:

    "…aus Liebe zu Deutschland? - ich liebe meine Frau."

     

    Alles andere ist esoverpacktes National-Ordo-Gehampel;

    wie jemand so was nach NSA-NSU-et al. abdrücken kann, ist mir schlicht ein Rätsel.

  • "...freudvolles Verhältnis zum Staat"

    so sieht er also aus, der moderne Untertan.

    • B
      Blautopf
      @Tadeusz Kantor:

      In den Augen der meisten taz-Leser - wie man auch an den anderen Kommentaren sieht - ist die Formulierung "... freudvolles Verhältnis zum Staat" sicherlich eine Steilvorlage in Richtung Ihrer Interpretation, die vielleicht innerhalb Ihres Horizonts auch die einzig denkbare ist.

       

      Aber sicherlich will Habeck nicht so verstanden werden, und ich jedenfalls verstehe "freudvoll" in diesem Zusammenhang so:

      Diesen Staat betrachten als eine prinzipiell brauchbar bis gut eingerichtete Struktur zur Ausübung der Macht, die von den Wählern verliehen wird; als Instrument, das man gestalten und entsprechend zur Gestaltung einer angestrebten Wirklichkeit nutzen kann.

       

      Ob das so zutrifft, kann man sicherlich unterschiedlich beurteilen. Wenn ich mich umsehe, scheint es mir in anderen Ländern jedenfalls viel mehr schlechtere als bessere Staatsgebilde zu geben.

  • Ja, Herr Habek, da hat man nun den unbequemen Platz auf den Schienen von Gorleben oder vor irgendeinem Kasernentor mit einem finanziell gut gepolsterten bürgerlichen Sofa getauscht. Von diesem Sofa aus ist es o.k., in Deutschland zu leben und "öko" tut nicht weh - wer schlau ist, hat längst gelernt, dass man auch damit Geld machen kann. Sozial sein dagegen hieße vielleicht teilen und das will man doch lieber nicht. Nun konsequenterweise vom konfortablen Sofa aus zur CDU zu wechseln, passt aber doch nicht so recht zum Identitätsinventar bequem gewordener Grüner und so versucht man denn die vertraute Partei mit aus Sofa zu nehmen, indem man sie auf bürgerliches Grün bürstet, ihr die Flügel für soziale Themen stutzt und den Menschen erzählt, dass das Leben auch dann schön ist, wenn man nicht auf dem Sofa sondern auf der Straße sitzt.

  • S
    SchnurzelPu

    Ach Grüne, so lange wie ihr nur eine Klientel von IT's, Psychologen und irgendwas Kreativen bedient, so lange werdet ihr aus der Nische nicht herauskommen.

  • J
    Johnny

    Eine Partei von Sozialpädagogen lockt sogar hier die Sozialpädagogen hervor, die dann über "das Prekariat" fabulieren, mit dem sie noch nie körperlichen Kontakt hatten.

     

    Jonas sagt es so schön: "wissenschatflich fundierte Zahlen" und hat dabei offenbar das Waldsterben (der gesamte Deutsche Wald ist jetzt schon weg, weil tot seit zwanzig Jahren), Peak Oil und Co vergessen. Alles "wissenschaftlich fundierte Zahlen" von gestern, die mit "und wer was anderes sagt lügt für die Großindustrie!" forwärtsgeschoben wurden.

  • A
    Arne

    Weiß jetzt irgendjemand, warum er, falls er glücklich und zufrieden sein sollte in Deutschland, grün wählen soll und nicht gleich Merkel???

  • L
    lowandorder

    Wer Steuern nicht wieder auf vor-Kohl-Niveau anheben will, will den Rentenbetrug und die Hartz-VI-Verbrechen nicht angehen; will das abgehängte Drittel weiterhin nicht teilhaben lassen!

    = NICHT WÄHLBAR.Punkt.

     

    Statt Frisch mal Hobbes lesen;

    oder wie es der ehemaliger Bankensyndicus ganz unverdächtige Gustav Heinemann mal auf den Punkt gebracht hat:

    "…aus Liebe zu Deutschland? - ich liebe meine Frau."

     

    Alles andere ist esoverpacktes National-Ordo-Gehampel;

    wie jemand so was nach NSA-NSU-et al. abdrücken kann, ist mir schlicht ein Rätsel.

  • kann mich jonas nur anschliessen.

     

    es stimmt ja schon, deutschland ist auch m.m.n. eines der besten laender, in denen man leben kann. mit einem der am besten funktionierenden systeme.

