Road-Trip durch Kosovo: Unter Ausgegrenzten
Serben sollen in Serbien leben, Albaner in Kosovo. Dazu muss man nur die Grenzen verschieben. So lautet der Plan. Was sagen die Betroffenen?
Vor dem Kosovokrieg 1998/99 gab es hier keine Grenzanlagen. Damals war Kosovo eine serbische Provinz mit mehrheitlich albanischer Bevölkerung. Danach stand das Land unter dem Protektorat der Vereinten Nationen. Seit 2008, als Kosovo seine Selbstständigkeit erklärte, kontrollieren europäische Polizisten und die internationalen Kfor-Truppen die Grenze.
Doch heute sind hier nur Kosovo-Serben und Albaner anzutreffen. Die Zöllner tragen das Wappen Kosovos und sprechen Serbisch, Albanisch und Englisch. Es geht entspannt zu, und das, obwohl Serbien bis heute die Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkannt. Die Zöllner bleiben freundlich und sachlich.
Die alte, mit Schlaglöchern übersäte Straße führt entlang dem Fluss Ibar durch eine bergige und dünn besiedelte Landschaft. Nur ab und an überragt eine orthodoxe Kirche die Wipfel der Bäume. In dieser Region des Kosovos wohnen ausschließlich Serben, 40.000 sollen es sein. Das Gebiet soll deshalb nach den jetzt diskutierten Plänen Serbien zugeschlagen werden. Gleichzeitig ist vorgesehen, das von Albanern bewohnte in Südserbien liegende Gebiet um die Stadt Preševo kosovarisch werden soll.
Wird der Norden Mitrovicas serbisch?
Im Zentrum des kleinen Städtchen Leposavić erkundigt sich am Denkmal des verstorbenen orthodoxen Patriarchen Pavle ein Polizist, was der Fremde will. Die Männer am Marktplatz sind einsilbig, das Büro der serbischen Regierungspartei verschlossen. Niemand möchte darüber Auskunft geben, was man über die Pläne eines Gebietsaustauschs denkt. Aber die Wände des Büros der Serbischen Fortschrittspartei sind mit dem Konterfei von Aleksandar Vučić, dem Präsidenten Serbiens, bedeckt, der die neue Grenzziehung befürwortet.
An kleinen Dörfern vorbei führt die Straße ins dreißig Kilometer entfernte Mitrovica, einer zwischen Albanern und Serben geteilten Stadt. Im serbischen Nordteil kleben ebenfalls viele Plakate mit dem Abbild von Vučić, aber auch der russische Präsident Wladimir Putin ist zu sehen. Die Kosovo-Serbin Tatjana Lazarević kann erklären, warum die Menschen so wenig gesprächsbereit sind: „Vučić und seine Partei haben hier im Norden vor allem auf dem Land die völlige Kontrolle über die Menschen“, sagt sie.
Ardian Arifaj, Berater des Kosovo-Präsidenten Thaçi
Das Telefon in ihrem kleinen, in der Nähe des Zentrums gelegenen Büro der Nichtregierungsorganisation mit dem Namen Razvoj Zajednica („Zentrum für gemeinschaftliche Entwicklung“) klingelt ununterbrochen. Tatjana Lazarević hat ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie betreibt mit ihren Mitstreitern ein Newsportal, untersucht Pressemeldungen auf ihren Wahrheitsgehalt, deckt Fake News auf, wendet sich gegen alle Ideologien.
Und Lazarević ist sauer über die Vorstellung einer Grenzverschiebung. In den serbischen Gemeinden in der Umgebung von Nord-Mitrovica würde die serbische Bevölkerung alles unterstützen, was der starke Mann in Belgrad sagt. „Doch die Mehrheit der Kosovo-Serben lebt im Süden in neun Enklaven. Die will das nicht, es geht um ihre Existenz. Auch die orthodoxe Kirche ist dagegen.“ Lazarević hofft auf Widerstand und die seit Monaten andauernden Demonstrationen der Opposition in Belgrad gegen Aleksandar Vučić.
Pulsierend ist das Leben im serbischen Norden von Mitrovica nicht. Die Straßenbeleuchtung kämpft ohne Fortune gegen den nebeligen Abend an. Lazarević’ Büro ist kaum 500 Meter von der berühmt-berüchtigten Brücke über den Ibar entfernt, die nach dem Krieg noch lange heiß umkämpft blieb. Der Flussübergang ist bis heute für den Verkehr gesperrt. Tatjana Lazarević deutet auf den Fluss. Ihm entlang würde die Staatsgrenze verlaufen, wenn es zum Gebietsaustausch käme, sagt sie.
Wo der Aufschwung das Land verändert
Es gibt noch eine zweite Brücke über den Ibar. Und die ist offen und vielbefahren. Sie führt in den albanischen Südteil von Mitrovica. Hier strahlen die Gebäude an der neuerbauten Schnellstraße, die in die Hauptstadt des Kosovos, nach Prishtina, führt, in grell erscheinendem Licht. Hell erleuchtete Tankstellen, Einkaufsmalls und Lager von Baumaterialien. Möbelgeschäfte wechseln sich mit Hotels und vierstöckigen Wohnhäusern ab.
Wo vor dem Krieg noch Wiesen und Felder die kleinen verstreuten Dörfchen umgaben, ist jetzt eine 40 Kilometer lange American Strip City entstanden. Die aufdringlich kapitalistische Ästhetik wirkt wie ein politisches Statement. Es ist, als zeigten die Albaner Kosovos den Serben, was sie seit der Unabhängigkeit des Landes 2008 auf die Beine gestellt haben.
Prishtina ist zu einer dynamischen Stadt geworden, die sich in alle Richtungen ausbreitet. Der Verkehr ist geregelt, ein neues Autobahnkreuz erleichtert die Einfahrt in die jetzt von mehr als einer halben Million Menschen bewohnten Stadt. Überall wird gebaut, neue Hochhäuser haben sich zu einer ansehnlichen Skyline verdichtet.
Prishtina: Neue Grenzen für den Frieden?
Ardian Arifaj hat sein Büro direkt neben dem Präsidenten des Kosovos, Hashim Thaçi. Der neu aufgebaute Komplex mit Parlament und Regierungsgebäude war 1999 von Nato-Raketen zerstört worden. „Das Hochhaus des serbischen Innenministeriums, also des Geheimdienstes, war erstes Ziel“, sagt der glatzköpfige Arifaj. Zu serbischen Zeiten war er Redakteur der Tageszeitung Koha ditore, die trotz aller Restriktionen bemerkenswert kritisch berichtete. Danach machte Arifaj sich als politischer Analyst im Rahmen zivilgesellschaftlicher Organisationen einen Namen. Vor drei Jahren avancierte er überraschend zum Ratgeber des Präsidenten. Thaçi bemüht sich darum, unbelastete Intellektuelle in seine Umgebung zu holen, um den Geruch loszuwerden, nur die alte Garde der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK zu beschäftigen.
Ardian Arifaj bestätigt die Verhandlungen zwischen Thaçi und dem serbischen Präsidenten Vučić über einen Gebietsaustausch. Die Gespräche seien schon weit gediehen. Er bestätigt auch die Unterstützung Russlands und der USA für diesen Plan. Die politischen Koordinaten hätten sich durch die Wahl von US-Präsident Donald Trump verändert, erklärt Arifaj. Der schrieb im Dezember 2018 an Thaçi: „Wenn es nicht gelingt, diese einzigartige Gelegenheit zu nutzen, wäre das ein tragischer Rückschlag, da eine weitere Chance auf einen umfassenden Frieden kaum bald wieder gegeben sein wird.“ Thaçis’ Berater wiederholt die Aussage fast wörtlich. Er steht hinter den Plänen einer Grenzverschiebung.
Am Ende des Verhandlungsprozesses, beschreibt Arifaj seine Hoffnung, könnte die diplomatische Anerkennung Kosovos durch Serbien stehen und die Mitgliedschaft Kosovos in den Vereinten Nationen. „Jetzt gibt es ein Momentum, auf das wir realpolitisch reagieren müssen“, sagt Arifaj. Die Position Deutschlands allerdings, die mache ihm Sorgen. Im letzten Jahr habe Angela Merkel bei einer Außenministerkonferenz erklärt, dass die territoriale Integrität der Staaten des westlichen Balkans unantastbar sei. Auch Großbritannien, Spanien, Schweden und andere EU-Mitglieder stemmten sich gegen Grenzänderungen, bemängelt Arifaj. Immerhin sei die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini inzwischen umgeschwenkt. Arifaj hofft, dass Deutschlands Position auf der Westbalkan-Konferenz Ende April in Berlin aufgeweicht wird.
Die bekannte Journalistin Evliana Berani dagegen hofft auf das Gegenteil. Es gäbe nur Gerüchte, nichts Handfestes, sagt sie, nicht aber eine offene gesellschaftliche Diskussion über diese Frage.
„Was Thaçi und seine Leute vorhaben, ist ein reiner Verfassungsbruch“, sagt der 73-jährige Jusuf Buxhovi. Der Autor von Sachbüchern über die Region war 1991 Mitbegründer der Demokratischen Liga Kosovos und ein Mitstreiter des ersten Kosovo-Präsidenten, Ibrahim Rugova. Grenzveränderungen auf ethnischer Grundlage würden Mazedonien und Montenegro destabilisieren, wo es starke albanische Minderheiten gibt, so seine Befürchtung. „Von Bosnien gar nicht zu sprechen.“ Kein Staat in der Region besitzt eine ethnisch einheitliche Bevölkerung.
In der serbischen Enklave Gračanica
Die Straße in Richtung des einhundert Kilometer entfernten Preševo-Tals führt durch Gračanica. Die Kleinstadt und ihre Umgebung stellt eine serbische Enklave inmitten der albanischen Mehrheitsbevölkerung dar, etwa 25.000 Serben leben hier. Neue Häuser sind gebaut worden, Bäume gepflanzt. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren erholt, die serbische Gemeinde verwaltet sich selbst. Das im 12. und 13. Jahrhundert gebaute Kloster mit der einzigartigen Kirche im serbisch-byzantinischen Stil gilt als eine Attraktion unter Touristen, die hierher kommen. In den Restaurants tummeln sich auch albanische Familien und die Ausländer aus den zahlreichen internationalen Organisationen, die in Kosovo ihren Sitz haben.
