Revolutionärer 1. Mai in Kreuzberg : Gewalt ist hier die Antwort
Voller Wut auf das System und alles geht Ruth mit ihren Freunden auf die „Revolutionärer 1. Mai“-Demo in Berlin. Eskaliert die Sache?
Von RUTH FUENTES
taz FUTURZWEI, 04.05.2023 | Genau auf diesen Moment haben wir gewartet! Eine lila Rauchbombe versperrt mir die Sicht, unter mir lauter Scherben von zerbrochenen Bierflaschen. Gleich brennt wieder Kreuzberg, denke ich tatsächlich. Hinter mir der Eingang zum U-Bahnhof abgesperrt, vor mir eine Horde Bullen – sorry, Polizisten – die im Gleichschritt marschieren und „geht nach Hause“ brüllen. Schwierig, wenn sie uns dabei einkesseln und wir dabei so wütend auf all das sind, was gerade abgeht. Darauf, dass wir nicht gehört werden. Von der Politik, die nur redet, aber einfach nichts macht.
Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Klimakrise, CDU-Bürgermeister, unbezahlbare Mieten und eine Enteignung, die trotz Mehrheiten nicht kommt. Wir müssen heute auf die Straße, hatte ich gedacht. Und überzeugt hatte ich Arsen und Felix eher mit den Worten: „Lass Randale machen.“ Einen weiteren Freund von Felix hatten wir noch überreden können. Die anderen hatten versichert, dass sie auch voll hinter der Demo stünden, waren dann aber doch lieber feiern gegangen. Verräter!
Habe ich gedacht. Aber jetzt, wo ich sehe, wie Arsen auf die Bullen zuläuft und irgendwas brüllt, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, welchen Sinn das Ganze hier macht. Ich sehe Felix auf mich zukommen und sagen: „Hey, lass jetzt mal lieber zum Schlesi rüber, da ist Party!“ Er trägt jetzt seine schwarze Adidas-Jacke, das rote Hemd war zu auffällig, als wir im schwarzen Block gelandet sind. Es war nicht der Plan gewesen, da zu landen. Der Plan war der gewesen, Teil eines Protests zu sein, den wir wichtig finden. Auf Missstände hinzuweisen. Nicht nur aus traditionellen 1. Mai-Gründen und eigentlich auch nicht nur, weil wir in Pöbellaune waren. Sondern, um ein Zeichen zu setzen. Nicht vermummt. Und mit gutem Gewissen, weil man das hierzulande darf.
Begonnen hatte alles mit „Yuppieschweine raus aus den Kiezen“. Höhe Hermannplatz. Da war noch alles halbwegs entspannt gewesen – bis auf die Bullen natürlich, die neben uns mitgelaufen waren. Und schon den Weg zur Demo fast komplett verriegelt hatten. Uns praktisch so umstellt hatten, dass unsere Forderungen kaum nach außen kamen. Irgendwas sagt mir: Versammlungsfreiheit sieht anders aus. Und dass die Reichen sich aus unserem Kiez verpissen sollen, um die Mieten nicht noch mehr in die Höhe zu treiben, dagegen kann ja wohl wirklich niemand was haben?
„Brot. Frieden. Sozialismus.“ Steht auf dem Banner. Einfache Parolen, aber irgendwie auch geil zu rufen. Nicht weiter nachdenken. Das Herz pocht lauter als sonst.
Wut gegen die Ohnmacht
„Revolution“ schreien wir mit. Und Felix sagt kleinlaut, dass er daran ja eigentlich nicht glaubt und ich weiß doch, dass er Recht hat damit. „Siamo tutti antifascisti!“ heißt es jetzt. Und: „Tout le monde déteste la police.“ Irgendwie sind wir doch im schwarzen Block gelandet, der sicher einen sehr kleinen Teil der Demo ausmacht. Und sowieso: Wer steckt hinter den schwarzen Maskierungen und Kapuzen? Etwa doch nur polyglotte Studierende? Ich schaue in sehr junge Gesichter, viele schwarz vermummt, aber die meisten auch nur am Rumschauen. Gewalttouristen?
Ein Bulle schubst mich zur Seite.
„He, schubs’ mich nicht“, sage ich.
Und er: „Ich darf Sie schubsen. Gehen Sie nach Hause.“
Ich will aber nicht nach Hause, ich will öffentlich sagen, was mich stört. Aber der Bulle schiebt mich mit seinen Kollegen so sehr zur Seite, dass die Forderungen zu Wut werden. Gegen all das, was schiefläuft hier im Land. Obwohl wir vorhin noch darüber geredet hatten, dass man immer lieber „für“ etwas demonstrieren gehen sollte statt „gegen“.
„Ruth“, fängt Felix wieder mit seiner nervigen Vernunft an, auf mich einzureden. „Die Leute, die noch hier bleiben, kriegen nur auf die Fresse. Willst du das wirklich? Willst du, dass …“ Dann stockt er. Eine weitere Mannschaft an Polizisten marschiert an uns vorbei, schiebt uns gegen die Absperrung. Irgendjemand grölt jetzt: „Wo, wo, wo wart ihr in Hanau?“ Und Felix vergisst seine ganze Vernunft und grölt plötzlich mit. Ich gröle auch. Eine Antwort kriegen wir nicht, obwohl es eine gerechtfertigte Frage ist, wie ich finde. Ich schiebe mich durch die Masse an dunkelblauer Uniform und versuche Arsen aus dem Kessel zu bekommen.
„Es ist mein gutes Recht, hier zu stehen“, schreit er gerade den Bullen in Vollmontur an. Ich frage mich kurz, wozu die Waffe an dem Polizistengürtel sein soll. Dann macht der Polizist den Mund auf: „Der Veranstaltungsleiter hat die Versammlung beendet.“
„Und wie heißt der Veranstaltungsleiter?“
„Gehen Sie nach Hause.“
Inszenierter Protest mit wenig Wirkung
Später werden wir erfahren, dass der Veranstaltungsleiter wirklich die Demo abgebrochen hatte, wegen erhöhter Polizeipräsenz. Richtig kommuniziert bekommen wir das am Kotti aber nicht.
Weiter Gedränge, ein Demonstrant fängt an zu rufen: „Ganz Berlin hasst die Polizei.“ Kriegt auf die Fresse, der Rest fällt ein in den Ruf. Alles ist Hass, Wut, Anspannung. Felix will gehen und dann doch wieder nicht. Ich höre wie er im Chaos hin- und hergerissen mit seiner Freundin telefoniert: „Ja, ja, wir kommen doch gleich. Ich will mir das nur kurz anschauen!“ Eskaliert’s? Eskaliert’s nicht? Die Bullen wirken jedenfalls nicht deeskalierend. Auch unter den Helmen: junge Gesichter. Ich frage mich, ob nicht alles besser wäre, wären sie einfach weggeblieben. Wären wir dann auch weggeblieben?
Arsen will den Typen rächen, der gerade auf die Fresse bekommen hat. Und was will ich überhaupt? „Bullenschweine raus aus den Kiezen“ schreien, so laut und unisono, dass ich endlich das Adrenalin in meinen Venen spüre?
Ich bekomme eine SMS von meinem Vater: „Ruth, keine Gewalt bei der Demo!!!“ Die Gewalt geht doch nicht von mir aus, denke ich. Und stocke, weil ich merke, irgendetwas in mir spürt in dem Kessel ganz eindeutig den Willen nach Gewalt. Gewalt, die aus der Wut kommt. Wut gegen die Ohnmacht. Wut, weil die Wohnungen immer teurer werden. Wut, weil weiter Autobahnen gebaut werden. Wut, weil es immer nur um Geld geht. Aber die Wut kommt vor allem aus der Situation heraus. Gegen die martialisch auftretende Polizei. Und sie geht vor allem ins Leere.
Ich atme Rauchbombenluft ein. Betrachte die Menschen um mich herum. Es gibt Gründe, warum sich über 20.000 Leute heute hier versammelt haben, sich solidarisieren. Und die heißen ganz sicher nicht nur Linksextremismus und Gewaltbereitschaft. Es gibt die Bullen, die mit einem viel zu großen Einsatz Präsenz zeigen, unnötig Macht demonstrieren und damit eigentlich nur eine mögliche Massenpanik in Kauf nehmen. Und es gibt Probleme, die wir hier am Kotti zwischen Absperrung und Polizeiwagen ganz sicher nicht lösen werden. Auch wenn es gut tut, mal zu schreien und zu schubsen. Die eigentlichen Forderungen, sie gehen unter. Es bleibt: ein inszenierter Protest mit wenig Auswirkung. Und Ernüchterung. Als ob ich das nicht schon heute Mittag gewusst habe, als ich die Docs geschnürt habe.
Ich atme nochmal durch, es riecht jetzt nach Böllern. Die Demo löst sich doch langsam auf. Etwas ratlos bleiben wir in der aufgeheizten Stimmung und mit unseren linken Idealen zurück. Wir zwängen uns durch zwei Wannen der Cops und gehen dann resigniert Richtung Görli. Saufen.
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.