: Rinderland ist abgebrannt
Ein Sternekoch schreibt einen Brief an seinen Rindfleischlieferanten. Mitten in der BSE-Krise dokumentieren wir dieses Schriftstück – Reflexionen über ein königliches Tier, über Genuss, Viehhaltung und Barbarei
von MANFRED KURZ
Lieber Ludwig, das Rind, das uns so wertvolle Dienste erwiesen hat, wird zum Entsorgungsproblem. Abertausende Rinder haben ihren Weg in den Verbrennungsofen gefunden. Alle Kapazitäten müssen herhalten, um die von Menschen geschaffene Katastrophe aus der Welt zu räumen. Was bleibt, ist mehr als nur Asche. Eher schon das Eingeständnis, versagt zu haben. Zivilisatorische Grenzen wurden längst überschritten; kulturelle ohnehin. Rinderland ist abgebrannt.
War seit den Anfängen das Rind zum Symbol für Macht und Einfluss geworden, war die Arbeitskraft des Rindes gleichermaßen die Voraussetzung dafür, dass sich die Europäer die Neue Welt untertan machen konnten. Auf der „Mayflower“ und weiteren Schiffen der ersten Siedler wurden stets Rinderherden mitgeführt.
Kaum in der Neuen Welt angelandet, schlugen sich die Pioniere, die Produkte des Stoffwechsels der Tiere verzehrend: die Milch, den Käse und schließlich das Fleisch – ohne die der Mensch das Stadium des Gras und Wurzeln fressenden Kriechenden kaum verlassen hätte –, Richtung Westen durch. Selbstverständlich in Stiefeln, gefertigt aus Rinderhäuten. In Missouri angelangt, wurde der eigene Herrschaftsbereich, nämlich das Weideland, abgesteckt, obendrein stolz gekrönt mit einem Rinderschädel.
Seitdem hat der Mensch die Herrschaft über den Körper des Rindes immer weiter perfektioniert. Schwindelerregend sind die Steigerungen der Mast- und Milchleistungen. Die Techniken zuerst der Sperma-, dann der Embryonenkonservierung haben die züchterische Selektion von den Begrenzungen durch Raum und Zeit befreit und ihren Wirkungsgrad vervielfacht. Die gigantische Rinderherde aber, deren Produkte täglich die Kühltheken füllen, ist für die Menschen unsichtbar.
Und das nicht ohne Grund. Ob alle Hamburgerbratereikonzerne auf dieser Erde, wo zweistellige Umsatzzuwächse zum guten Ton gehören, ihre Kunden mit Macs und Whoppers in gleichem Maße beglücken könnten, wenn deren industrialisierte Herstellungsbedingungen hinreichend bekannt wären, scheint eher fraglich.
Wo nahezu ganze Rinder mit Hilfe hydraulischer Kraft auf gewaltige Stahlschnecken gehievt, mit mannsgroßen Messern zerstückelt und endlich durch Lochscheiben von der Größe eines Düsentriebwerkes zum Grundstoff für den schnellen und bequemen Snack zwischendurch gepresst werden, bleibt wenig Raum für feinsinnig-feinschmeckerische Betrachtungen. Die Produktion wird eher im Dunkelgrau der Anonymität gehalten. Milliardenumsätze, erzielt mit Fabrikbuletten, reagieren empfindlich auf helles Tageslicht. Nur: Mit dem Finger über den Atlantik zu zeigen, dafür finden wir Europäer keine Rechtfertigung mehr.
Freilich, lieber Ludwig, ist das Geschriebene für Sie nichts Neues, findet Ihre Arbeit auf dem Demeterhof ihren Sinn doch gerade in der Abkehrung von diesen Methoden. Ich freue mich mächtig darüber, in Ihnen einen Lieferanten für Rindfleisch gefunden zu haben, von dem andernorts nur geträumt werden kann. Nicht allein der Tatbestand, dass Sie Ihre Rinder art- und umweltgerecht halten, gefällt mir so gut, sondern eben auch, dass die von Ihnen gelieferte Fleischqualität von solch erlesener Güte ist. Und ich denke, das eine hat das andere zur Bedingung.
