Richard Hell kommt nach Berlin: Die Publicity hilft
Der New Yorker Schriftsteller und Punk-Pionier Richard Hell liest beim Berliner Festival „Pop-Kultur“ aus seiner Autobiografie „Blank Generation“.
Richard Hell möchte das Interview per E-Mail führen. Okay. Kein Transkribieren, druckreife Sätze, null Ärger mit der Autorisierung. Aber: Der Interviewte liest alle Fragen, bevor er antwortet, auch die unangenehmen. Fragen, mit denen der nichtjüdische Deutsche den jüdischen Amerikaner davon überzeugen will, dass dessen Jewishness für seine Kunst von großer Bedeutung ist, obwohl dieser das mehrfach vehement bestritten hat. Daher die leichte Genervtheit bei Richard Hell. Zum Jüdischen später.
Hell steckt in einer Zwickmühle. „Ich bin ein Schriftsteller, der an verschiedenen Themen und Medien interessiert ist“, sagt er. Ein Schriftsteller, den alle kennen als den Typen mit den Stachelhaaren, Junkieaugen und Stoßstangenlippen, nach dessen Vorbild Malcolm McLaren 1975 die Sex Pistols schuf. Im Oktober wird Hell 66, er hat ein gutes Dutzend Bücher veröffentlicht, auf Deutsch lediglich die Autobiografie „Blank Generation“, nach seinem berühmtesten Song.
Abgesehen von einer Kooperation mit der Allstar-Band Dim Stars 1992 hat Hell seit 1982 keine neue Musik mehr veröffentlicht, sein Vermächtnis bleiben zwei Meilensteine des New York Punk, „Blank Generation“ von 1977 und „Destiny Street“. Dafür, dass er viel länger draußen ist aus dem Pop-Betrieb als er jemals drin war, ist der Nachruhm beachtlich. Musik hört er inzwischen nicht mehr viel.
„Ich mochte die Libertines. Ich lese lieber Bücher und schaue mir Gemälde an.“ Die Vergangenheit lässt ihn nicht los. Mit jedem Punk-Jubiläum gibt es mehr Ausstellungen, Bücher, Retrospektiven, für Hell ein „Medienphänomen. Die Zeitungen müssen ihre Seiten füllen. Ich bin froh darum, ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen und die Publicity hilft.“
Keine Sittengemälde
„Was bedeutet Punk heute?“
„Den Vorgaben der kulturellen Mächte trotzen und versuchen, aufrichtig (honest) zu sein.“ Als honest wurde Hells Autobiografie gefeiert, zu Recht. Das Buch endet pünktlich 1984. Er hört mit den Drogen auf, Aids verwandelt das untere Manhattan in eine, pardon, Hölle. Die billigen Wohnungen, die Buch- und Plattenläden, die Galerien und Clubs verschwinden. Ist „Blank Generation“ das Sittengemälde einer untergegangenen Zivilisation?
„Nein, ich weiß nicht, wovon Sie reden.“
„Stimmt es, dass Sie immer noch in dem Apartment auf der 11th Street wohnen, dass Sie 1975 bezogen haben?“
„Ja, ich habe da, was ich brauche, wobei die Umgebung sich schon verändert hat. Wir werden überrannt von Touristen und Leuten, die besessen sind von Reichtum.“
Eine der irrwitzigeren Figuren dieser Lebensgeschichte heißt Theresa Stern. Richard Hell und Tom Verlaine, die 1974 gemeinsam die Band Televison gründen sollten, sind jung in Manhattan, verbunden in symbiotischer Hassliebe, entflammt für die Kunst. Große Dichter wollen sie werden. Oder große Musiker. „Es war Theresa Stern, die mir zum ersten Mal den unleugbaren Beweis dafür gab, und es war in dieser Zeit, als wir beide einundzwanzig waren und Tom und ich sie erfanden“, schreibt Hell.
Androgynes Mischwesen
Die Lyrikerin Theresa ist eine Kopfgeburt: „Ich nannte sie Theresa Stern und stellte mir vor, dass sie einen deutschen jüdischen Vater und eine puertorikanisch-amerikanische Mutter hatte und dass sie schwierig war“, so der als Richard Meyers in Kentucky geborene Sohn einer Südstaaten-Methodistin und eines deutschen Juden. Hell und Verlaine setzen eine schwarze Perücke auf, lassen sich identisch schminken und in identischer Pose fotografieren. Die Negative werden überblendet, fertig ist ein androgynes Mischwesen aus Tom & Richard. „Theresa sah ein bisschen hart, aber schamlos aus. Theresa war eine Hure.“ Unter dem Namen der Hure veröffentlicht Hell Gedichte. Was ist aus ihr geworden?
„Ich habe gerade ein Buch von ihr herausgebracht, ,Wanna Go Out?'. Sie ist niemals öffentlich aufgetreten. Ich glaube, ich werde nicht mehr unter ihrem Namen schreiben, aber man weiß ja nie.“
Der (jüdische) Kritiker Steven Lee Beeber analysiert die Kunstfigur so: „Theresa war die Jüdin als Zigeunerin, als exotisches, starkes Mädchen. Der Jude als das Fremde, als sexuelle Bedrohung und Rauschmittel.“ So problematisch diese Attribuierung des Jüdischen ist, so virtuos spielt Hell auf der Klaviatur der Ängste der Goivor dem sexbesessenen, hyperpotenten, blitzgescheiten, sich selbst hassliebenden, keinem Rausch abholden Juden. Sieht er das auch so?
Richard Hell liest aus „Blank Generation“ und spricht darüber mit dem Musiker Hendrik Otremba, am Freitag 2. September im Passage Kino Berlin, Im Rahmen des Festivals „Pop-Kultur“.
„Nein, das ist eine der verrücktesten Fragen, die mir je gestellt wurde. Sorry, ich akzeptiere Ihre Vorstellungen nicht, auch nicht die von Beeber. Er hat meine Aussagen falsch interpretiert oder bewusst verfälscht. Die Frage nach meiner Jewishness scheint vor allem Antisemiten zu interessieren, und Kulturen mit einschlägiger Geschichte, wie die Deutschen. Ihre Fixierung auf das Jüdische meiner Arbeit interessiert mich nicht, das ist Ihre Angelegenheit.“
Okay, harmlose Fragen zum Ende: „Ihre Pläne?“ „Ich schreibe einen neuen Roman.“ In „Blank Generation“ schwärmt Hell von dem Gitarristen Robert Quine (1942–2004), der mit ihm und mit Lou Reed gespielt hat. Was so toll an ihm sei, möchte ich wissen. Hell: „He’s jewish.“
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