Richtungsdebatte auf Klausurtagung: SPD sucht den Fortschritt
Die Parteiführung will höhere Steuern für Gutverdiener und Entlastungen für alle anderen. Doch die Parteilinke stemmt sich gegen jegliche Steuer- und Abgabensenkungen.

Ein Papier stört die winterliche Idylle in Hermannswerder bei Potsdam. Dort, bei der jährlichen Klausurtagung des SPD-Vorstands, geht es seit Montag um die künftige Ausrichtung der Partei. Das Führungstrio will den Sozialdemokraten endlich wieder Themen und Thesen geben, die bei den Wählerinnen und Wählern ankommen.
Doch der "Entwurf für ein SPD-Fortschrittsprogramm" stößt bei der Parteilinken auf harsche Kritik. Bis ein Bundesparteitag das Programm im kommenden Dezember verabschieden soll, wird es noch ein langer Weg werden.
Auf 43 Seiten präsentieren der Parteichef Sigmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Generalsekretärin Andrea Nahles, wie sie sich den neuen Kurs der Partei vorstellen. Darin konstatieren sie eine weit verbreitete Furcht und Resignation in der Bevölkerung, die sich gesellschaftlichen Veränderungen ausgeliefert sehe. Dem setzt die SPD-Führung das Versprechen eines starken Staates entgegen, der Abwanderung der Wirtschaft verhindert, Bildung stärker fördert, Gesundheitsversorgung bezahlbar hält und Gutverdiener stärker besteuert.
Streitpunkt zwischen Parteiführung und -linken ist die Abgabenlast. Das Führungstrio spricht sich im Programmentwurf dafür aus, Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttoeinkommen zwischen 800 und 3.000 Euro steuerlich spürbar zu entlasten. Zur Gegenfinanzierung soll der Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent steigen, das bisherige Ehegattensplitting zugunsten von Familien mit Kindern würde gestrichen werden.
Das Ziel: "Eine gerechte Steuerpolitik muss durch Umverteilung der staatlichen Belastungen auch finanzielle Spielräume für eine spürbare Entlastung der mittleren und unteren Einkommensgruppen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eröffnen." Das heißt: Was höherer Spitzensteuersatz, die Rücknahme der Einkommensteuervergünstigung für Hotelübernachtungen, das Ende des Ehegattensplittings und höhere Kapitalbesteuerung einbringen, soll direkt an Niedrig- und Normalverdiener weiterfließen.
Dagegen stemmt sich die Parteilinke. Das "Forum demokratische Linke" und die "Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion" kontern den Programmentwurf mit einem "Diskussionspapier". Darin geben sie sich in der Finanzierungsfrage strikt: "Eine allgemeine Entlastung über die Senkung von Steuern oder Sozialabgaben lehnen wir ab."
Zwar beteuern die Autoren des Papiers, Björn Böhning, Niels Annen und Ernst Dieter Rossmann: "Es ist keine Gegenposition zum Entwurf eines Fortschrittsprogramms, das der SPD-Parteivorstand auf seiner Klausur diskutiert, sondern soll die Debatten unterstützen." Doch ist der alte Richtungsstreit zwischen Führung, Linken und Rechten damit wieder entfacht. Bereits im vergangenen November kritisierte der konservative "Seeheimer Kreis" die "Hü-und-hott-Politik" der Führung.
Auch beim Thema Bildungsinvestitionen sind Linke und Führung uneins. Bezahlen wollen Gabriel, Steinmeier und Nahles Mehrausgaben durch "staatliche Mehreinnahmen", den "Abbau von - insbesondere ökologisch schädlichen - Subventionen" und "Umschichten im Bundeshaushalt". Die Linken wollen Steuermehreinnahmen "primär" für Bildung und Wissenschaft ausgeben.
Parteichef Gabriel mühte sich um Schadensbegrenzung. Zu Klausurbeginn sagte er, es gehe nicht darum, die Entlastung von Geringverdienern gegen Bildungsinvestitionen auszuspielen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart