Risiken der Gentechnik: "Wir sind Versuchskaninchen"
Die Forscherin Susan Bardócz kämpft seit Jahren für eine unabhängige Risikobewertung von Gentech-Pflanzen. Sie kritisiert, dass die Gefahren bewusst verschwiegen werden.
taz: Frau Bardócz, in Ihrem neuen Buch behaupten Sie, die Diskussion um mögliche Gefahren durch gentechnisch veränderte Pflanzen sei durch wirtschaftliche Zwänge und eine Pro-Gentechnik-Ideologie verzerrt. Dabei gibt es doch genug unabhängige Studien.
Susan Bardócz: Die Forschung im Bereich der Gentechnik ist alles andere als frei. Versuchen Sie mal, an das gentechnisch veränderte Material der Firmen zu kommen. Die rücken das nicht raus. Sie müssen sich bewerben und bei vielen Firmen eine Vereinbarung unterschreiben, dass alle Forschungsresultate der Firma gehören. Wenn sie schlecht ausfallen, dann wird eben nicht publiziert.
Warum besorgen sich Wissenschaftler die Pflanzen nicht einfach auf dem freien Markt?
Jeder Landwirt muss einen Vertrag unterschreiben, dass er die Saat nicht für wissenschaftliche Untersuchungen abgibt. Weil das sogenannte Transgen und damit jede Pflanze der Firma gehört. Sie können damit nicht einfach machen, was Sie wollen.
Es gibt nicht eben wenig Wissenschaftler, denen Beweise für Schäden durch Gentechnik fehlen. Die Technische Universität München hat in einem unabhängigen Fütterungsversuch über zwei Jahre mit dem Genmais MON 810 bei Kühen keine Transgene in der Milch nachweisen können.
Susan Bardócz, Jahrgang 1950, studierte Chemie und promovierte in Biochemie und Pharmakologie. Die Professorin leitete wie zuvor ihr Mann Árpád Pusztai eine Forschungsabteilung im renommierten Rowett-Institut im schottischen Aberdeen. Beide wurden 1998 gefeuert, weil Pusztai im Fernsehen Forschungsergebnisse vorstellte, nach denen an Ratten verfütterte genmanipulierte Kartoffeln Wachstumsstörungen und eine Schädigung des Immunsystems verursachten. Offiziell hieß es, seine Ergebnisse seien falsch und nicht abgesichert gewesen, viele Forscher allerdings sahen darin den Versuch, einen Gentechnik-Kritiker mundtot zu machen. Pusztai rückte nie von seinen Ergebnissen ab und erhielt 2005 dafür den Whistleblower-Preis. Im Dezember 2009 erhielten Bardócz und Pusztai für ihren Einsatz für eine kritische Sicherheitsforschung in der Gentechnik den Stuttgarter Friedenspreis. Gleichzeitig erschien bei Orange Press ihr Buch "Sicherheitsrisiko Gentechnik" auf Deutsch. Es erklärt auch für Laien Grundlagen und Risiken der Gentechnik und widmet sich der Rolle multinationaler Unternehmen. Susan Bardócz lehrt heute an der Universität Debrecen in Ungarn.
Mir sind andere Forschungen bekannt. Professor Gilles-Eric Séralini von der Universität Caen hat vergangenes Jahr eine Untersuchung veröffentlicht, in der er offizielle Daten von Monsanto statistisch analysiert hat. Also die Experimente, in denen die Firma selbst Genpflanzen an Tiere verfüttert. Es gab eindeutige Veränderungen in der Leber, der Niere und bei einigen Blutwerten.
Wenn ich was esse, dann wird es doch einfach verdaut. Wie sollen Transgene vom Darm in die Zellen anderer Lebewesen gelangen?
Genmaterial einer transgenen Pflanze wird eben nicht einfach verdaut. Schockierend ist ein Versuch an der Universität Newcastle mit sieben Personen, denen wegen einer Erkrankung der Dickdarm entfernt wurde. Stattdessen wurde der Inhalt des Dünndarms nach außen geleitet und in Beuteln gesammelt. Wenn sie Nahrung aus gentechnisch verändertem Soja auch nur einmal aßen, fand sich das Transgen nicht nur im Darminhalt. Es fand sich im Genom von Darmbakterien wieder und war dort auch noch in der vierten Generation der Bakterien nachweisbar. Der Versuch ist übrigens der einzige, der unter Laborbedingungen je mit Freiwilligen gemacht wurde.
Und wie soll das Transgen dort hingekommen sein?
Die Gensequenzen sind doch dafür geschaffen worden, in fremde Genome einzudringen! Sie sind mit parasitären Elementen ausgestattet, wie ich sie nenne. Also ein Stück genetischer Code aus einem Virus oder einem Bakterium, um die natürlichen Verteidigungsmechanismen des Genoms zu überwinden. In der Natur würden diese Elemente nie zusammenkommen.
Biotech-Firmen sagen, das sei kein Problem, weil man nur Teile von Viren nehme, die ausschließlich Pflanzen befallen.
In Tromsö haben Wissenschaftler Experimente gemacht, die gezeigt haben, dass Transgene auch in menschliche Darmzellen eindringen. Davon abgesehen wird ein anderes Problem überhaupt nicht thematisiert. Biotech-Firmen gehen davon aus, dass eine Gensequenz in einem neuen Organismus genau das Gleiche macht wie im alten, zum Beispiel das gleiche Protein produziert. Das ist grundlegend falsch. In der modernen Genetik haben wir gelernt, dass die gleichen Gene mehrere Proteine erzeugen können, in einer anderen Umgebung möglicherweise neue. Stellen Sie sich das Genom wie ein Orchester vor. Die Gene spielen in einer Zelle alle die gleiche Komposition, alles ist Harmonie. Jetzt setzen Sie in ein klassisches Sinfonieorchester einen Rockmusiker, quasi als Transgen. Allein mag jede Musik schön sein, zusammen sind beide Stücke ruiniert.
Man könnte doch beide Stücke zu einer neuen Harmonie vereinen.
Das ist eine Frage der Technologie. Was Gentechnik angeht, befinden wir uns leider noch in der Steinzeit. Das größte Problem ist die Methode, mit der ein Transgen in ein Genom eingebracht wird. Stellen Sie sich einen Blinden vor, der einfach mal losballert. Vielleicht trifft er die richtige Stelle im Genom, aber die Chancen sind gering. Stattdessen werden zwei bis fünf Prozent der Funktionen von Genen im Genom verändert, es wird destabilisiert. Diesen Effekt kann niemand vorhersagen. Die Biotech-Firmen wählen einfach die Pflanzen aus, die sich am ehesten so verhalten, wie es ihr Ziel war. In den gesetzlichen Vorschriften werden die Auswirkungen dieses Prozesses nicht beachtet, die zusätzlichen Genomveränderungen werden nicht untersucht.
Wissenschaftlich gesehen sind das alles keine Beweise für die Schädlichkeit von Gentechnik.
Ich glaube, wir haben genug Anhaltspunkte. Beispielsweise steigen in Großbritannien Allergien gegen Soja massiv an, seit die Pflanze dort gentechnisch verändert auf dem Markt ist. Ich glaube, Firmen wie Monsanto wissen längst um die Schädlichkeit ihrer Produkte und verhalten sich wie die Tabakindustrie vor 20 Jahren: so lange bestreiten, bis die Beweise für Gesundheitsschäden erdrückend sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“