Rezession in Großbritannien: Die Überlebensfrage
Großbritannien wird vom schlechten Coronamanagement eingeholt. Die Tories kämpfen ums politische Überleben.
A ufgrund der Empfehlungen einer Epidemie-Simulation vor einigen Jahren hätte sich Großbritannien einigermaßen auf Covid-19 vorbereiten können. Zumindest wäre genug Schutzkleidung vorhanden gewesen. Doch das potenzielle Fiasko eines ungeregelten EU-Austritts war die einzige Notsituation in der Vorstellung der konservativen Regierungen Großbritanniens. Trotz der Bilder aus Italien ließ Boris Johnson seinen Finanzminister noch am 11. März einen riesigen Investitionshaushalt vorstellen, zur positiven Veränderung des Landes in der Brexit-Ära. Was Corona betraf, ging es nur ums Händewaschen und Herdenimmunität.
Zahlreiche Einwände und ein rascher Anstieg der Infektionen führten erst am 23. März zum Lockdown. Wegen falscher Entscheidungen in Pflegeheimen, mangelnder Testkapazität und fehlender Schutzkleidung musste Großbritannien dann den Lockdown lange aussitzen. Schockierend hohe Todeszahlen und eine Rezession von 20,4 Prozent mit bisher 730.000 verlorenen Arbeitsplätzen waren die Konsequenz.
Es mag sein, dass die Unsicherheiten der letzten Jahre die britische Regierung und die Geschäftswelt dazu gezwungen haben, über notwendige Änderungen und Stimuli bei wirtschaftlichen Einschlägen nachzudenken. Vielleicht erholte sich die britische Wirtschaft ab Juni laut dem OECD-Frühindikator deshalb trotz der Rekordrezession besser als andere OECD-Staaten. Bisher hatten konservative Regierungen das nationale Gesundheitssystem (NHS) bei derartigen Überlegungen jedoch vernachlässigt. Johnson erkannte schon vor der Pandemie, dass sich hier etwas ändern müsse, aber erst seit Covid-19 floss das Geld richtig.
Für die Tories geht es nun nicht mehr nur ums wirtschaftliche, sondern ums eigene politische Überleben. Hierzu müssen sie nicht nur ein Handelsabkommen mit der EU erreichen, sondern weitere Covid-19-Desaster unbedingt vermeiden. Weder die vielen Toten noch die Rezession noch ein etwaiger ungeregelter Brexit können die Schuld der inzwischen ernst zu nehmenden Labour-Opposition sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!