     

    also ist vieles in der politik finetuning.

    aber eben nicht alles. z.b. der klimawandel. und da muss man eben jetzt als gesellschaft die traegheit abstossen und so schnell wie moeglich umstellen. da darf man als partei aber niemanden auffordern? alles nur nach inception? reicht auch nicht klarzustellen, dass die jetzigen weichenstellungen der laufenden regierung zwar allmaehlich in die richtige richtung gehen, aber immer noch viel zu verhalten, und man jetzt nicht auf 20 jahre alles verschieben kann?

     

    na dann brauchen wir in wirklichkeit auch keine gruene partei mehr, dann helfen nur noch diverse atom-, flut-, sturm- und duerrekatastrophen.

    halleluja

  • >zahlenlastige Rechthaberei

     

    Die wissenschaftlich fundierten Zahlen (zu Klimawandel, Artensterben, usw. ...) repräsentieren Notwendigkeiten, keine Rechthaberei. Etwas anderes ist die Kommunikation, die kann man variieren.

     

    Die Grünen können sich entscheiden zwischen:

    1) wirkungslos, weil inhaltlich weichgespült (begrüntes Weiter-So, Selbstbetrug)

    2) wirkungslos, weil inhaltlich nicht mehrheitsfähig (ökologischer Fussabdruck)

     

    Ökologischer Fussabdruck:

    - http://www.footprintnetwork.org/en/index.php/GFN/page/calculators

  • D
    D.J.

    Ich glaube, es war der erste BP Heuss, der mal sagte, ich liebe nicht meinen Staat, ich liebe meine Frau. Ich liebe ihn dafür. Einfach ein pragmatisches Verhältnis zu ihm, mit einer nicht vollkommenen, aber guten Verfassung. Verfassungspatriotismus in dem Bewusstsein, dass jegliches Schwarzweißdenken und überspannte Utopien/Visionen das Gemeinwesen im 20. Jh. mehrfach zugrunde gerichtet haben bzw. in tiefe Krisen gestürzt haben.

  • "..Wir haben ausgestrahlt: Wir wissen alles. Und jeder, der was anderes weiß, liegt nicht nur falsch, sondern ist auch noch böse. .."

     

    Sooo schrecklich habe ich B90/Die Grünen dann doch nicht wahrgenommen. Gibts jetzt einen neuen Wettbewerb in Selbstkasteiung?

    • @lichtgestalt:

      So ist es!

      "Stattdessen sollten die Grünen die Menschen da abholen, wo sie stehen, wo ihre Bedürfnisse sind." ... Mir wird schlecht! Das ist genau dieser rundgespülte Politsprech, mit dem jegliche Ungerechtigkeit und jede Fehlentwicklung der Gesellschaft glatt gebügelt wird - von Merkel und Co! Wie wäre es denn, die 8 Millionen im Prekariat abzuholen, Herr Grüner Habeck? Die freuen sich jeden Tag wie Bolle über das wunderbare Land, in dem sie leben - beim 3. Minijob des Tages oder dem Wühlen in Mülleimern. Unglaublich, was sich in dieser Partei alles hervorwagt. Wie gut, dass ich vor Jahren austrat.

      • @UWB:

        Wer kaum etwas in der Tasche hat, wird sich den Luxus nicht leisen können und wollen, "grün" zu essen ... das "Prekariat" abholen können die Grünen nur im Verbund mit Linkspartei und SPD, wenn die Zeit dafür endlich reif geworden ist.

  • M
    markuhse

    wieso will die SPD nicht einen RRG Kanzler aufstellen?

    Stattdessen wird auf 2017 vertröstet, dann erhält die SPD vielleicht nicht mehr, was sie 2013 bekam!

    Angies Koalitions-Basar frisst alle Profile weg. Erfolge können immer der CDU, Misserfolge dem lahmen Regierungspartner zugeschrieben werden.

  • BW
    B. Wondraschek

    Habeck verwechselt eine Linie haben mit Rechthaberei. Dass liegt daran, dass er als Lifestyle-Grüner keine festen Standpunkte hat.

    Ich zweifele daran, dass Habeck eine grüne und dezentrale Energiepolitik je zu Ende durchdacht hat. Sonst würde er nicht auf ineffektive Großtechnonogie in Form von Hochsee-Windkraft setzen.

    Andererseits pfeifen Gruppen wie die Bauern ihn aus, weil die angebliche Dialogbereitschaft selten dazu führt, dass ihre Argumente ernstlich abgewogen werden. Man hat in Schleswig-Holstein bereits seine Erfahrungen mit diesem Srahlemann, die andere noch machen müssen.