Ich weiß aber auch, wie sehr der Demeterbewegung der Wunsch nach Genuss beim Fleischverzehr suspekt ist, ja fast als unerlaubt gilt. Schlachten und Verzehren des Rindes sind für Sie unausweichliche Notwendigkeiten, die eher mit schlechtem Gewissen denn mit Vergnügen geschehen; genussfeindlich viel mehr als den Genuss suchend.
Lieber Ludwig, ob Sie mir diese Kritik bitte nachsehen? Mir ist der Kommentar eines großen französischen Kochs erinnerlich, der nach dem genüsslichen Verzehr eines Côte de boeuf seufzte: „Das Tier ist nicht umsonst gestorben.“ Mehr an Dankbarkeit, auch Respekt vor dem geschlachteten Tier scheint mir mit so wenigen Worten nicht auszudrücken zu sein. Damit will ich endlich zum Punkt kommen. Sie wissen, ich schätze Sie als bäuerlichen Lieferanten über die Maßen. Ihre kultivierte Haltung, mit der Sie Hof und Weideviehwirtschaft betreiben, positioniert die Messlatte ganz weit oben.
Warum nur brechen Sie auf drei Vierteln des Weges ab? Appetit schließt die Achtung vor der Kreatur auch bei ihrem Verzehr nicht aus. Und an der Schnittstelle, zwischen Ihnen als Erzeuger und mir als Koch, scheint mir noch mehr gegenseitiges Einverständnis nötig. Sie haben Anspruch auf Abnehmer für Ihr Fleisch, die ihre Arbeit ebenso ambitioniert verrichten, wie Sie das im Stall und auf der Weide tun. Was ich bemängele, ist, dass das, was nach dem Schlachten kommt, sie nicht mehr zu interessieren scheint. Wie sonst ist erklärbar, dass mir das Fleisch lediglich in profaner Grobeinteilung – Stücke zum Braten und solche zum Kochen – angeboten wird? Wo so vereinfacht vorgegangen wird, bleibt die Kultur des Kochens und Speisens auf der Strecke.
Aus dem Blickwinkel des Kochs gibt es eine Grammatik des Rindes. Sie ist umfänglich, gescheit und jedem, der noch einen Rest an Geschmack bewahrt hat, plausibel. Die Wiener Rindfleischküche (siehe unten) liefert uns den ausgeklügelten Bauplan. Das ist Kult.
Nicht weniger denn 24 Fleischstücke entstehen beim so genannten Wiener Schnitt. Gemeint ist die Kunst der Fleischhauer, das Rind so zu zerlegen, dass allen 24 Fleischstücken der ihnen eigene Charakter erhalten bleibt, der, wohlgemerkt, allein beim Sieden und Pochieren bewahrt wird. Gekochtes Fleisch vom Rind ist das Feinste, was man von diesem königlichen Tier haben kann. Dies als Hinweis für alle begeisterten Steakgriller.
Wem sich diese Erkenntnis beim Verzehr von weißem Scherzel, Tafelspitz, oder Hüferl nicht auf Anhieb erschließt, der ist im Grillroom besser aufgehoben. Jedes Teil hat seinen Sinn, ist Ergebnis jahrzehntelangen Probierens. Das ist Rindfleischkultur: der zugänglich gemachte Reichtum dieses wunderbaren Tiers, kulinarisch auf die Spitze getrieben, ebenso wie der Respekt der Köche vor diesem Geschenk der Natur. Würden wir zu einer solchen Geschäftsgrundlage finden, wäre uns allen gedient. Und wenn wir beide in unserer Arbeit auch Ethik erkennen, dann werden wir hinreichend Anlass finden, mit Gelassenheit in die Zukunft zu blicken. Allen BSE-Krisen zum Trotz. Obendrein mit gutem Gewissen und reichlich Genuss.
Mit einer gehörigen Verbeugung – Ihr Manfred Kurz
MANFRED KURZ, 45, ist Sternekoch und Patron des „Hirschen“ in Blaufelden. Den Brief an „seinen“ Demeterbauern schrieb er bereits vor Jahren, als die BSE-Krise in England eskalierte. Sein Inhalt ist aktueller denn je
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