Der 40-jährige Nemanja Jovanović ist hier geboren. Er erlebte die wirren Jahre des Krieges als Jugendlicher, studierte danach in Serbien und Nord-Mitrovica Jura. Im Anschluss daran engagierte sich der schlaksige und lässig daherkommende Familienvater in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. „Jetzt sind alle Leute verwirrt, sie wissen nicht, was sie denken sollen“, beschreibt Jovanović die Reaktionen auf die anvisierte Grenzverschiebung. Sollte der Norden des Kosovos zu Serbien kommen, wären die Serben in den Enklaven allein gelassen – denn diese blieben ein Teil des Kosovos. „Viele Menschen werden dann abwandern, dann gibt es keine Zukunft mehr, denken sie.“ Über seine eigene ist er sich unschlüssig.
Preševo, künftig ein Teil des Kosovo?
Die Straße führt entlang eines Stausees und den malerischen Hügeln um Novo Brdo, einem Bergwerk, wo schon die Römer Gold und Silber schürften. Sie windet sich einen Pass hinauf, dessen Höhe die östliche Grenze zwischen Kosovo und Serbien darstellt. Wieder über die Grenze nach Serbien, ein leichtes Unterfangen. Nur dürfen Albaner nicht mit ihrem Auto die Grenze überqueren.
Unten, schon im Süden Serbiens, liegt das fruchtbare Tal von Preševo. Die Felder sind gepflügt, Rinder und Schafe grasen auf weitläufigen Wiesen. Im Zentrum des Preševo-Tals liegt das hübsche Städtchen gleichen Namens. Zum Hauptplatz führen Straßen mit kleinen Geschäften und Café-Bars. Die Auslagen der Gemüse- und Obsthändler strotzen von frischen Salaten, Zucchini, Kartoffeln, Paprika, sogar Importerdbeeren aus der Türkei sind hier zu finden. Hier sind die Menschen sofort bereit, über das Thema Grenzverschiebung zu sprechen, auch im schmucken Rathaus. 12.000 Einwohner habe die Stadt, 40.000 die Gemeinde, sagt der Verwaltungschef Agim Jumi, 90 Prozent davon sind Albaner. Diese Region soll den Plänen zufolge künftig ein Teil des Kosovos werden.
Das Café am Hauptplatz ist voll, der Latte Macchiato ausgezeichnet. Der 60-jährige Buzar Kadriu war vor 30 Jahren Gastarbeiter in Westeuropa, jetzt ist er als Wasser- und Heizungsinstallateur beschäftigt. Ihm gehe es gut, die Grenzverschiebung bringe nur Unruhe. „Du bist überhaupt der Erste, der fragt, was ich darüber denke“, sagt er. Niemand von den Politikern beider Seiten frage die Bevölkerung. Er blickt auf die vorbeifahrenden Militärfahrzeuge der serbischen Armee. „Trotz allem, wir Albaner und Serben kommen hier gut miteinander aus.“
Die schönste Zeit in seinem Leben sei die Zeit im Sozialismus unter Jugoslawiens Staatschef Josip Broz Tito gewesen. „Da gab es keinen Nationalismus und keine Grenzen zwischen den Republiken.“ Man solle warten, bis beide Staaten, Serbien und Kosovo, in die Europäische Union aufgenommen würden. „Dann fallen die Grenzen ohnehin wieder“, hofft Buzar.
Ganz ähnlich reagiert das Ehepaar Shabani. Sie besitzen eine Wechselstube mit Fotoladen an der Hauptstraße und machen sich Sorgen um die Rente. „Was kannst du mit 80 Euro monatlich anfangen, die im Kosovo bezahlt werden? Hier in Serbien sind die Renten viel höher.“ Und was sei mit dem Gesundheitssystem, den Schulabschlüssen und Diplomen der Kinder? Ein Kunde mischt sich ein. „Wir haben hier einen serbischen Pass und können reisen. Die Kosovaren stehen ein halbes Jahr für ein Visum nach Deutschland an.“
Nur ein junger Goldverkäufer im Geschäft nebenan outet sich als albanischer Patriot. Dagegen weisen zwei serbische Studenten alle Gedanken an einen Gebietsaustausch zurück. „Das hier ist Serbien. Das ist doch alles nur Gerede der Politiker. Einen Gebietsaustausch wird es nicht geben.“
Oder doch? Auf dem Rückweg nach Sarajevo will Svetlana Lazarević aus Nord-Mitrovica wissen, was die Leute in Prishtina und Preševo denken. Dass über die Köpfe der Bevölkerung beider Seiten verhandelt werde, regt sie auf. Sie mache sich Sorgen um die Existenz der Serben im Land. „In Nordkosovo sind die Leute zwar dafür, sich von Kosovo abzuspalten, doch würde der Plan umgesetzt, wären die Serben in den südlichen Enklaven alleingelassen. Und dies bedeutete das Ende des Serbentums in Kosovo.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin