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Revolution in ÄgyptenRan an die Institutionen

Gut fünf Monate ist der Sturz Husni Mubaraks her. Die demokratische Wahl einer Dekanin zeigt, wie die Revolution in den Institutionen voranschreitet.

Nicht zufrieden mit der Militärregierung: Demonstrant auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Bild: dapd

KAIRO taz | Der Tahrirplatz in Kairo ist Inbegriff der ägyptischen Revolution. Hier wurde das Mubarak-Regime gestürzt. Hier versammeln sich die jungen Revolutionäre dieser Tage wieder zu einer Art Revolution 2.1. Weil ihnen die Veränderungen viel zu langsam vonstatten gehen. Weil die Gerichte viel zu zögerlich die Verantwortlichen des alten Regimes zur Rechenschaft ziehen. Weil im Innenministerium immer noch diejenigen Polizeioffiziere sitzen, die für den Tod von Demonstranten während des 18-tägigen Aufstands gegen Mubarak verantwortlich sind.

Hier verteidigen die Aktivistinnen und Aktivisten ihre Revolution, in deren Namen sie die rot-weiß-schwarzen Nationalflaggen schwingen. Hier verkaufen sie in allen Farben T-Shirts mit der Aufschrift: "Die Macht der Menschen ist stärker als die Menschen an der Macht."

Doch der Tahrirplatz ist längst nicht mehr das alleinige Zentrum der Veränderung. In nahezu allen Institutionen ist man gerade dabei, das Leitungspersonal auszuwechseln und durch neue, in vielen Fällen demokratisch gewählte Köpfe zu ersetzen. Eine Entwicklung, die für die ägyptische Revolution nachhaltigere Folgen haben wird, als alle Demonstrationen auf dem Tahrirplatz zusammen. Und eine Entwicklung, an der mehr Menschen beteiligt sind, als je auf dem riesigen Tahrirplatz im Zentrum Kairos Platz finden könnten.

Ägyptens Agenda

Wahl: Die für September geplante Parlamentswahl wird wohl auf den November verschoben. Eine Bestätigung oder ein konkretes Datum gibt es noch nicht. Mehrere Oppositionsgruppen hatten eine Verschiebung gefordert. Nur die Muslimbruderschaft hatte sich für September ausgesprochen.

Personal: Vorige Woche wurden 582 hochrangige Polizeioffiziere in den vorzeitigen Ruhestand entlassen. Am Mittwoch wurde die Vereidigung des neuen Kabinetts erneut verschoben. Mit der Neubesetzung von 14 Ministerien will Ministerpräsident Scharaf auf die Kritik am Tempo der Reformen reagieren. Die Protestbewegung kritisiert, dass 13 Minister ihre Posten behalten sollten. (dpa, afp, taz)

Zehn Autominuten vom Tahrirplatz entfernt, auf der anderen Seite des Nils, liegt die Universität von Kairo. Unter Mubarak war sie im festen Griff des Regimes. Stets standen Mubarak-getreue alte Männer der Universität und den Fakultäten vor; unabhängige akademische Arbeit war unmöglich. Jetzt wird schon am Eingang, wo keine Polizisten mehr Studenten und Lehrpersonal schikanieren, deutlich, wie sehr sich die Dinge geändert haben.

"Geschenk des Himmels"

Und auch im Innern tut sich einiges. An der Fakultät für Geisteswissenschaften etwa. Deren neue Dekanin heißt Randa Abu Bakr, ist weiblich, 43 Jahre jung und erklärte Revolutionärin. Anfang vorigen Monats wurde sie gewählt. Die über 300 Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fakultät hatten einfach mehrheitlich bestimmt, dass die Führung der Fakultät in einer geheimen Wahl bestimmt werden soll. Dem konnte der alte Dekan nichts entgegensetzen.

"Ich bin euphorisch, die Revolution war ein Geschenk des Himmels. Und dann gab es an der Universität auch noch eine Wahl. Dass wir das geschafft haben, war der eigentliche große Sieg, nicht dass ich die Wahl dann auch noch gewonnen habe", sagt Abu Bakr.

Sie sitzt in einem Nebenraum der Bibliothek, denn ein Büro hat sie noch nicht. Der Universitätspräsident, der zur alten Mubarak-Garde gehört, weigert sich, die Wahl anzuerkennen. "Es ist klar, dass die nicht gern ihren Platz räumen und versuchen, die Dinge hinauszuzögern. Aber früher oder später müssen sie die neuen Zeiten anerkennen, sonst eskaliert die Lage wieder, und am Ende wird es doch weitergehen", meint die Professorin für englische Literatur selbstbewusst.

Die Revolution fand während der Semesterpause statt. "Als wir wieder zurückkamen, haben wir Professoren uns zusammengesetzt und überlegt, was wir jetzt verändern", erzählt Abu Bakr. Zunächst wollten sie nur ein Komitee gründen, das die akademische Arbeit überwachen soll. Dann kam jemand auf die Idee, den Dekan wählen zu lassen.

"Ein weiterer Sieg"

Zu den Vorbereitungstreffen kamen immer mehr Mitarbeiter. Eine Umfrage wurde veranstaltet, in der sich über 80 Prozent des Lehrpersonals für die Wahlen aussprachen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Als bei einer Versammlung aller Mitarbeiter das Ergebnis der Umfrage vorgestellt wurde, meldeten sich bereits sieben Kandidaten, darunter Abu Bakr. Die bekannte Tahrir-Aktivistin stellte ihr Programm vor, in dessen Zentrum die Trennung zwischen Sicherheitsapparat und akademischer Arbeit stand. "Früher brauchten wir eine Erlaubnis der Staatssicherheit, um reisen zu können. Die entsprechenden Formulare existieren immer noch und werden von der Verwaltung manchmal noch angefordert", erzählt sie lachend. Es dauere eben eine Weile, bis der Wandel der Zeit in allen Ecken der Universität ankomme.

Was sie darüber denkt, dass die erste Wahl eine Frau ins Amt gebracht hat, die nun einer Fakultät mit 20.000 Studenten vorsteht? "Das kommt einem Wunder gleich", sagt sie und lacht wieder. "Es ist nicht nur eine Veränderung, dass jemand die Fakultät führt, der nicht aus dem alten Regime stammt, sondern dass sie nun auch noch von einer Frau geleitet wird. Das ist eine weitere Art von Sieg."

Sonja Farid, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die ebenfalls englische Literatur unterrichtet, wird noch deutlicher. Dass mit Randa Abu Bakr die einzige Kandidatin die Wahl gewonnen habe, sei ein wichtiges Signal. "Die Wähler waren überzeugt, dass sie es besser kann als ihre männlichen Mitbeweber. Sie müssen sich daran gewöhnen, dass Frauen das Gleiche leisten können wie die Männer", erklärt sie.

Diese Vorgänge an der Universität hätten Vorbildcharakter für die gesamte ägyptische Gesellschaft, fährt sie fort. "Eine Revolution ist mehr, als nur ein Regime zu stürzen. Es geht darum, dass wir Demokratie lernen. Und das muss in allen Institutionen stattfinden", sagt sie.

"Der Selbstreinigungsprozess in den Institution ist der Schlüssel für die Zukunft des Landes", ist auch die neue Dekanin Abu Bakr überzeugt. Die Revolution werde nur erfolgreich sein, wenn an allen Schaltstellen Menschen sitzen, die an die Erneuerung glauben. Das Wunder des Tahrirplatzes könne nicht am Tahrirplatz vollendet werden, sondern nur, wenn es sich in allen Institutionen und Bereichen des gesellschaftlichen Lebens fortsetzt - an den Universitäten, in den Medien oder sogar in den Krankenhäusern.

Der Betriebsrat im Krankenhaus revoltierte

Etwa in der staatlichen Manschijat-al-Bakri-Klinik. Einer der dortigen Ärzte wandte sich vor einigen Wochen an den bekannten Volkswirt und internationalen Gewerkschaftsspezialisten Elhami al-Meghrani, um sich Rat zu holen, wie sie den korrupten Krankenhausleiter loswerden könnten.

"Gründet einen Betriebsrat", empfahl al-Meghrani. Die Antwort des Arztes: "Was ist ein Betriebsrat?" Al-Meghrani erläuterte dem fragenden Arzt die Aufgaben eines Betriebsrats und gab ihm noch eine letzte Empfehlung mit auf den Weg: "Sorgt dafür, dass nicht nur die Ärzte, sondern auch das Pflege- und Verwaltungspersonal darin vertreten sind."

Einige Tage später erhielt er einen erneuten Anruf: "Die Ärzte wollen nicht zusammen mit dem Pflegepersonal und das nicht mit den Verwaltungsbeamten zusammenarbeiten", berichtete der Arzt. Al-Meghranis kurze Antwort: "Dann kann euch keiner helfen." Es dauerte nicht lange und die ägyptischen Medien berichteten von einem Zusammenschluss aller Mitarbeiter des Krankenhauses. Vertreter des Gremiums wurden im Gesundheitsministerium vorstellig. Der ungeliebte, korrupte Krankenhausdirektor wurde abgesetzt und durch einen vom Ministerium ausgesuchten anderen Mann ersetzt. Doch gegen diesen bestellten Direktor revoltierte der neue Betriebsrat und setzte schließlich durch, dass die Mitarbeiter des staatlichen Krankenhauses ihren Vorgesetzten selbst bestimmen konnten - und zwar in geheimer und freier Wahl.

Zurück an die Universität: Vor dem Tor zur Fakultät für Geisteswissenschaften steht die Studentin Engy al-Aghroudy, die im zweiten Jahr englische Literatur studiert, zwischen einer Gruppe von kichernden Freundinnen. Dass ihrer Fakultät nun eine Frau vorsteht, findet sie großartig. Denn es bedeute, dass auch die Studentinnen von heute später solche Positionen erreichen könnten, hofft sie.

Bei den nächsten Dekanatswahlen wünsche sie sich nur, dass auch Studenten mitwählen dürfen. Dann hätte die ägyptische Revolution in den Institutionen die europäische Demokratie tatsächlich weit hinter sich gelassen.

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